Let her go - Passenger
„Vertrauen ist so zerbrechlich wie Glas. Ist es einmal zerbrochen, bleibt nur noch ein Scherbenhaufen zurück."
***
Die meisten Frauen lieben Hochzeiten. Sie lieben die monatelange Vorbereitung und dass sie jedes noch so kleinste Detail planen können. Die Entscheidung, ob man am Strand oder lieber doch in einer Kirche heiratet oder ob man lieber mit Lilien oder Rosen dekorieren möchte, bereitet neunzig Prozent aller zukünftigen Bräute ein Gefühl von Freude. Es erfüllt sie regelrecht.
Bei mir ist es ganz anders. Das komplette Gegenteil. Es stresst mich und im Gegensatz zu vielen anderen, hasse ich die Vorbereitung und alles, was das Thema rund um Hochzeiten betrifft. Wäre mein Verlobter Alec nicht gewesen, hätte es vermutlich nur eine kleine Zeremonie im Rathaus gegeben. Ohne viel Schnick-Schnack, mit wenigen Gästen. Nur er und ich und der engste Kreis. Ein kurzer Prozess, denn für mich ist die Heirat eher wie ein Geschäft anzusehen. Zwei Menschen haben das gleiche Ziel. Beide gehen einen Bund ein und bezahlen dafür. Mit ihrer Freiheit in dem Fall. Es wird sogar mit einer Unterschrift besiegelt, wie bei einem wasserdichten Vertrag. Und doch wollte er wenigstens eine kleine Feier mit einer Traurednerin, damit wir einen perfekten Tag haben. Eine tolle Erinnerung. Weil ich ihn liebe und er mir viel bedeutet, habe ich zugestimmt. Halten tue ich allerdings nicht viel davon.
„Du siehst traumhaft schön aus", flüstert meine Schwester Abigail, die mit einem Taschentuch eine Träne unter ihrem Auge wegtupft.
Ich sehe an mir herab und blicke auf das lange rote Cocktailkleid, welches ich mir für meine Trauung ausgesucht habe. Auch wenn ich damit wahrscheinlich sämtliche Traditionen über Bord werfe, habe ich mich absichtlich für etwas anderes, als das klassische weiße Kleid mit kilometerlanger Schleppe, entschieden.So kann ich es immerhin auch noch zu anderen Anlässen tragen und nebenbei bemerkt, fehlt mir einfach die Zeit, um stundenlang in einem Brautmodengeschäft irgendwelche Kleider anzuprobieren.
„Bist du aufgeregt?", fragt Abi mich, woraufhin ich mit dem Kopf schüttel und zufrieden mein Spiegelbild betrachte.
„Meinst du, es gefällt Alec?"
„Er wird es lieben. Auch wenn es nicht ganz klassisch ist, aber ... das bist du immerhin auch nicht, richtig?"
„Richtig."
Ich bin alles andere als das und das weiß mein Verlobter.Verlobter ... Wie ich dieses Wort hasse. Jedes Mal, wenn Alec bei Geschäftsessen dabei war, bestand er darauf, dass ich ihn so vorstelle. Dementsprechend bin ich froh, dass ich ihn demnächst als meinen Ehemann vorstellen kann. Das klingt doch wesentlich besser.
„Na komm, dein Zukünftiger wartet sicher schon."
Während andere in dieser Situation höchstwahrscheinlich die Nerven verlieren würden, bin ich tiefenentspannt und voller Vorfreude, dass der ganze Trubel endlich vorbei ist. Ich kann kaum glauben, dass wir gleich heiraten werden. Vielmehr, dass ich überhaupt mal heiraten werde.Ein Thema, welches mich nie beschäftigt hat und doch gehe ich gerade auf den Mann zu, mit dem ich die letzten zwei Jahre verbracht und dem ich mein Herz geschenkt habe.Er sieht mich voller Liebe, Achtung und Zuneigung an. Seine Augen glänzen vor Freude. Bei ihm weiß ich, dass ich immer eine Schulter zum Anlehnen habe, wenn mal etwas schief läuft oder ich schlichtweg einen schlechten Tag habe. Sein Strahlen ist ansteckend, doch als mein Handy in meiner kleinen Handtasche klingelt, ziehe ich meine Mundwinkel nach unten.
„Tut mir leid", flüstere ich und hoffe, dass der Anruf nicht wichtig ist.
Für mich ist es ein ziemlich schwerer Schachzug, mein Handy klingeln zu lassen. Als ich neben ihm stehe und unsere wenigen Gäste uns lächelnd beobachten, beginnt die Rednerin damit, wie wir beide uns kennengelernt haben. Sie erzählt unsere Geschichte bis ins kleinste Detail und entlockt auch mir ein kleines Schmunzeln. Ich muss zugeben, dass ich mich ganz gern an diesen Tag zurückerinnere. Immerhin habe ich dadurch den besten und verständnisvollsten Mann kennengelernt, den es gibt.Alec drückt meine Hand und blickt mir dabei liebevoll in die Augen.
Ich bin froh, dass er mir in den Hintern getreten und mich quasi zu dieser Trauung in der Form gezwungen hat. Der Moment ist perfekt und fühlt sich gut an. Zumindest bis mein Handy erneut klingelt und ich bereits am Klingelton höre, dass mein Chef am anderen Ende der Leitung ist. Seufzend schaue ich auf meine Tasche, die Abi in ihrer Hand hält, während alles still und leise ist. Ich weiß, dass alle Augenpaare auf mich gerichtet sind. Von einigen kann man entsetzte Laute wahrnehmen, als ich nach der Tasche greife und mein Handy heraushole.Ich hebe entschuldigend meinen Finger und drücke den grünen Hörer.
„Hallo?", flüstere ich in mein Handy und sehe entschuldigend zu Alec.
„Grace ... Das Meeting wurde vorgezogen. Wo zum Teufel bleibst du?"
„Das Meeting ist jetzt? Ich ... also ... Gib mir zwanzig Minuten, okay?"
Als er seufzend zustimmt, stecke ich mein Handy wieder in meine Tasche zurück, drücke sie Abigail in ihre Hände und drehe mich zu Alec. Doch er steht nicht mehr neben mir. Suchend lasse ich meinen Blick schweifen und sehe ihn an der Tür stehen.
„Alec!", sage ich leise, doch er schüttelt den Kopf und sieht mich mit dem Ausdruck von purer Enttäuschung an. Es zerbricht mir das Herz. Er hat mir vertraut. Er wollte eine Zukunft mit mir. Eine Familie gründen. Doch für mich ist das nicht die oberste Priorität und das ist es auch noch nie gewesen. Alles, was uns nun bleibt, ist ein Scherbenhaufen, der nicht mehr zu reparieren ist.
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Disconnect to Connect
Fiksi UmumGrace ist Social-Media-Beraterin und ein sogenannter Worcaholic. Durch ihre harte Arbeit hat sie aber auch alles, was sie je wollte. Einen tollen Job mit Aufstiegschancen, eine wunderschöne Wohnung, direkt am Central Park und einen Verlobten, der ih...