Kapitel 13

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Es war nicht so als hätte ich erwartet, bis Sonntag nicht zu überleben, aber ich war doch froh darüber mit dem Gewissen aufwachen zu können, dass ich heute nicht ins Dorf geschickt werden würde. Dad hatte mir gestern versprochen, dass ich heute nirgendwo hinfahren musste, nachdem er mich gestern nach Anchorage und wieder zurück gescheucht hatte. Er hatte mich wie in der Fahrschule eine Stunde lang fahren lassen, aber es war mir weniger anstrengend vorgekommen als die kurze Fahrt zum Supermarkt am Tag zuvor. Es hatte wahrscheinlich daran gelegen, dass Dad neben mir gesessen hatte und ich versichert sein konnte, dass er mich ablösen konnte, wenn ich nicht mehr fahren konnte. Sowohl er als auch ich waren stolz auf mich gewesen, aber ich hatte nicht das Bedürfnis, je wieder hinter einem Lenkrad zu sitzen. Natürlich würde es nicht lange dauern, bis mein Vater mich wieder dazu zwingen würde, aber diesen Gedanken konnte ich heute getrost verdrängen. Ich lief heute Morgen mit erstaunlich guter Laune die Straße entlang. Es verwunderte mich immer wieder, wie heiß es in Alaska werden konnte. Würde die Sonne nicht schon früh am Morgen drohen, mich bei lebendigem Leibe zu verbrennen, wäre ich vielleicht länger gelaufen, aber bei diesen Temperaturen hielt ich es bei bestem Willen nicht länger als zwanzig Minuten aus. Es war neun Uhr früh und Sonntags war um diese Zeit nur Dad wach, dem ich in der Küche begegnete, als ich mir etwas zu trinken holte. Wir sprachen kein Wort miteinander, nichts war verwunderlich an diesem Morgen, bis ich hinauf in mein Zimmer ging. Timmi schlief schon unter der Woche mindestens bis elf Uhr, weshalb es mich doch sehr verwunderte, dass er heute nicht nur schon auf war, sondern auch komplett angezogen.

»Guten Morgen.« Normalerweise hielt ich es für unnötig, Mitglieder meiner eignen Familie jedes Mal zu begrüßen, wenn ich sie sah, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, Timmi hatte sich zur Belohnung eine Begrüßung verdient, da er sich heute aus irgendeinem Grund die Mühe gemacht hatte, zu menschlicher Zeit wach zu sein. Er grüßte nicht zurück und blieb starr neben seinem Bett stehen, während ich Kleidung aus meinem Schrank holte. So seltsam führte er sich immer auf, wenn er wusste, dass er das Haus verlassen musste. Vielleicht wollte Mum ihn mit in die Kirche nehmen, was konnte ich schon wissen? Sie hatte eigentlich angekündigt, wieder die evangelische Kirche in Eagle River zu besuchen, sobald sie wieder öffnete, aber es fanden schon seit April wieder Gottesdienste statt und Mum war noch nicht dort gewesen. Mir konnte es ja auch egal sein. Ich stellte mich nur kurz unter die Dusche und zog mich im Badezimmer um, als ich zurück in unser Zimmer kam, stand mein Bruder immer noch am gleichen Fleck.

»Hast du heute was vor?«, fragte ich ihn neugierig. Timmi nickte und machte unerwartet einen Satz auf mich zu, um mich am Arm zu packen.

»Ich fühle mich so schlecht, dich das zu fragen, aber kannst du mich ins Dorf fahren?«

»Nach Eagle River?« Timmi nickte.

»Wieso fragst du gerade mich?« Mein Bruder senkte den Blick und ich konnte sehen, dass seine Wangen einen leichten Rosaton annahmen.

»Du bist die einzige, die ich fragen kann.«

»Willst du Mum und Dad etwas verheimlichen?« Timmi starrte mich mit glänzenden grünen Augen an.

»Willst du in Eagle River Kokain erwerben oder was?«, fragte ich ihn verwirrt.

»Nein!« Timmi schüttelte vehement den Kopf.

»Was soll dann die Heimlichtuerei?«

»Ich will nicht, dass Mum mir Fragen stellt.« Timmi begann, hektisch zu lachen.

»Hast du ein Date?« Als ich diese Frage stellte, wechselte seine Gesichtsfarbe von rosa zu scharlachrot.

»Ja?« Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch, sodass sie fast mit einem Haaransatz zusammenstießen. Timmi nickte.

American Aspie (2021)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt