Tag 2

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Liebes Tagebuch,

gestern war nicht wirklich viel passiert. Ich bin im Hotel angekommen, habe in einem guten Restaurant gegessen - auch wenn die Carbonara nicht so gut war wie Zuhause. Bin durch die Stadt geschlendert und habe mich von der warmen Luft und dem Klang von Glocken leiten lassen. Ich weis jetzt, wo der Bus abfährt und wo eine kleine Einkaufsgasse für Souvenirs ist. Ich war in einem kleinen Lavendelladen. Alles war Lila und aus Lavendel - sogar die Wandfarbe. Ich fand es unglaublich schön, musste aber nach kurzer Zeit den kleinen Laden schnell wieder verlassen. Jetzt weis ich wenigstens, dass ich eine Lavendelallergie habe.

Heute besichtige ich die größte und wohl schönste Kirche der Toskana, die Basilika San Francesco. Ich habe viele Geschichten über den heiligen Franziskus gehört. Er soll reich gewesen sein, aber alles aufgegeben haben, um wie die Armen zu leben und Gott zu dienen. Naja, ich denke ein bisschen übertrieben hat er schon. Aber anscheinend hat er regelmäßig mit Gott gesprochen. Vielleicht ist das der Preis dafür, Antworten von ihm zu erhalten.

Werde ich alles aufgeben müssen, um wieder mit ihm sprechen zu können? 

Die Frage ist eher, was ich noch alles verlieren soll? Ich habe die Liebe meines Lebens verloren. Mein Job wurde mir eine Woche nach Eriks Tod gekündigt. Das Haus und die Möbel sind verkauft und ich wohne jetzt in einer kleinen 2 Zimmer- Wohnung, mit nur den nötigsten Sachen. Meine beste Freundin Laura ist mir von meinen ganzen Freunden als Einzige geblieben und meine Eltern melden sich nur alle paar Monate, da sie es nicht ertragen mit mir zu sprechen. Ihre Trauer um Erik sei zu groß. Ihre Trauer sei zu groß - bei diesen Worten musste ich immer wieder lachen. Aber ich war froh, dass sie sich nicht wirklich meldeten, denn jedes Gespräch endet in einem Streit und das war auf Dauer einfach zu anstrengend.


,,Na, wie war Ihre erste Nacht?'', fragte mich Anna, als ich nach dem Frühstück an der Rezeption vorbeiging, um mich auf den Weg nach draußen zu machen. Sie trug die dunkelblaue Bluse von gestern und ihre gräulichen Haare waren zu einem strengen Dutt nach hinten zusammengebunden. Für eine Frau Anfang 60, sah sie immer noch frisch aus. Vielleicht machte es einfach ihre Art oder die gute warme Luft hier oben in Assisi. 

,,Ich habe sehr gut geschlafen. Bin voller Tatendrang.'', entgegnete ich und lächelte dabei. Es war mein voller Ernst. Das war die erste Nacht, die ich wirklich durchschlief. Es war Monate her, dass ich mich so ausgeruht gefühlt hatte. ,,Das freut uns sehr. Unser Haus ist dafür bekannt, die Geister nachts draußen zu halten.'', sie zwinkerte mir zu. Ich sah sie misstrauisch an. Geister?  ,,Ist an Ihren Geschichten wirklich was dran oder unterhalten Sie einfach nur die Gäste?'', fragte ich sie und sie beugte sich zu mir vor. ,,Wissen Sie. Es liegt immer im Auge des Betrachters, ob meine Geschichten nur Geschichten bleiben oder doch gar wahr werden.'', sie zwinkerte mir zu und ich atmete tief durch und flüsterte. ,,Das mag vielleicht komisch klingen, aber glauben Sie, dass Gott das Tor zur Ewigkeit manchmal geöffnet hält, sodass die Seelen dort oben ihre Liebsten hier unten besuchen können?''

Anna grinste und beugte sich noch etwas mehr über die Theke. ,,Gott sendet seine Engel zu denen, die sie brauchen.'' Ich sah sie verwirrt an. Sie sprach in Rätseln. ,,Ich bräuchte einen, und zwar ganz dringend.'', lachte ich und fuhr mir durch die Haare. ,,Sie brauchen keinen meine Liebe. Sie strahlen wie die Sonne selbst. Auch wenn Sie es grade nicht sehen. Sie sind ihr eigener Engel.'', antwortete Anna und machte sich daran, ein paar Unterlagen zu sortieren. Ich verabschiedete mich und bedankte mich für die nette Unterhaltung. Ich war mir unsicher, ob ihre Aussage ein Rat gewesen sein könnte. Sie sprach wirklich in Rätseln. 

Ich, mein eigener Engel? 

Auf meinem Weg zur Basilika San Francesco holte ich mir einen Café to go, der wohl der beste Café meines Lebens war. Ich schlenderte an unzähligen Kirchen und uralten Gebäuden vorbei, genoss die noch kühle Morgenluft und als ich vor der Basilika stand, raubte sie mir den Atem. Es war ein gewaltiges Gebäude. Ich hatte zwar nicht viel Ahnung von Architektur, aber diese Kirche musste für das Jahr 1253 bestimmt ein architektonisches Meisterwerk gewesen sein. 

Die Suche nach DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt