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Das Nightmare war ein typischer Szeneclub in einer ehemaligen Großmarkthalle. Wummernde Bässe empfingen sie bereits auf der Straße. So billig, wie von außen, sah es vermutlich auch drinnen aus, aber mangels – oder besser dank des Fehlens – einer besseren Beleuchtung, nahm man davon nichts wahr. Einfache Barhocker reihten sich vor einem Edelstahltresen, eine Handvoll wackliger Alu-Stehtische quetschte sich in die, mit Leichtbauwänden abgetrennten Nischen zwischen den Tanzflächen. Stroboskopartig blitzende Lichter enthüllten zuckende Beine, Leiber und Arme im dichten Gedränge.

Eve klammerte sich mit beiden Händen an Chris, um ihn in dem Gewühl nicht zu verlieren. Der penetrante Geruch von Schweiß, Alkohol und zuviel unterschiedlichem Parfüm verschlug ihr den Atem. »Wie sollen wir hier jemanden Speziellen finden?«, schrie sie ratlos Chris ins Ohr. Er schob sich mit ihr weiter souverän durch die Menge. »Wir beobachten«, antwortete er und deutete mit dem Kinn auf ein Grüppchen schnatternder Mädchen, die sich in einer Traube an die Bar drängten. Eve blinzelte mehrmals. Gegen das Wenige, was diese Mädels am Leib trugen, wirkte ihre Aufmachung direkt sittsam. Misstrauisch schaute sie zu Chris auf. Doch dessen Blick sondierte wie gewohnt die gesamte Umgebung und ruhte keinesfall lüstern auf den mehr als großzügig dargebotenen Aussichten.

Während Eve irritiert über ihre diesbezüglichen Bedenken nachdachte, stieß Chris sie kurz mit dem Ellbogen an. Ein schmächtiges Kerlchen hatte sich zu dem Hühnerhaufen gesellt, verstohlene Blicke wurden ausgetauscht, kleine Päckchen wechselten von einer Hand in die andere. Das Bürschchen wanderte weiter und Chris setzte sich in Bewegung. Mit dem Instinkt eines Jägers folgte er der unauffälligen Gestalt. Eve bemühte sich, den Anschluss nicht zu verpassen. In dem schmalen Gang, der zu den Toiletten führte, schnitt Chris dem Knaben den Weg ab und drängte ihn zur Seite.

»Ey, Alter! Was'n los?«, nuschelte der nervös und versuchte, an ihnen vorbeizuschlüpfen. Chris streckte den Arm aus und blockierte den Fluchtweg. »Ich will zu Ace.«

»Ace? Welcher Ace? Ich kenne keinen ... Aaaah!«

Beeindruckt verfolgte Eve wie Chris lediglich die Hand auf die Schulter des Kerls legte und den Daumen in die Kuhle oberhalb des Schlüsselbeins drückte. »Ich will zu Ace«, wiederholte er seinen Satz, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Eve lief es kalt den Rücken herunter. Besorgt drehte sie sich um, doch niemand nahm Notiz von ihrer Unterhaltung.

»Ja, ja. Ist gut. Ich bring dich zu ihm«, winselte das Bürschchen. Chris schob den kleinen Finger in den Fleshtunnel im Ohr des Jungen und zog ihn zu sich heran. »Danke.«

Der Typ brachte sie zu einem abgetrennten Kabuff, in dem eine Vielzahl an technischen Geräten die Luft noch heißer und verbrauchter werden ließ. Inmitten des Kabelwirrwarrs ragten die Spitzen eines strohblonden Irokesen über ein Schaltpult. »Verdammt, ich kann nicht hexen«, knurrte jemand angepisst dahinter. »Mindestens ne Stunde, habe ich gesagt!«

Der kleine Dealer zeigte auf den Techniker und verdrückte sich schleunigst. Chris blieb einfach abwartend stehen. Eve wand sich um und hielt ihm den Rücken frei.

»Was zur Hölle gibt's denn noch?« Der Irokese stemmte sich nach oben und hielt verwundert mit seiner Motzerei inne.

»Bist du Ace?«, fragte Chris.

»Und wenn schon. Hier ist nur für Mitarbeiter. Musikwünsche könnt ihr vorne am Mischpult ansagen.«

»Wir haben einen speziellen Wunsch.« Chris rollte beiläufig ein Bündel Hundertdollarscheine zwischen den Fingern. Eve konnte nur staunen. Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, wo er die hergezaubert hatte. Ace wischte sich umständlich die Hände an einem Lappen ab. »Aha.« Abschätzend glitt sein Blick über sie hinweg. Eve orientierte sich an Chris und gab sich gelangweilt.

»Habt ihr 'ne Empfehlung?« Der Mann schob seinen sehnigen Körper zwischen den Geräten hervor. Chris holte ein weiteres Bündel Geldscheine aus seiner Jackentasche. In die Augen von Ace trat ein gieriges Funkeln. »Ich glaube, es ist Zeit für meine tariflich festgelegte Pause«, verkündete er und winkte ihnen, ihm zu folgen.

Ace führte sie in ein schallgedämmtes Büro, in dem man sich tatsächlich in normaler Lautstärke unterhalten konnte. Eve war überrascht, wie unspektakulär die Sache ablief.

»Habt ihr Fotos dabei?«, fragte Ace, nachdem Chris ihr Anliegen geäußert hatte.

»Nein.«

»Kein Problem. Kostet aber extra.« Ace legte ihnen eine Preisliste vor und Chris bestellte zweimal das Gesamtpaket mit Ausweispapieren, Führerschein, Sozialversicherungsnummer und Geburtsurkunde. Vor einem heruntergelassenen, weißen Rollo machte Ace die Porträtaufnahmen mit einer normalen Digitalkamera. »Eine Woche«, war sein abschließender Kommentar. Zum dritten Mal zauberte Chris eine Stange Geld hervor. Grinsend griff Ace danach. »Fünf Tage. Schneller geht's wirklich nicht.«

Chris hielt das Bündel Scheine fest und trat einen Schritt näher an Ace heran. Seine grauen Augen bohrten sich kalt in die des anderen. Eve bemerkte kleine Schweißtröpfchen auf der Stirn von Ace. »In Ordnung«, sagte Chris und ließ los. Ace stolperte kurz und nickte zustimmend. Eve konnte nicht mit Sicherheit sagen, wer von ihnen mehr erleichtert war, dieses Büro wieder zu verlassen.

Ihre so erfolgreich abgeschlossene Mission verursachte in ihr einen regelrechten Euphorieschub. Auf dem Rückweg durch den Dancefloor blieb sie spontan stehen und zog Chris am Ärmel. »Komm, lass uns tanzen, wenn wir schon mal hier sind.« Mit fließenden Bewegungen schwang sie ihre Hüften zum Takt der Musik, zuerst langsam, dann immer schneller werdend. Sie wiegte sich geschmeidig im Rhythmus der Beats, streckte ihre Arme nach oben, schloß die Augen und ließ die angestaute Energie ihrer Anspannung in ekstatische Moves übergehen.

Erst das Klatschen und Johlen der Menschen neben ihr, riss Eve aus ihrer Trance. Erschrocken stellte sie fest, dass sie zuviel Aufmerksamkeit erregte. Verwirrt suchte sie nach Chris.

Und fand ihn.

Keine zwei Meter entfernt.

Die hungrige Intensität seines Blickes spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers. Sie ging auf ihn zu, er kam zu ihr. Ihre Hände legten sich auf seine Schultern, seine umfassten ihre Hüften. Ohne auf ihre Umgebung und die Musik zu achten, tanzten sie nach ihrem eigenen Rhythmus, bewegten sich synchron zum Takt ihrer Herzen, folgten dem Rauschen ihres Blutes.

Etwas berührte Eves Rücken. Oh, eine Wand. Wie schön! Jetzt bestand keine Gefahr, nach hinten umzukippen. Denn Eves Knochen schmolzen gerade, auch wenn sie sich noch immer bewegte. Sie spürte ihren Körper nur noch an den Stellen, an denen Chris sie berührte. In ihrem Kopf sah sie das Bild, wie er ihr in dem kleinen Gästezimmer gegenüber stand, die glatte Haut über den klar definierten Brustmuskeln und dem Sixpack darunter noch feucht und glänzend. Eve biss sich auf die Unterlippe und versuchte, ihm noch näherzukommen. Ihr Becken hob sich ihm entgegen, ihre Mitte schrie danach, nicht vergessen zu werden. Sein Bein schob sich zwischen ihre Schenkel und Eve legte stöhnend den Kopf in den Nacken.

Und dann war da sein Mund. Eve zog das störende Basecap von seinem Kopf. Seine Lippen streiften sie flüchtig, fragend, dabei wollte sie sich die Antwort direkt auf die Stirn tätowieren lassen.

»Fa cacare! Enzo, du fiese Ratte! Glaub ja nicht, dass du damit durchkommst!« Ein stämmiger Kerl zerrte sie beiseite und stürzte sich auf Chris. Eve schnappte nach Luft und rutschte an der rauen Rigipsplatte nach unten. Ein metallisches Aufblitzen zischte an ihr vorüber. Während ihr Verstand in den Zeitlupenmodus schaltete, reagierte Chris instinktiv. Er packte die Hand mit der Waffe, drehte sich mit dem Schwung des Angreifers hinter ihn und überbog dessen Handgelenk. Klirrend schlitterte die Klinge über den Boden. Chris schlang dem Kerl seinen anderen Arm um den Hals und presste ihm das angezogene Knie in den Rücken. Mit einem Ruck nach hinten erhöhte Chris den Druck und der Mann sackte zusammen. Chris ließ ihn neben Eve auf den Boden sinken und drückte ihm eine herumstehende Bierdose in die schlaffe Hand.

»Ist er tot?«, krächzte sie verunsichert. Chris zog sie auf die Füße und nahm ihr sein Basecape ab. »Nein. Ich möchte nämlich zu gern wissen, wieso er mich Enzo nennt.«





Blackout-Story   Lügen haben schöne AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt