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Ein Licht durchflutetes Zimmer erschien vor meinen Augen. Zuerst wurde ich geblendet, doch dann gewöhnte ich mich an die Helligkeit und erkannte mein Schlafzimmer. Das Bett mit der weißen Bettwäsche und die zwei nackten Körper darauf. Ich lag auf dem Bauch und Juri verteilte federleicht Küsse auf meinem Rücken, bis ich zusammenzuckte, weil mich seine blonden Fransen kitzelten.

Dann wanderte die Fingerkuppe seines Zeigefingers über meinen Rücken und schrieb drei Worte darauf. „Ich liebe dich auch", flüsterte ich und drehte mich auf den Rücken. Langsam kletterte er über mich. Drängte seinen warmen Körper an meinen. Küsste mich zärtlich, dann verlangender. Seine blauen Augen sahen mich liebevoll an, während er mich immer und immer wieder küsste.

Der Moment des Aufwachens war schrecklich. In der Schwebe zwischen Traum und Realität fühlte ich keinen Schmerz. Doch er kam schneller als mir lieb war, als ich realisierte, dass das in meinem Bett neben mir nicht Juri war, sondern Will. Ich setzte mich im Bett auf, obwohl ich viel lieber liegen geblieben wäre.

Nach und nach streifte ich einen Pulli von Juri nach dem anderen ab und faltete sie ordentlich. Der Gedanke, dass er sie vielleicht doch noch mal tragen würde, tat ebenso weh, wie die Vorstellung, dass er es nie wieder tun würde. Ich musste wissen, warum er nicht mehr hier war. Ich musste es begreifen, um mich nicht länger mit der Hoffnung zu quälen, dass er wiederkommen würde. Den untersten Pulli ließ ich an, auch seine Hose, obwohl mir die Sachen ein wenig zu groß waren.

Ich schlurfte ins Bad, während Will unbeeindruckt einfach weiterschlief. Im Spiegel trafen mich die Augen eines Toten. Ich konnte mein Spiegelbild selbst nicht ertragen, denn es verdeutlichte mir, dass ich noch hier war, aber Juri war fort. Ich wusch nur meine Haare, denn ich wollte meine Haut nicht waschen, nicht Juris Berührungen, die immer noch drauf hafteten, hinfort spülen.

Als ich den Kopf aus dem Waschbecken hob, streifte mein Blick kurz den Spiegel und es kam mir vor, als hätte ich Juri für den Bruchteil einer Sekunde gesehen. Wie er hinter mir stand, sich die Zähne putzte und Grimassen schnitt. Aber ein vergewissernder Blick über die Schulter verriet mir, was ich eigentlich schon wusste.

Ich zuckte zusammen, als die Tür auf einmal aufschwang und Will im Badezimmer stand. „Hey, meinst du, ich könnte kurz duschen? Ich müsste zur Arbeit... ich kann mich aber auch krankmelden-" „Nein, das ist nicht nötig. Mir ist klar, dass sich die Welt weiterdreht... Geh ruhig duschen... aber warte, das Duschgel ist von Juri... und das auch..."

Dann sammelte ich sämtliche Dinge von Juri im Badezimmer ein und drückte sie gegen meine Brust. Ich wollte nicht, dass Will irgendwas davon verschwendete, es mir wegnahm. Es war mein Schatz. Noch nie hatten materielle Dinge so einen hohen Stellenwert für mich, wie in diesem Moment.

„Kann ich dich wirklich alleine lassen?", fragte Will, als er aus dem Bad kam und ich immer noch wie hypnotisiert Juris Sachen, die ich auf das Bett geworfen hatte, anstarrte. „Ja... danke, dass du gestern gekommen bist." Erst legte er seine Hand auf meine Schulter, dann drehte er mich zu sich um. Die Tränen stiegen schon wieder in die Augen. „Ist doch klar", sagte er und zog mich in eine Umarmung. „Ich mochte Juri sehr." „Und ich liebe ihn", schluchzte ich in seine Halsbeuge.

Nachdem Will gegangen war, wusste ich nichts mit mir anzufangen. Auf der einen Seite war ich wie betäubt, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, auf der anderen Seite war ich ruhelos. Ich wartete, dass etwas passiert. Dass mir jemand sagte, was ich nun tun müsste, wie ich mich verhalten sollte.

Doch am meisten wartete ich darauf, dass Juri zur Tür hereinspazierte, mit einem neuen Buch in der Hand. „Tut mir leid Oscar, ich war zwei Tage unterwegs, aber ich wollte unbedingt dieses Buch ergattern und es war nirgends zu bekommen", würde er sagen und ich würde ihn in den Arm nehmen, ihn küssen und nie wieder loslassen.

Doch diese Bilder, die Vorstellung, dass sich der Schlüssel jeden Moment im Schloss herumdrehen würde, quälten mich und so zog ich eine Jacke über, schlüpfte in meine Schuhe und floh regelrecht aus der Wohnung.

Für das Treffen mit Juris Eltern war ich zu früh dran. Den Namen des Café, welches sie ausgesucht hatten, hatte ich nie zuvor gehört, aber ich würde es durch einen Spaziergang durch den Park erreichen. Auf dem Weg dahin wurde ich dann zum ersten Mal wütend. Etwas, was mir in nächster Zeit noch häufiger passieren würde.

Ich war wütend auf die Frau, die freudestrahlend mit ihrem Hund spielte. Ich war wütend auf die Schulklasse, die laut lachend an mir vorbeilief. Ich war wütend auf das händchenhaltene Pärchen vor mir. Ich war wütend auf die Welt, die sich weiterdrehte und nicht sah, dass meine Welt in Schutt und Asche lag.

Wie konnten sie alle so fröhlich sein, während der Mensch, der mir am meisten bedeutete, nicht mehr da war?

Und dann kamst du Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt