Kapitel 4

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Die Reste aus meiner Kaffeetasse schlürfend stand ich auf und trottete zu Chajeus Büro, um ihn um Erlaubnis zu bitten, loszufahren und die Bekannten des Opfers zu Befragen. Der Weg fühlte sich ewig lang an. Als ich endlich bei der Tür ankam, klopfte ich leise an. Chajeu hatte so hyperempfindliche Ohren, deshalb durfte man nie zu laut sein. Mein Chef antwortete mit einem leise 'Ja' und ich öffnete die Tür. "Guten Morgen. Ich wollte Sie fragen, ob ich vielleicht die Angehörigen des Opfers befragen dürfte, da ich auch bei genauerem Hinsehen keinerlei Auffälligkeiten in den Steckbriefen gefunden habe, aber mir noch einige Informationen fehlen.", versuchte ich es mit sehr viel Selbstbewusstsein rüberzubringen. Meine Augen flehten ihn ebenfalls an. Einige Momente überlegte Chajeu, bevor er schließlich zustimmte. Ich hätte ihn vor Freude umarmen können. Man konnte es kaum in Worte fassen, wie sehr mich Büroarbeit störte. Natürlich musste auch diese Arbeit gemacht werden, aber dass sollten dann doch bitte so Hyperbrains wie Emma oder so machen. Sie mochte eh keine Außeneinsätze, also.

Da ich noch eine Person mitnehmen sollte, die auch an dem Fall arbeitete, wählte ich Charlie. Charlie war noch relativ neu und kannte sich hier nicht so gut aus. Er hat noch nicht gecheckt, wie das ganze hier aufgebaut war, deshalb sollte es eigentlich einfach sein, mit ihm zu agieren. Sobald wir beide in dem Auto saßen, erklärte ich ihm: "Also. Ich bin der Einsatzleiter dieser Mission, also habe ich das Sagen. Egal, was ich dir befehle du tust es  okey. Das ist nicht das erste Mal, dass ich soetwas tue, ich habe also Erfahrung und weiß genau, was ich tue. Es ist ganz wichtig, dass du auf mich hörst, sonst kannst du uns beide in ganz große Schwierigkeiten bringen. Versprichst du mit, dass du auf mich hören wirst?" Er nickte. "Okey, dann kannst du jetzt losfahren.", befahl ich, und er tat wie ihm gesagt wurde. Irgendwann würde ich für diese kleine Einschüchterungsrede noch Ärger kriegen, aber das interessierte mich in dem Moment herzlich wenig. Ich war einfach nur glücklich, dass ich ein trainiertes Schoßhündchen zur Seite hatte. Entspannt machte ich das Radio an und schloss die Augen. Man konnte ja seine Zeit bis zum ersten Ziel auch so verbringen.

Irgendwann stupste Charlie mich an. Ich war halb eingenickt und habe wohl ein wenig vor mich hingedöst. Nun stand unser Streifenwagen vor einem kleinem, gemütlich aussehendem Einfamilien-Haus. Der Plan, den ich extra gemacht hatte, sagte mir, dass das dort das vermeintliche Haus des Bruders des Opfers war. Kurz schluckte ich. Es war immer schwer so kurz nach dem Tod einer Person mit den Angehörigen zu reden. Und ich wusste nicht, ob es schlechter wäre, wenn er schon wusste, dass sein Bruder tot war, oder wenn ich die Todesnachricht überbringen würde. Ich schätze, dass zweite ist immer schlechter. Mit einer Handbewegung bedeute ich Charlie mir zu folgen. Das tut er, artig wie er ist, auch. Noch einmal tief durchatmend klingelte ich schließlich. Hinter mir konnte ich hören wie auch Charlie scharf die Luft einzog. Während wir warteten überlegte ich mir, was ich sagen sollte. Ein Gespräch mit einem vor Tränen aufgedunsenem, neununddreizig jährigem Kerl, würde wahrscheinlich nicht so viel ans Licht bringen.

Nach einigen Momenten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet und ein finsteres Gesicht starrte dahinter hervor: "Was wollt ihr?", schnauzte der Mann mich an. Beinahe wäre ich sauer geworden. Es war doch offensichtlich, dass wir Polizisten waren und es sich um etwas Wichtiges handelte. Zur Beruhigung atmete ich langsam Ein und Aus. Dann antwortete ich mit der freundlichen Stimme, die ich in dieser Sekunde aus meinem Inneren herauskramen konnte: "Wir sind wegen ihrem Bruder gekommen. Wir müssen Ihnen ein paar Fragen zu ihm stellen." Zuerst kam überhaupt keine Antwort. Dann flüsterte der Kerl hinter der Tür bedrohlich: "Ich bin nicht mein Bruder. Warum sollte ich wissen, was der schon wieder für Scheiße gebaut hat." Langsam riss mir der Geduldsfaden. Mich nocheinmal zusammenreißend schüttelte ich den Kopf und erwiderte: "Nein, Ihr Bruder hat keinen Scheiß gebaut. Ganz im Gegenteil. Er ist tot. Gestern wurde er mit fünf Stichen in der Seite etwas außerhalb der Stadt gefunden. Mein Beileid." Nun nur noch aggressiver fragte der Mann: "Und was soll ich damit zu tun haben?! Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen!" Ich seufzte auf. Nicht einmal ein kleines Stückchen Trauer war in seiner Stimme zu hören. Es schien ihn gar nicht zu interessieren, dass sein Bruder tot war, gar ermordet wurde. "Sir, wir möchten ihnen wirklich nur ein paar Fragen über die Hobbys ihres Bruders und die Familiensituation stellen. Und wenn Sie die Tür weiterhin verschlossen halten, müssen wir die Tür leider aufbrechen und sie mit aufs Revier nehmen, um sie dort zu Befragen.", erklärte ich dem Mann die Lage.

Loose Youself In The PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt