Kapitel 6 - Alpträume
Es ist Nachmittag. Joshua und ich stehen wieder hier, in der Wiener Straße unter dem Baum der Liebenden, unter dem unsere Geschichte anfing, als er mich das erste mal küsste und ich zum ersten Mal erleben durfte, wie es ist verliebt zu sein. Dieser Platz wurde nach und nach immer mehr zu 'unserem Platz' und zu unserem Baum. Mein Fahrrad steht an den Baum gelehnt da, vor mir Joshua, der mich anlächelt. „Heute vor einem Jahr habe ich dich zum ersten Mal geküsst“, flüstert er umsichtig und schaut mich liebevoll mit seinen klaren grauen Adleraugen an. Dieser Blick geht durch Mark und Bein und lässt meine weiche Knie zittern und mein Herz eine Nuance schneller schlagen. „Hier, die hier sind für dich“, haucht er und drückt mir eine Packung Lindt Mini Pralines in die Hand. Im nächsten Moment spüre ich seine samtweichen Lippen auf meinen. Ich schließe die Augen. Seinen Arm schlingt er um meine Taille und ein warmes Prickeln überzieht meine Haut. Dann küssen wir uns noch einmal sanft, bevor wir uns voneinander lösen. Er sieht mich liebevoll lächelnd an, dann zieht er aus seiner Hosentasche ein Taschenmesser, mit mir an der Hand ritzt er unsere Initialien in die alte Rinde der Eiche. Danach packt er das Taschenmesser weg und geht mit mir an der Hand in den angrenzenden Görlitzer Park. Die Frühlingssonne kitzelt mich. Der Geruch nach Krokusen legt sich sanft auf meine Haut. Er küsst mich stürmisch. Sanft hält er meine Wangen mit beiden Händen fest, während er mich mit seinen Küssen liebkost. Ich bin so glücklich, dass ich die ganze Welt umarmen möchte. „Ich liebe dich“, flüstert er zwischen unendlichen Küssen. „Ich dich auch“, wispere ich. Ich fühle mich beflügelt und ganz flattrig, wie als könnte ich gleich abheben. Fliegen. „Darf ich sie um einen Tanz bitten“, fragt er mich nach einer Weile. Meine Wangen färben sich rosig und ich nicke. Er greift nach meinen Händen und wir beginnen uns holprig zu bewegen. Ganz nah an meinem Ohr summt er eine unbekannte harmonische Melodie. Seine Stimme ist wie Honig. Golden und klar. „Du tanzt wundervoll“, flüstert er reizend. „Du aber auch“, kichere ich und dann beginnen wir uns um die eigene Achse zu drehen. Ich möchte am liebsten vor Freude zerspringen.
Wir beginnen uns zu drehen, wie in einem Kinderkarussell. Ich liebe die Karussells auf den Jahrmärkten, die wir jedes Jahr besuchen, doch dieses Drehen war unkontrolliert. Schnell. Unvorhersehbar. Wir werden schmerzhaft nach vorne geschleudert. Der Gurt schneidet schmerzhaft ins Fleisch. Das Hupen dröhnt in meinen Ohren... Stille...
Schweißnass und zitternd erwache ich. Mein Bett ist vollkommen durcheinander. Wie meine Gedanken. Wie meine Träume. Meine Schläfen pochen und mein Herz schlägt wild. Mein Mund fühlt sich an wie eine Wüste und hat einen bitteren Geschmack. Ich versuche die Gedanken an diesen schrecklichen realen Traum zu verdrängen, doch diese Erinnerungen sind hartnäckig und nervenaufreibend. Ich wische mir die salzigen Schweißperlen vom Gesicht und an meinen Händen bleibt Mehl haften. Verdammt!
Ich sehe an mir herab. Ich trage immernoch das weiße top und die buntgemusterte Hose, doch bunt ist übertrieben, eher mehlweiß. Auf meinem Nachtschränkchen steht ein Glas Wasser, ich greife danach und lasse das kalte Wasser meine staubtrockene Kehle herunterrinnen. Ah das tut gut!
Ich stehe auf und ziehe mir ein Cardigan über. Es ist kalt im Zimmer, vielleicht auch nur wegen dem Alptraum. Ich fröstele und eine Träne rollt über meine Wange. Die Fensterscheiben sind beschlagen. Mein Zimmer ist unaufgeräumt. 2 Umzugskisten stehen in der Ecke. Mein Koffer liegt geöffnet in der Mitte des Zimmers. Mein Bücherstapel habe ich anscheinend umgeworfen, als ich geträumt habe. Es ist still. So still, wie ich es nicht gewohnt bin. Sonst wäre Tante Bella sofort bei mir am Bett gesessen und mich getröstet. Meine Brust schmerzt. Tante Bella. Mein liebster lebender Verwandter. Ich vermisse sie ein wenig. Mit zittrigen Händen schreibe ich ihr eine kleine Message. „Miss u“
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Mitten in Berlin *on hold*
RomantizmKlappentext: Pünktlich zu Mimis 19. Geburtstag zieht sie in eine WG nach Berlin. Mit Berlin verbindet sie ihre glückliche Kindheit, doch durch einen Schicksalsschlag musste sie mit 16 Jahren aufs Land zu ihrer leiblichen Mutter ziehen. Die WG ist to...