23.10.

280 12 0
                                    


Es brauchte 10 Jahre, zwei Häuser und zwei Kinder bis ich wieder die Ranch besuchte.

Mum und ich saßen auf der Veranda während Dad und Steven mit Colby, meinem 7-jährigen Sohn und Vanessa, meiner 5-jährigen Tochter zu den Pferden gingen. „Und? Wie ist das Leben als Mutter?" fragte Mum. Ich lächelte ohne den Blick von den vier zu nehmen „Unglaublich". Das war es und zwar in so vielen Fassetten. Unglaublich schön, fantastisch, erlebnisreich, aufregend aber auch unglaublich erschöpfend, auslauchend, ernüchternd und anstrengend.

„Und Steven? Liebt ihr euch immer noch so wie früher?" ich nickte. Denn es stimmte. Er liebte mich noch immer wie am ersten Tag, zumindest verhielt er sich so. und ich...naja...ich liebte ihn auch so wie am Anfang, eben nicht so doll wie Mave. Aber das war in Ordnung, denn ich liebte die Kinder und hatte mich an ihn gewöhnt. Das klang schlimm, war es aber nicht. Wir waren eine schöne Familie, man hätte uns ohne Probleme in einem Strickmagazin abbilden können, und wir hatten uns unser Leben ganz gemütlich macht.

„Steven hat jetzt seine eigene Kanzlei" erzählte ich und beobachtete wie Dad, Vanessa auf eines der kleineren Ponys setzte. „Oh das freut mich für euch" sie nahm meine Hand und drückte sie fest, es fühlte sich an wie eine Entschuldigung.

„Maverick wird auch geheiratet" sagte sie plötzlich und das erste Mal nahm ich den Blick von meiner kleinen Familie und sah sie an „Was?". Ihr Blick war entschuldigend und traurig „Ich wusste es mein Schatz. Und ich habe dir davor nichts gesagt. Ich dachte nur das du glücklich werden würdest mit Steven. Du bist doch jetzt glücklich, oder?" ich atmetet aus und lehnte mich zurück in den Stuhl.

„Ich weiß es nicht Mum" sagte ich und sah wieder zu Colby und Ness.

Natürlich liebte ich meine Kinder und würde mir nicht wünschen sie nie bekommen zu haben, aber wenn ich darüber nachdachte, dass ich sie mit Mave hätte haben können...es war erschreckend das ich mir auch nach 10 Jahren Ehe noch immer einreden musste, dass ich ihn liebte.

Es war der 23.10. als mein ganzes Leben, sei es nun fake oder nicht, zusammenbrach. Die Kinder waren in der Schule und ich gerade dabei die Wäsche zu waschen, als es an der Haustür klingelte.

Die beiden Polizisten mussten eigentlich gar nichts sagen, ich wusste auch so dass es um Steven ging. Am Morgen war er zur Kanzlei gefahren und hatte sich nicht gemeldet als er angekommen war, was er sonst immer tat. Ich hatte es da noch als er hat es einfach vergessen oder ist beschäftigt eingestuft, aber die Gesichter der beiden Männer sagten etwas anderes.

„Mrs. McCarter?" ich nickte „Dürfen wir reinkommen?" ich nickte ein zweites mal und wenig später saßen die beiden auf unserem Sofa während ich im Sessel ihnen halb gegenüber saß.

„Ihr Mann hatte heute Morgen einen schweren Autounfall, wir begleiten sie gerne ins Krankenhaus" meine Kinnlade klappte auf und ich wusste erst gar nicht was ich sagen sollte. „Ich...ich muss noch jemand organisieren der sich um unsere Kinder kümmert, sie kommen gleich aus der Schule" war das erste was ich herausbrachte.

Die beiden Männer standen am Wagen während ich bei unserer Nachbarin Rosie klingelte. Sie hatte schon ein paarmal spontan für uns auf die Kinder aufgepasst und ich hoffte dass sie es auch jetzt tun würde.

„Hey, alles in Ordnung? Du bist ganz bleich" sagte sie als sie die Tür öffnete, ich nickte „Kannst du auf Ness und Colby aufpassen, wenn sie aus der Schule kommen?" sie setzte ihren besorgen Blick auf, 65 Jahre Lebenserfahrung sagten ihr wohl das wirklich etwas passiert war. „Was ist los? Ich seh doch das es dir nicht gut geht" ich blinzelte schnell die eine Träne weg, die sich aus meinem Auge schleichen wollte „Steven hatte einen Unfall, ich weiß nicht... die Polizisten fahren mich jetzt zu ihm" sie lehnte sich gehen die Tür „Oh nein, das tut mir leid, aber sicher ist es gar nicht so schlimm und er kommt schnell wieder auf die Beine" ich nickte, auch wenn ich nicht wirklich davon ausging. Die Polizei kam schließlich nicht ohne Grund.

Man führte mich direkt zu Stevens Intensivbettzimmer. Es war gruselig wie er dort so still und regungslos lag, den Schlauch in seinem Mund und tausende piepende Maschinen an ihn angeschlossen. „Sind sie seine Frau?" ich fuhr herum und sah die Ärztin an, die in der Tür stand. Still nickte ich „Wir haben zwei Kinder" als hätte das irgendetwas geändert. Aber ich hoffe das es seine Verletzung irgendwie verringerte, als hätte das Schicksal Mitleid.

Das Schicksal hatte nie Mitleid.

„Ihr Mann hatte einen sehr schweren Unfall, im Moment lässt sich noch nicht genau sagen was für Auswirkungen das ganze hatte aber auf jeden Fall hat er ein schweres Schädelhirntrauma. Die nächsten Tage werden mehr zeigen".

Und so stand ich da. Schweigend, und die Ärztin ansehend. „Haben sie dazu Fragen Mrs. McCarter?" ich schüttelte den Kopf und die Frau verließ den Raum wieder. Jetzt waren wir alleine und ich wusste absolut nicht was ich tun sollte.

Was hieß das überhaupt Schädelhirntrauma?

Ich saß stundenlang einfach nur da, neben ihm. Konnte er mich hören?

Selbst wenn, ich redete ja sowieso nicht.

Irgendwann riet eine der Schwestern mir, nach Hause zu meinen Kindern zu fahren. Ich könnte hier so oder so nichts ausrichten sagte sie und hatte damit vermutlich auch recht.

Daheim wusste ich nicht wie oder was ich den Kindern erzählen sollte. Sollte ich warten bis sie nach ihm fragten? Sollte ich einfach frei heraus erzählen was passiert war? Oder sagen er sei im Urlaub?

Das mit dem Urlaub kam mir wie die schlechteste Lösung vor und ich entschied mich es ihnen verharmlost zu erzählen.

„Was für einen Unfall?" fragte Colby. Ja, eine gute Frage die auch nicht beantworten konnte. „Ich denke einen Autounfall mein Schatz, aber da bin ich mir nicht sicher".

„Und wann kommt er wieder?" fragte nun Ness. Ich musste schlucken „Das weiß ich auch nicht mein Engel aber das sagen uns die Ärzte hoffentlich bald".

„Und was hat er?" fragte sie weiter. Ich blättere die Frage ab und lies sie beide im Garten spielen.

Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, rief ich Dad an. Er musste nur meine Stimme hören und wusste das etwas los war.

Als ich erzählte wie mein Tag verlaufen war blieb er ganz ruhig während Mum anfing nervös von irgendwelchen Leuten zu erzählen die auch krank waren oder gestorben waren. Sie konnte mit solchen Situationen nicht wirklich umgehen. Warum hatte Dad mich eigentlich auf Lautsprecher gestellt, das war wirklich alles andere als förderlich.

„Bei der Nichte von Louise haben sie sich auch so wage ausgedrückt und dann ist sie gestorben", „MUM!" rief ich entsetzt. So stellte ich mir das nicht vor, von meiner Familie aufgebaut zu werden „Ich sag ja nur... Du solltest dir keine zu großen Hoffnungen machen und selbst wenn, wird er vielleicht schwer behindert sein". Niemals hätte ich gedacht das meine Mutter schlimmere Voraussagen treffen konnte als Google. „Aber egal was passiert, ich und deine Mutter werden immer für euch drei da sein" mischte sich Dad schlichtend ein.

Tatsächlich brachten die nächsten Tage Klarheit. Steven war aus unbekannten Gründen von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum gebrettert.

Nun war er für Hirntot erklärt worden, ich verstand nicht so richtig was das bedeutete, aber die Ärzte hatten es mir so erklärt, dass sein Gehirn nicht mehr funktionierte. Sein Herz schlug dank einer Maschine und er atmete dank einer Maschine, wenn ich mich entschied diese Maschinen auszustellen, würde er aufhören zu atmen und sein Herz nicht mehr schlagen.

Und jetzt saß ich hier wieder. Nur eine Woche später. Und wurde von den Ärzten über die Organspende aufgeklärt. Sicher hatte ich davon schon mal gehört, mich damit aber nie näher beschäftigt.

„Sie können einzelne Organe spenden oder alles", „was wäre alles?" fragte ich und zweifelte daran das ich die Antwort hören wollte.

„Organe,

Haut,

Knochenmark,

Blut,

Netzhaut..."

der neue Arzt arbeitete den Zettel vor sich ab als wäre Steven irgendein Mann der nie wirklich gelebt hatte.

Aber ganz abgesehen von dem Arzt war ich eigentlich der Überzeugung das Steven hätte alles spenden wollen. Also setzte ich meine Unterschrift.

Das Cowgirl von Hillington // Dort wo Cowboys geboren werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt