Kapitel 4 - Im Rausch der Musik

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Kapitel 4 – Im Rausch der Musik

Nachdem wir uns erholt haben, verschwindet Beth aus dem Zimmer und wenig später höre ich sie unter der Dusche singen.

„Sie singt schön“, bemerke ich und Zuzu, die auf meinem Bett hockt nickt. Ich packe meinen Koffer aus und staple die Klamotten in meinem Schrank.

„Du, wie kommt´s dass du nach Berlin ziehst?“, fragt Zuzu, während sie mein Kuscheltier genau beäugt.

„Ich habe früher in Berlin gewohnt“, beginne ich, ich sage einfach nur so viel, wie nötig, und so wenig, damit ich sie nicht belügen muss.

Ich möchte Zuzu einfach nicht belügen, schließlich ist sie diejenige, mit der ich heute am meisten zu tun hatte. Auch wenn Elisabeth überall dabei war, mit Zuzu verstehe ich mich besser. Mit ihr kann ich mehr plaudern und sie scheint mich zu durchschauen… Zumindest was Andrew angeht.

„Ach ehrlich“, überrascht schaut die Afrikanerin auf.

„Ja, Papa und ich haben in Friedrichshain-Kreuzberg gewohnt, am Landwehrkanal“, erzähle ich und versuche den traurigen Kloß runterzuschlucken, der sich dort breit gemacht hat. Zuzu scheint es nicht zu bemerken und schaut sich die Bücher durch, die ich neben meinem Bett aufgestapelt habe. Interessiert liest sie sich die Klappentexte auf den Rückseiten durch. Ein paar Bücher scheinen ihr tatsächlich zu gefallen. Auch wenn ich meistens Gedichte lese, hin und wieder habe ich auch mal einen Schmöker. Und diese wenigen scheinen Zuzu zu gefallen. Gerade liest sie den Buchrücken von „Die Hütte“.

„Kannst du haben wenn du willst“, grinse ich.

„Wirklich?“, fragt mich die 21-Jährige.

„Na klar!“

„Na gut. Aber du kriegst es wieder, spätestens in einer Woche!“, fährt Zuzu fort, „Dann bist du ja eigentlich eine richtige Berlinerin!“

Ich nicke. Ich bin zu 50% Berlinerin und zu 50% Ramholzerin. Aber worauf ist man nun mehr stolz? Na klar, auf Berlin!

„Und wo kommst du eigentlich her Zuzu?“, frage ich sie.

„Ich komme aus Kapstadt, doch dort ist es ziemlich gefährlich auf den Straßen. Außerdem habe ich mich oft gefühlt wie in einem goldenen Käfig“, meint sie ganz lässig. Doch irgendetwas lässt mich ihr das nicht abnehmen. Sie war zu lässig. Zu sehr darauf konzentriert cool zu klingen, es nebensächlich erscheinen zu lassen. Da war etwas, was sie mir eindeutig nicht sagen will, doch ich belasse sie in dem Glauben, dass ich ihre fadenscheinige Lüge abkaufe.

Ich nicke nur.

Wir reden noch ein bisschen. Ich erzähle, dass ich an der AMD ein Stipendium bekommen habe. Ein Stipendium für Modedesign. Sie erzählt, dass sie sich überlegt mit dem Modeln aufzuhören, doch sie steht im Moment noch unter Vertrag. Das ewige Kalorienzählen geht Zuzu nämlich gewaltig auf den Keks.

Dann höre ich wie das Wasser im Bad ausgeschaltet wird und der Fön angeschaltet wird. Durch mein Zimmerfenster scheinen die letzten Strahlen. Die Sonne versinkt hinter den Dächern Berlins. Im Westen. Mein Zimmerfenster schaut nach Westen. Die eine Eiche in unserem Hinterhof leuchtet in rot-orangenen Tönen und ich glaube das Rauschen der Blätter im Wind durch die Fenster zu hören. Doch das ist natürlich Quatsch. Plötzlich glaube ich mich an etwas zu erinnern.

Nun stehen wir hier. Ich mit meinen jungen 14 Jahren und Joshua nicht viel älter. Unter dieser wunderschönen Eiche. Er hält meine Hand fest in seiner. Die Schmetterlinge flattern, um mich herum und in meinem Bauch. Seine schwarzen langen Wimpern kitzeln mich an der Stirn. Ich spüre seinen zarten Atem in meinem Gesicht. Ein zarter Hauch und der Geruch, der unverkennbar ihm gehört. Seine zerzausten Haare tanzen im Wind und lassen die Schatten flattern. Mit der zweiten Hand streicht er mir zart über meine rosigen Wangen. Meine Wangen sind immer rosé, aber heute hatte das zweierlei Gründe. Ich fühle mich geborgen bei ihm. Mein Herz schlägt schnell, als er mich – hier, unter dem Baum der Liebenden – zärltich küsst. Es war nur ein Hauch. Ein zarter Beginn von etwas ganz großem, etwas zerbrechlichem. Wie eine Knospe zart. In diesen wenigen Momenten, in denen wir vereint unter der Eiche stehen, fallen mir unendliche Gedichte, Verse und Strophen ein. Ein seliges Lächeln macht sich auf meinen Lippen breit und lässt meine Augen glitzern...

Mitten in Berlin *on hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt