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Hallelujah! Kaum hatte der eine Bastard sie eiskalt abserviert, schon hatte sie sich den nächsten Hauptgewinn in Punkto Katastrophenbeziehung gegriffen. »Du bist mein Ehemann.« Was hatte sie bloß geritten, diesen Schwachsinn vom Stapel zu lassen?

Eve betätigte zum zweiten Mal die Toilettenspülung. Dann betrachtete sie niedergeschlagen ihr Ebenbild im milchigen Spiegelglas über dem Waschbecken. Ewig konnte sie sich nicht hier im Bad verkriechen. Ihre Idee, eine naive Touristin zu mimen, die sich für die falsche Abendbegleitung entschieden hatte, war mit einem Schlag hinfällig geworden, als ihr der Kerl so verdammt nahe gekommen war.

Seine Augen waren schuld! Diese ernsten, rauchgrauen Augen, die bis in den hintersten Winkel ihrer Seele schauten. Der Kerl erinnerte sich an sie! Das Aufblitzen dieser Erkenntnis hatte sie schockiert und ihren Plan komplett über den Haufen geworfen. Dabei hätte sie damit rechnen sollen. Schließlich war ihr Gesicht das Letzte gewesen, was er gesehen hatte, bevor ihm die Lichter ausgingen.

Sie drehte den Hahn am Waschbecken auf und ließ sich das kalte Wasser langsam über Hände und Unterarme laufen. Zischend zog sie die Luft ein, als das kühle Nass auf ihre aufgeriebene Haut traf. Dennis, dieses Arschloch. Seinetwegen steckte sie bis zum Hals in Schwierigkeiten, während er sich jetzt wahrscheinlich im Flieger nach Tahiti einen großen Cocktail gönnte. Mit Schirmchen. Von ihrem Geld!

Wer mochte nur der Tote sein? Ein zweiter Mafioso? Diese Schlägertypen kamen meist nicht allein. Hatte Dennis ihn ebenfalls überwältigt? Dermaßen gewalttätig hätte sie ihn nie eingeschätzt. Eve schniefte. ›Klar. Weil du bei Männern ja ein so unglaublich treffsicheres Urteilsvermögen hast. Selbst diesen Gangster schmachtest du schon wieder an.‹

Sie streckte sich selbst die Zunge raus. Mit einem Schütteln versuchte sie, diese ganzen beängstigenden Gedanken zu vertreiben. Ab jetzt würde sie die Spielregeln bestimmen! Auch wenn der Typ wirklich heiß war. ›Jap. Heiß und brandgefährlich, wie eine Handgranate mit gezogenem Splint, die dir jeden Moment um die Ohren fliegen kann.‹ Okay. Okay. Ihre innere Stimme war eine totale Spaßbremse. Das würde sie eben im Hinterkopf behalten.

Sie gab sich einen Ruck und straffte die Schultern. Einen Gangster zu beschwindeln, fiel sicher nicht unter ihre Abmachung mit Gott. Sie würde improvisieren und möglichst dicht an der Wahrheit bleiben. Solche Lügen funktionierten am besten.

Innerlich gestärkt öffnete sie die Badtür. Mr. Cosa Nostra saß in Lauerstellung auf dem einzigen Stuhl des Zimmers. Noch immer ohne nennenswerte Klamotten. Eve schaute schnell in eine andere Richtung. Dummerweise fiel ihr Blick nun genau auf das Bett und die ebenfalls halbnackte Leiche. Ein spitzer Schrei drang aus ihrer Kehle und sie schlug sich voller Entsetzen die Hand vor den Mund. Dann drehte sie auf den Hacken um und stürzte wieder ins Bad. Diesmal übergab sie die Reste ihres Abendessens der städtischen Abwasserentsorgung.

Wieder lag sie im Bezug auf ihren Exfreund falsch. Dennis hatte seinen Flieger verpasst, und er würde auch den nächsten nicht mehr nehmen.

»Alles okay?«, fragte eine tiefe Stimme. Ob er ihr ebenfalls auf den Hintern glotzte? Eilig klappte Eve den Klodeckel nach unten. Mit hochroten Ohren rappelte sie sich auf und griff ganz automatisch nach dem Wasserhahn. Ein verhaltener Fluch entschlüpfte ihr, als ein erneutes Brennen sie an ihre verletzten Handgelenke erinnerte.

»Vorsichtig. Komm her, ich helfe dir.« Schon trat "ihr" Mann direkt hinter sie und drehte das Wasser ab. Eves Herzschlag stolperte. Seine Arme hielten sie locker umfangen. Mit einem sauberen Handtuch tupfte er behutsam über die Ränder der Schürfwunden.

Die plötzliche Nähe traf sie komplett unvorbereitet. Sein warmer Atem kitzelte an ihrer Schläfe, sein Körper strahlte eine unglaubliche Hitze ab. Oder kam die aus ihrem Inneren? Eve verwünschte die verräterische Röte, die ihre Wangen zum Glühen brachte und die ihr über Hals und Dekolleté kroch. Ihre helle Haut konnte wahrlich ein Fluch sein. Insgeheim beneidete sie den Kerl um seinen südländischen Teint. Und um die Muskeln. Und um seine finstere Ausstrahlung. Wenn man so aussah, wurde man von niemandem mit blöden Sprüchen belegt.

Nach ein paar unkoordinierten Hüpfern entschied sich ihr Herz für eine Runde Need for Speed und jagte ihr das Blut mit Vollgas durch die Adern. Es rauschte in ihren Ohren wie auf der Aussichtsplattform an den Niagara-Fällen. Gebannt starrte sie auf die Hände, die so viel größer als ihre waren und doch unglaublich sanft zu Werke gingen. Ein Schauder lief ihr vom Nacken über das Rückgrat. Hatten diese Hände Dennis getötet? War sein Mitgefühl nur ein Psychotrick? Doch zu welchem Zweck? Das Geld war noch da, schön über das gesamte Bett verteilt. Warum also sollte ein Killer sie verschonen und solch eine umständliche Show abziehen? Fragen über Fragen, von denen ihr ganz schwindlig wurde.

»Hast du was zum Desinfizieren in deinem Zauberköfferchen?«

»Wie?«, hauchte Eve erschrocken und wandte den Kopf. Ihre Nasenspitze streifte das bärtige Kinn. Sie zuckte zurück, kollidierte mit seiner muskulösen Schulter und landete vollends in seinen starken Armen.

Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. »Im Beautycase?« Der Ansatz eines Grinsens verlieh der düsteren Aura des kantigen Gesichtes eine Spur von jungenhaftem Charme und löste die Beklemmung in Eves Brust ein wenig. Wenn diese absurde Situation ihr schon Kopfzerbrechen bereitete, wie mochte es ihm erst ergehen?

»Ja. Nein. Also ...«, mühsam schluckte sie den quäkenden Frosch in ihrem Hals hinunter. »Da ist nur Handdesinfektion und Sprühpflaster. Ich habe Sprühpflaster.« Wow, wie cool. Sie konnte noch ganze Sätze bilden.

»Hm.« Er begutachtete kritisch ihre Handgelenke und hielt sie weiter fest umarmt. Was wohl ganz gut war. Ihre Beine verwandelten sich gerade in Wackelpudding.

»Lass es erst mal trocknen.« Sein Blick wurde wieder ernst und ruhte eindringlich auf ihr. Der Blick eines Jägers. Und er hatte sie im Fadenkreuz. »War das unser Trauzeuge?«

Eve senkte die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist der Mann, der dich niedergeschlagen hat. Könntest du bitte ...« Sie räusperte sich und fuhr mit festerer Stimme fort. »Kannst du ihn bitte zudecken?«

Nach kurzem Zögern kam er ihrem Wunsch tatsächlich nach. Eve klammerte sich an den Waschbeckenrand und atmete tief durch. ›Du schaffst das! Schau ihm offen ins Gesicht. Rede, ohne zu zaudern. Vergieß ein paar Tränchen und verschwinde, sobald er dir den Rücken zudreht! Ach ja, und schnapp dir die Kohle, oder wenigstens einen Teil davon.‹

Ihr Kampfgeist kehrte zurück und erfüllte sie mit neuem Mut. Das Leben ging weiter. Sie würde nach vorn schauen und das Beste daraus machen. Wie hieß es doch so schön? Hör auf die Stimme? Genau das würde sie jetzt tun.

Blackout-Story   Lügen haben schöne AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt