Kapitel 9

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Es gab absolut keinen Grund, warum ich mich schuldig fühlen sollte. Jakarta war es schon lange schlecht gegangen, bevor ich zurück nach Alaska gekehrt war, das hatte meine Mutter mir erzählt. Die Schlange hatte seit Monaten Probleme mit der Verdauung gehabt und Dad hatte schon mehrmals den Tierarzt gerufen. Er hatte versucht, Jakarta mit allen möglichen Medikamenten zu behandeln, doch sie hatte sich trotzdem nach jeder Mahlzeit übergeben. In letzter Zeit hatte sie eher das gegenteilige Problem gehabt, wie sich herausstellte. Ich hatte dem Tierarzt durch die geöffnete Wohnzimmertür zugehört. Das letzte Medikament hatte bei Jakarta eine Verstopfung ausgelöst, ihr Darm war mit vertrocknetem Kot gefüllt und eine weitere Behandlung würde nur unnötige Kosten verursachen. Wie gesagt, ich empfand gar nichts für diese Schlange, wieso begann ich dann zu hyperventilieren und hatte mit den Tränen zu kämpfen, als ich erfuhr, dass Jakarta eingeschläfert werden musste? Das fragte mich auch meine Mutter, als sie mich zusammengekauert neben der offenen Gartentür vorfand.

»Seit wann hängst du denn an der Schlange?«, fragte sie mich und klang verwirrt.

»Ich habe gestern Nacht nach ihr gesehen.«, keuchte ich.

»Seit wann liegt dir denn etwas an Jakarta?«, fragte sie mich wieder. »Du wusstest doch überhaupt nicht, dass sie krank ist.«

Ich wusste selbst, dass es absolut keinen Sinn machte, was ich als nächstes sagte:

»Wenn ich erkannt hätte, dass sie krank ist, hätte ich sie retten können.«

»Nein, hättest du nicht.« Mum verschränkte die Arme vor der Brust und ließ ihren Blick auf mir ruhen. »Der Schlafmangel lässt dich nicht mehr klar denken, was?«

Mum kam auf mich zu und packte mich am Arm, als wollte sie sie mich vom Boden aufheben.

»Komm mit, du musst dir das nicht länger anhören.« Zum zweiten Mal an diesem Tag folgte ich ihr in die Küche, wo sie den Wasserkocher nahm und ihn mit Leitungswasser füllte. Ich konnte das Gefühl, an Jakartas Tod schuld zu sein, nicht abschütteln, egal wie oft ich mir klarmachte, dass ich absolut nichts dafür konnte. Als ich das meiner Mutter erzählte, lachte sie mich nur aus.

»Lia, hör auf hysterisch zu sein.«, fuhr sie mich an und knallte mir eine Tasse Kräutertee vor die Nase, sodass das heiße Wasser überschwappte. Wie sehr ich mir wünschte, ich könnte ihren Ratschlag befolgen. Mir war klar, dass ich aufhören musste, aber mein Gehirn ließ mich nicht in Ruhe. Nachdem Mum mir ungefragt Tee gemacht hatte, verließ sie wortlos die Küche und stieß an der Tür mit Timmi zusammen.

»Wohin so eilig?«, fragte er sie neugierig. Mum lachte und legte ihm die Hände auf die Schultern.

»Ich muss nach draußen schauen zu Jason und dem Tierarzt.« Timmi schaute ihr verwirrt hinterher, als sie in den Flur stürmte.

»Wieso ist der Tierarzt da?«, fragte mich mein Bruder. »Und wieso bist du schon wieder verheult?«

»Jakarta wird eingeschläfert.«, erzählte ich ihm und erklärte anschließend, was der Tierarzt gesagt hatte und wieso ich deswegen verheult war.

»Arme Jakarta.« Timmi seufzte. »Dad werden wir für ein paar Tage nicht zu Gesicht bekommen.«

»Meinst du?«

»Dad hat im Mai über tausend Dollar in die Schlange investiert. Alles für nichts!« Timmi kramte in den Küchenschränken herum.

»Woher hat er eigentlich das Geld?« Timmi zuckte die Schultern.

»Mum verdient auch nicht so viel. Ich weiß nicht, was er für seine Verkäufe bekommt.« Dad ging keinem geregelten Job mehr nach, seit er seine letzte Anstellung als Informatiker verloren hatte. Seitdem erwirtschaftete er sich ein wenig durch seine kleine Landwirtschaft. Er hatte ein paar Gemüsefelder hinterm Garten und verkaufte die Ernte und Eier an einen lokalen Laden im Städtchen Eagle River. Was er auch immer damit verdiente, viel konnte es nicht sein und finanziell hing die ganze Familie vom Job unserer Mutter als Musiklehrerin ab.

American Aspie (2021)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt