Kapitel 7
Sereny
Für den Hauch einer Sekunde sah sie nichts, weil Wesley ihr einfach das Laken über den Kopf geworfen hatte und sie eine Weile brauchte, um es von ihrem Gesicht zu ziehen und mit einer Hand um ihre Schulter festzuhalten. Und als sie das geschafft hatte, stand Sereny schon außerhalb des Büros und wurde von ihrem Bruder gnadenlos zu einer Treppe gezerrt.
Die Panik, dass er sie herausschmeißen würde, war vergangen, denn so sehr sie die Launen ihres jüngsten Bruders auch fürchtete, er würde sie nicht nach oben zerren und sie vom Dach werfen oder so etwas. So war Wesley nicht. So war er nie gewesen. Auch wenn sie vor ein paar Jahren bei einem Sachverständigen etwas anderes behauptet hatte.
Wesley war dickköpfig und jähzornig, aber er war nie irgendjemanden gegenüber gewalttätig gewesen. Bis zu dem Tag, als dieses andere männliche Model ihn angegriffen hatte.
Gerne hätte Sereny auch geglaubt, dass es bei diesem Ausrutscher geblieben war, aber sie wusste, was für eine Bar Ashton betrieb und sie hatte Wesleys Oberkörper gesehen, als er so unvermittelt in das Büro hereinspaziert war.
Er war noch genauso schön, wie er es immer gewesen war, selbst wenn die dicke wulstige Narbe einmal quer über sein Gesicht dafür sorgte, dass nicht alle es so bemerkten wie sie. Wesley schien nicht selten in den Ring zu steigen und den Kämpfen nachzugehen, für dessen Veranstaltung Ashton sein Geld verdiente. Irgendwie fühlte sie sich dafür verantwortlich, auch wenn es natürlich in erster Linie Wesleys Entscheidung war, das zu tun.
Sereny sah in ihm noch immer ihren hübschen Bruder, auf den sie jahrelang etwas eifersüchtig gewesen war, weil er die Aufmerksamkeit ihrer Mutter erhalten hatte, die ihr verwehrt worden war.
Mit der Narbe und den Hämatomen an seinem Körper, die alle unterschiedlich alt zu sein schienen, aber wirkte er nicht mehr so harmlos wie früher. Er wirkte aggressiv, gefährlich und unberechenbarer.
Er hatte ihr einen riesigen Schreck eingejagt, als er einfach so in das Büro geplatzt war und diesen Schock legte Sereny gerade nur ab. Gerade noch rechtzeitig, denn Wesley erreichte das Ende der Treppe. Etwas mühselig schob er eine Tür auf, die direkt daran mündete und schob sich dann mit ihr hindurch.
Wie perplex stand Sereny daraufhin in einem riesigen Apartment, das von einer großen Küche dominiert wurde, die tatsächlich so aussah, als würde irgendwer sie benutzen. An einem Tresen saß Ashton vor einem Bildschirm und schien zu arbeiten. In seiner Hand eine kleine Tasse Espresso, die zwischen seinen langen Fingern geradezu lächerlich aussah.
Er hatte beim Trinken innegehalten und starrte erst Sereny und dann seinen Bruder an.
"Du lässt sie in deinem Büro schlafen? Wo jeder einfach reinspazieren kann?" fragte Wesley vorwurfsvoll und Ashton stöhnte etwas genervt. Stellte die Tasse ab und legte seine Arbeit beiseite, um sich voll und ganz auf Sereny und Wesley zu konzentrieren.
"Normalerweise bist nur du es, der dort einfach hereinspaziert, ich dachte, du wärst clever genug die Tage bei dir zu schlafen", meinte er und schnaufte, als wäre Wesleys Vorwurf eine Nebensächlichkeit.
"Weil es notwendig ist, sie vor mir zu verstecken? Hälst du mich für so einen schlechten Einfluss? Liegt an den Kämpfen? Denkst du ich würde ihr etwas antun? Hällst mich für einen Typen?", fragte Wesley und Sereny spürte wie der Griff um ihren Arm fester wurde und gab einen kleinen Schmerzenslaut von sich, der dafür sorgte, dass sich Ashtons Blick auf sie legte und er von einer Sekunde auf die andere ganz und gar nicht mehr so gelassen aussah.
Mit einem Knall stellte Serenys ältester Bruder seine Tasse ab, trat auf Wesley und Sereny zu und schlug die Hand seines Bruders von ihrem Arm.
"Vielleicht willst du ihr nicht bewusst wehtun, aber du tust es dennoch!", mahnte Ashton Wesley und wandte sich dann zu Sereny.
"Leg dich in mein Schlafzimmer, da kannst du abschließen. Ich hole deine Sachen nach oben und kümmere mich um ihn", meinte er und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung einer der wenigen Türen, die in ein angrenzendes Zimmer führten.
Sie rieb sich kurz den Arm, den Wesley etwas zu fest gepackt hatte und stellte fest, dass der Schmerz längst vergangen war, alles, was ihr in diesem Moment zusetzte, war die Aussicht in das Bett ihres Bruders zu steigen.
Sie spürte wie sie plötzlich verlegen wurde und ihre Ohren fingen an mit Glühen. Sie hatte noch nie im Bett eines Mannes gelegen und obwohl sie nie darüber nachgedacht hatte in Wesley oder Ashton mehr zu sehen als ihre Brüder, begann es jetzt in ihren Magen zu kribbeln.
"Dein Bett? Du hast ein Gästezimmer!", entfuhr es Wesley vorwurfsvoll und Ashton baute sich vor seinen jüngeren Bruder auf.
"Dass von deinem Zeug belagert ist. Du hast recht, es war dumm sie im Büro unterzubringen, wo die Chance besteht, dass du sie belästigst und jetzt lass sie endlich schlafen!", forderte Ashton unnachgiebig.
"Geh ins Bett Sereny!", meinte er dann wieder zu Sereny ohne sie anzublicken. Diesmal aber beschloss sie sofort auf ihn zu hören und nicht auf den Streit ihrer Brüder zu achten. Ashton hatte recht. Sie musste schlafen und das dringend, da konnte sie sich nicht von ihren Brüdern oder albernen Schmetterlingen im Bauch ablenken lassen. Der Gedanke war auch lächerlich, sie musste diese Idee schnell wieder aus ihrem Kopf bekommen. Sie würde bereits kaum die Möglichkeit haben, ein normales Geschwisterverhältnis zu den beiden aufzubauen. An mehr zu denken...nein. Unmöglich.
DU LIEST GERADE
Sereny - A Woman's World Tale - Leseprobe
RomansIn einer Welt von genetischer Perfektion und der Vorherrschaft der Frau lebt die junge Sereny Sinclaire ein eigentlich perfektes Leben. Zusammen mit ihrer Mutter treibt sie ihre Model-Karriere an und versucht, alles um diese Stolz zu machen. Bis zu...