Wattpad Original
Es gibt 4 weitere kostenlose Teile

Kapitel 5

29.7K 1.9K 79
                                    

Am nächsten Tag hatte ich meine Abschlussprüfung in Deutsch. Barne war in meinem Kurs. Als ich den Raum betrat, schnürte es mir die Luft weg.

Da saß er. Der Vater meines Kindes.

Er lachte. Keine Spur von Prüfungsangst. Er alberte mit Florian herum, der schon mehrmals fast von der Schule geflogen war. Die beiden waren beste Freunde.

Ich versuchte Blickkontakt aufzunehmen. Vielleicht hoffte ich sogar, dass er spüren konnte, dass in mir unser Kind heranwuchs. Doch natürlich kam keine Reaktion von ihm. Er beachtete mich nicht.

Ich setzte mich in die erste Reihe. Mir wurde schon wieder schlecht. Ob Prüfungsangst oder Morgenübelkeit konnte ich nicht sagen. Ich versuchte es unter Kontrolle zu halten, doch ich merkte, wie es rasant schlimmer wurde. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten. Ich sprang auf und rannte in die Waschräume der Mädchen. Dort übergab ich mich. Ich würgte bis nichts mehr kam.

Was war das für eine Scheiße, in die ich mich geritten hatte?

Ich spülte meinen Mund aus. Dann sah ich mich im Spiegel an. Ich war wirklich blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ich sah krank aus und ich fühlte mich auch so. Ich wollte mich in mein Bett verkriechen und dort nie wieder hervorkommen, doch ich musste diese Prüfung ablegen oder ich konnte mir mein Abi abschminken.

Ich riss mich zusammen. Ich schüttete mir kaltes Wasser ins Gesicht und ging zurück in den Klassenraum. Mittlerweile waren alle Schüler eingetroffen, doch ich sah nur zu Barne. Ich wollte mit ihm reden und es ihm sagen, doch dazu fühlte ich mich noch lange nicht bereit.

Er wirkte so unerreichbar.

Unsere Lehrerin begann zu reden. Ich konnte mich darauf nicht konzentrieren. Stattdessen dachte ich an das kleine Wesen, das sich in meinen Bauch eingenistet hatte. Es fühlte sich noch nicht wie ein Teil von mir an. Ich hatte keine wirkliche Verbindung dazu. Der Test hatte mir gesagt, dass ich schwanger war, aber ich fühlte mich nicht so. Meine Mutter wollte noch diese Woche mit mir zum Frauenarzt, doch ich war da anderer Meinung. Ich wollte kein Ultraschallbild haben. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich wirklich schwanger war.

Die Aufgaben wurden ausgeteilt und ich widmete mich meiner Gedichtanalyse.

Ich schrieb und schrieb und schrieb.

Irgendwann tat mir meine Hand weh.

Würde ich eine gute Mutter sein? Konnte ich eine gute Mutter sein?

Es fiel mir schwer mich zu konzentrieren. Mir lag nichts ferner, als mich mit der Metrik von barocken Gedichten zu beschäftigen.

Barne stand als erster auf und ging. Direkt danach folgte Florian.

Ich war die letzte, die abgab. Wie immer.

„Wie ist es gelaufen?", erkundigte sich Frau Meißner nach der Prüfung bei mir.

„Gut", antwortete ich routiniert.

Sie lächelte. „Ich habe bei dir nichts anderes erwartet."

Ich nickte abwesend.

„Alles okay bei dir?", fragte sie und sah mich kritisch an. „Du siehst blass aus."

Ich zwang mir ein Lächeln auf. „Nur der Prüfungsstress."

Sie tätschelte meine Schulter.

„Mach dir keine Sorgen! Du bist eine meiner besten Schülerinnen. Das wird schon! Bald hast du es geschafft!"

„Ja, es wird Zeit, dass der Spuk endlich ein Ende hat", ratterte ich herunter.

Ich verließ den Raum und ging den leeren Gang entlang. Auch wenn ich jetzt ein Baby im Bauch hatte, hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nie so allein gefühlt. Ich ging nach draußen und fand Barne in der Raucherecke wieder. Er lachte, während er immer wieder an der Zigarette zog.

Wenn er nur wüsste, was unsere Nacht Konsequenzen hatte.

Und dann geschah es doch. Er sah für einen kurzen Moment zu mir. Es war reiner Zufall, dass er in meine Richtung gesehen hatte. Einen winzigen Bruchteil einer Sekunde sah er mir in die Augen. Ich lächelte schwach. Doch im nächsten Augenblick hatte er auch schon wieder weggeschaut, ohne die Miene zu verziehen. Ich wollte zu ihm gehen und ihm alles sagen, doch dazu fehlte mir der Mut.

Wie sollte ich jemandem sagen, dass ich von ihm ein Kind erwartete, wenn er für mich ein Fremder war? Und das Schlimme war, dass ich für ihn nicht einfach nur eine Fremde war. Nein, ich war Luft für ihn. In seiner Welt existierte ich gar nicht. Das Kind in meinem Bauch existierte jedoch sehr wohl und das würde auch er sehr bald realisieren müssen.


Plan ZWo Geschichten leben. Entdecke jetzt