Kapitel 14

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Nachdem die beiden wenige Tage in Ahmív verbracht hatten, beschlossen sie, ihre Reise fortzusetzen. 

Die erste Rast legten sie nach etwa sechs Stunden ein. Nebeneinander saßen die beiden auf einer wunderschönen Wiese voller Blumen. Sie lauschten dem Zirpen der Grillen und schauten den Schmetterlingen zu. 

 Ganz plötzlich hörte Inés ein seltsames Geräusch und drehte sich ruckartig um. Hinter den beiden begann der Wald. Inés sah nichts und drehte sich wieder zu Robin. 

Er blickte sie auf diese Weise an, die Inés so hasste. „Inés, ich mache mir Sorgen. Du bist so still und schreckhaft. Ich kann mir nicht annähernd vorstellen, was du durchmachst, aber bitte sag mir doch, was ich tun ..." „Danke Robin, aber hörst du das denn nicht?!" Da stolperte auf einmal eine Gestalt aus dem Schatten der Bäume. 

Inés war schon dabei, aufzuspringen, als Robin sie erschrocken in eine knieende Position schubste. Er begann nervös zu stottern: „Eu – Eure Majestät, ka – kann ich euch helfen?" Die Gestalt schlug die Kapuze zurück und darunter kam eine wunderschöne, junge Frau zum Vorschein. Sie hatte rötliche Haare, die ihr geflochten über der Schulter lagen und Augen, die vor Lebensfreude nur so sprühten. Sie trug ein Gewand aus grünem Stoff und darunter ein braunes Kleid. Die Frau bedeutete Robin und Inés, sich aufzurichten und setzte sich zu ihnen auf den Boden. 

Robin war ganz aufgedreht und blickte nervös in der Gegend herum. Inés konnte ihre Augen nicht von der Frau lösen. „Wer ist sie, Robin?", flüsterte sie ihrem Begleiter zu. Er blickte beschämt drein und sagte: „Wenn ich vorstellen darf, das ist Prinzessin Begína." Das war das erste Mal, dass sie etwas sagte. Ihre Stimme klang sanft und strahlte doch eine gewisse Autorität aus. „Hallo, du musst Inés sein? Es tut mir furchtbar leid, falls ich euch erschreckt habe. Ich muss mit euch reden, aber ich habe nicht viel Zeit" 

Inés fühlte sich immer noch nicht wohl in der Situation. Schließlich lebten sie gefährlich. „Woher wissen wir, dass du uns nichts tun wirst oder den Soldaten sagst, wo wir sind?" Robin klapste sie entsetzt in die Seite und blickte sie an, als hätte sie gerade dem König befohlen, auf den Tisch zu klettern und ein Ständchen zu singen. Doch Begína erwiderte: „Ich verstehe, dass du mir nicht gleich vertrauen kannst. Bloß kann ich kaum etwas tun, dass dich endgültig überzeugt. Ich habe Informationen, die dich sicher interessieren und bedeutend weiterbringen. Wenn du allerdings wünschst, dass ich gehe, werde ich es tun." 

Inés dachte kurz nach. Sie kam zu dem Schluss, dass sie keine Wahl hatte und sie und Robin noch ewig im Dunkeln tappen würden, wenn sie diese Chance nicht nutzten. Sie nickte der Prinzessin zu und diese begann zu erzählen. „Ich weiß nicht, wie viel dir Adrania schon erzählt hat, aber es dürfte nicht allzu viel gewesen sein, nicht wahr?" Als Adranias Name fiel blickte Inés auf und antwortete dann: „Nein. Sie hat gesagt, dass der Phönix gekommen ist, weil..." 

Da unterbrach Begína sie: „Es geht nicht um den Phönix. Das heißt, er hat natürlich etwas damit zu tun, aber mir geht es eher um dich." Inés schaute sie weiterhin an, sagte aber nichts dazu. Sie wollte einfach wissen, was sie zu sagen hatte. „Als du geboren wurdest, war ich gerade mal sieben Jahre alt. Meine, das heißt unsere Mutter war zunächst überglücklich und sogar Vater hat einen Funken Freude gezeigt, was sonst selten vorkam. Das änderte sich jedoch, als in deiner Umgebung auf einmal Seltsames geschah. Dinge gingen plötzlich in Flammen auf, doch das Feuer verhielt sich seltsam. Es machte einen Bogen um alles, was lebte und zerstörte auch sonst nichts Bedeutendes. Es konnte nicht gelöscht werden, verschwand jedoch einfach, bevor es begann ernsthaften Schaden zu verursachen. Keiner wollte es zunächst wahrhaben, doch nach einigen Wochen war klar, du warst magisch. Wie ihr wahrscheinlich wissen dürftet, wird Magie hierzulande geächtet. Die Strafe: der Tod." 

Robin sah aus, als hätte man ihm einen kalten Wassereimer über den Kopf gegossen. Inés Gesicht war fahl geworden. Zunächst war es schockierend diese Lücke, die seit jeher in ihrem Selbstbild gewesen war, gefüllt zu sehen. Zum anderen hatte ihr noch nie jemand so genau vor Augen geführt, was mit ihr geschehen würde, wenn jemand sie auslieferte. Begína blickte Inés besorgt an: „Soll ich fortfahren?" 

Inés presste ein leises „Ja, bitte" heraus und Begína erzählte weiter: „Eine magische Tochter, das war für Vater die schlimmste Art ihm seine Ehre zu nehmen. Also befahl er, dich verschwinden zu lassen. Mutter war selbstverständlich dagegen, sie ist ein guter Mensch. Doch Vater ließ nicht locker und so weihte Mutter ihre Zofe ein." 

„Adrania", murmelte Inés traurig. „Genau. Sie erzählte ihr alles und schleuste sie eines Nachts aus der Stadt. Mutter bat Adrania, in den Wald zu laufen. Es gäbe dort eine Hütte, die zwar in schlechtem Zustand sei, jedoch wieder aufzubauen wäre. Adrania wusste, dass Mutter also dafür sorgen würde, dass du, Inés, nirgendwo anders als mitten im Argaenwald ausgesetzt werden würdest. Sie tat, was ihr geboten und wenige Wochen später fand sie dich, wie geplant. Sie zog dich auf und machte dich zu diesem wunderschönen und starken Mädchen, das du nun bist." 

Eine Träne kullerte über Inés' Wange. Robin mischte sich ein und fragte: „Und wer sind nun die Soldaten, die uns verfolgen? Und wieso kommst du erst jetzt?" „Es ist nun so, dass unser Königreich bedroht wird und ein Krieg wohl unausweichlich ist. Vater erinnerte sich an dich und sah in dir unsere einzige Chance, diesen Kampf zu gewinnen. Mutter sah dich in Gefahr und bat mich nach dir zu suchen und alles zu erzählen." Robin schaute auf einmal drein, wie Inés ihn noch nie gesehen hatte. Er hatte auf einmal so eine Wut in seinen Augen. „Inés, du darfst denen auf keinen Fall helfen! Erst setzen sie dich aus, nur weil du ein bisschen anders bist, und überlassen dich dem Tod und dann wollen sie dich zwölf Jahre später wieder haben, gerade wegen dieser Besonderheit?! Und das als eine Art Waffe?" 

Er war außer Atem, doch er blickte Begína, als Stellvertreterin dieser ganzen Sache an, als würde er sie am liebsten ins Gesicht treten. „In Ordnung", sagte Begína, „ich verstehe das natürlich." Sie stand auf und war schon wieder so gut wie verschwunden zwischen den Bäumen, als Inés auf einmal „Warte!" rief. 

Sie hatte sich wieder gefasst und ihre Stimme klang fest. Begína blieb stehen und Inés wandte sich an Robin: „Hör zu, wenn ich ihnen nicht helfe, sterben vielleicht viele unschuldige Menschen. Außerdem mag der König mich dem Tod überlassen haben, doch ich weiß von drei Menschen aus dem Hause des Königs, die das sicherlich nicht getan hätten. Und wo es drei gibt, gibt es auch mehr." Robin schnaubte verächtlich. 

Begína gab den beiden eine Nacht Zeit zum Nachdenken und wollte am nächsten Mittag zu der kleinen Lichtung weiter im Wald kommen, wo die beiden ihr Nachtlager aufschlugen. Dann müsste Inés sich entscheiden. Wenn sie half, wäre sie unter Umständen gezwungen andere Menschen zu verletzen. Wenn sie es nicht täte, würden viele Menschen ihres Reiches sterben und Adrania würde vielleicht nie aus den Fängen des Königs entkommen. 

Beide Möglichkeiten erschienen ihr furchtbar schrecklich. Verzweifelt suchte sie nach einem Kompromiss. In diesen Gedankengängen hatte sie sich so verloren, dass sie alles, was sie gerade erfahren hatte, gar nicht verarbeitete. 

Damit begann sie erst, als Robin in die Stille hinein fragte: „Wie geht es dir?" 

Inés hatte unwillkürlich fast „gut" gesagt. Doch sie blieb still. Sie dachte kurz nach, was diese Frage jetzt überhaupt sollte, und wollte Robin schon wieder klarmachen, dass es doch im Moment wirklich Wichtigeres gab. Als hätte Robin ihre Gedanken gelesen sagte er: „Wenn es dir schlecht geht, dann bist du niemandem eine Hilfe. Rede mit mir!" 

Das war das erste Mal, dass Inés all diese Informationen aus ihrem Kopf bis zu ihrem Herz vordringen ließ. Sie hatte das bis zu diesem Moment gar nicht realisiert, doch das alles machte ihr mehr zu schaffen, als sie es wahrhaben wollte. Sie schluchzte Laut auf. Es tat gut. Robin setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. Er sagte nichts, doch das musste er auch gar nicht. 

Als Inés sich wieder beruhigt hatte, legten sie sich nebeneinander auf eine Fläche voller weichem Moos und blickten in den Sternenhimmel. Insgeheim hoffte Inés beim Einschlafen, wieder Adrania im Traum zu begegnen. Sie fühlte sich einfach nicht bereit solch eine Entscheidung allein zu treffen.

Kind des FeuersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt