Kapitel 9

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"Wow, Inés, das war vielleicht nen Auftritt!", rief Robin aufgebracht, als Inés sich in ihrem Bett in der Unterkunft zurechtgefunden hatte. Er schien es sich nicht anmerken lassen zu wollen, aber Inés sah die leichte Besorgnis in seinen Zügen.
"Was hast du denn gemacht? Du siehst ja völlig durch den Wind aus!"
Inés rieb sich den schmerzenden Kopf.
"Au! Ich – ich hatte einen Albtraum. Da war ein Altar ... und der Phönix! Die Symbole ... ich wusste, was ich machen musste. Woher? Und die Stimme, das war Adrania! War sie es wirklich oder ... wünsche ich mir das nur? Die Symbole ..." Robin zog die Stirn kraus.
"Jetzt mache ich mir ernsthafte Sorgen, Nessie", meinte er mit einem prüfenden Blick. Inés richtete sich schwerfällig auf, sank aber wieder zurück in ihr Kopfkissen.
"Das war ... gruselig", sagte sie. Bei sich selbst dachte sie allerdings: Der Vogel hat mir nichts getan. Er hat mir helfen wollen. Ich verstehe das alles nicht ... Was war das für ein Traum?
"Nochmal für Dumme, bitte: Was um Himmels willen hast du geträumt, dass dir so zusetzt?"
Schnell erklärte sie ihm, was er wissen wollte. Es wunderte sie, dass sie sich noch an jedes Detail erinnerte.
"Runen? Welche Sprache war das?", fragte Robin daraufhin aufgebracht. Inés biss sich auf die Lippe.
"Ich habe keine Ahnung ... meinst du, wir können das herausfinden?"
"Klar doch! Gehen wir gleich morgen früh in die Bibliothek!"
Inés ließ sich die Idee kurz durch den Kopf gehen.
"Was, wenn wir damit irgendwie Aufmerksamkeit erregen? Es waren königliche Soldaten, die uns angriffen. Wenn die nach uns suchen? Wenn wir uns bei Leuten nach einem Phönix und einer mysteriösen Sprache durchfragen, könnte das nicht jemandem zu Ohren kommen, der ... ich weiß nicht, die Soldaten alarmiert?" Aber Robin schien keine großen Bedenken zu haben.
"Ich bin mir sicher, dass da niemand kommt, nur weil wir alte Sprachenbücher durchforsten." Inés tat seine Unerschütterlichkeit gut, aber sie war trotzdem noch unsicher.
"Wir müssen vorsichtig sein, Robin." Der nickte bloß, dann legte er sich wieder hin. Mit einem letzten Blick durch das Fenster auf die vielen Sterne schliefen beide wieder ein.
"Kekse!", rief Robin am nächsten Morgen erfreut. Noch schläfrig rieb Inés sich die Augen.
"Wo hast du die denn her?" Robin stand breit grinsend mit einem Teller Kekse an ihrem Bett.
"Ich hab Charme, wenn ich will." Inés lachte laut auf.
"Du hast jemandem die Kekse abgeschwatzt?"
"Sozusagen ... das Mädchen an der Essensausgabe war ein bisschen bezaubert von mir, glaub ich, und da dachte ich mir, vielleicht kriege ich die Kekse ja auch umsonst, wo ich doch so wenig Geld hab ... und ich bat sie sogar nur um zwei Kekse! Der ganze Teller war ihre Idee!" Er blinzelte unschuldig. Inés lachte so laut wie schon lange nicht mehr.
"Du bist ein Schatz, Robin!" Dieser hielt ihr den Teller hin.
"Kekse als erste Mahlzeit des Tages hatte ich auch noch nie", bemerkte Inés kurz darauf mit vollem Mund.
"Echt nicht? Ich mach das täglich! Naja, wenn Paps mich nicht entdeckt ..."
Nach diesem "Frühstück" zog Inés sich noch ihre Tagesklamotten an, dann gingen die beiden hinunter in den kleinen Essensraum des Gasthauses. Außer ihnen waren noch drei andere Personen da. Inés und Robin gesellten sich zu ihnen an den Gemeinschaftstisch. Robin unterhieltet sich fröhlich mit allen gleichzeitig und sie erfuhren, dass einer der Gäste ebenfalls in die örtliche Bibliothek wollte. Es war eine ältere Frau mit liebevollen Lachgrübchen unter den anfänglichen Falten und leichten Sommersprossen.
Sie erklärte sich einverstanden, die beiden "reisenden Entdecker", als die sich Inés und Robin ausgegeben hatten, zur Bibliothek zur begleiten, da sie wusste, wo diese war. Die drei verabredeten sich in einer viertel Stunde am Eingang des Gasthauses.
"Hier, die Landkarte." Inés hielt sie Robin hin.
"Danke."
"Was hälst du von der Dame?"
"Elrien?"
"Ja."
"Sie ist doch total nett."
"Ich hab Angst, dass sie was herausfindet."
"Die wird und schon nicht verraten."
Inés schulterte nachdenklich ihren Rucksack.
"Fertig?"
Robin grinste. "Klaaaaro"
Auch Inés rang sich ein Lächeln ab.
Wenig später standen sie an der Tür zur Straße, wo Elrien schon auf sie wartete.
Diese führte sie draußen über die bunten Straßen, durch Gassen, und schon bald hatte Inés die Orientierung verloren. Kurz darauf standen die drei vor der Bibliothek.
"Das ist wunderschön!", fand Robin. Damit meinte er das Bibliotheksgebäude, und das war wirklich wunderschön. Es sah schon alt aus, besaß große, geschmückte Säulen und Buntglasfenster von der Decke zum Boden.
"Kommt mit, ich kenne eine der Bibliothekarinnen. Was wollt ihr eigentlich in der Bibliothek?"
Robin wollte schon antworten, aber Inés fiel ihm dazwischen. Sie vertraute seinen Lügekünsten nicht wirklich.
"Wir wollen etwas über Greife herausfinden. Das sollen doch so majestätische Tiere sein, aber es ist fast nirgendwo etwas über sie geschrieben. Wir dachten uns, in dieser großen Bibliothek kann man doch bestimmt was herausfinden."
Elrien nickte nur.
Als sie in der Bibliothek waren, staunten sie noch mehr. Das Licht fiel strahlend durch die Fenster und die leicht stickige Luft roch nach uraltem Pergament und Tinte. Zwischen den riesigen Regalen voller alter Schmöker wuselten Menschen herum, notierten sich Zeilen mit Tinte auf Papier und fuhren mit den Fingern über die Buchrücken, auf der Suche nach dem richtigen.
"Dort vorne ist Anbelia. Hey, Ann!", sagte Elrien mit gesenkter Stimme, um die Bibliotheksruhe nicht zu stören. Die Frau, auf die Elrien gezeigt hatte drehte sich um und lächelte breit, als sie sie bemerkte.
"Ellie! Wie schön, dich zu sehen!" Sie kam auf sie zu.
Nach einer herzlichen Begrüßung im Flüsterton führte Anbelia sie schon zu dem Buch, das Elrien einsehen wollte. Sie notierte sich Einiges – es schien ein Stammbaum zu sein – dann führte sie sie zu Büchern über Greife. Auch wenn sie das ja eigentlich gar nicht gebraucht hatten, war es wirklich interessant, über Greife zu lesen. Sie hatten Glück, denn Elrien musste bald darauf wieder weiter und Anbelia begleitete sie zum Ausgang. Inés und Robin fragten sich schnell zu Büchern über Sprache durch.  Sie durchforsteten das gesamte Regal. Nichts.
"Lass uns doch mal jemanden fragen. Das geht bestimmt schneller.", schlug Robin vor.
"Nach was sollen wir denn bitte fragen? 'Kennen Sie zufällig eine alte Sprache mit seltsamen Zeichen, von der wir noch nie etwas gehört haben, und die eventuell mit Phönixen zusammenhängt? ' Wer soll uns das denn abnehmen, ohne verwundert zu sein?"
Robin zuckte zerknirscht mit den Schultern.
"Dann lass uns weitersuchen."
Sie suchten und suchten und suchten. Glücklicherweise kam Anbelia nicht noch einmal zurück.
"Hier!" Robin hielt Inés ein Buch unter die Nase.
"Da drin geht es um Phönixe. Angeblich gibt es eine Sprache, die von ihnen ausging. Keine Sprache, die man in einem bestimmten Gebiet sprach, sondern eine", er senkte die Stimme noch weiter, "die einzig und allein Magie beschwörte."
Inés sah ihn mit großen Augen an. "Magie? Ja ... das passt. In meinem Traum ... Magie."
Sie runzelte die Stirn. "Der Gedanke ist komisch."
Robin nickte. "Lass uns gehen. Weiter kommen wir hier nicht."
"Warte noch." Inés reichte Robin Pergament und eine Feder, und der schrieb im Eiltempo noch eine Art Übersetzungstabelle aus dem Buch ab. Das ganze System der Sprache schien ziemlich kompliziert zu sein.
"Fertig."
"Wohin sollen wir jetzt? Noch bleiben und gucken, ob wir Anzeichen von Adrania finden? Oder ist es zu gefährlich? Ich meine, falls wir wieder Soldaten begegnen."
Inés kaute auf der Unterlippe. Die Fragen, die Robin ausgesprochen hatte, gingen auch ihr durch den Kopf.
"Ich glaube nicht, dass wir noch was zu Adrania finden. Wenn sie uns ein Zeichen gegeben hätte, hätten wir es bemerkt. Es muss ja etwas ziemlich Großes sein, sonst kann sie doch nicht sichergehen, dass wir es finden. Oder?" Inés war sich selbst nicht ganz sicher.
"Aber, ich glaube, dass der Traum des Phönix ein Zeichen war. Vielleicht hilft auch er uns, Adrania zu finden. Ich schlage vor, dass wir weiterziehen und darauf hoffen, dass ich wieder von ihm träume."
"So machen wir das." Robin knuffte Inés in den Arm, um sie zu bestärken.
"Dann los! Wir brauchen einen sicheren Schlafplatz."

Kind des FeuersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt