16 | Flying Doctors

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Mit einem ungläubigen Grinsen trete ich aus der Dusche und mein Blick fällt in den Spiegel, durch den ich Roger beobachten kann, bis die Dampfwolke aus der Dusche mir die Sicht vernebelt. „Du bist also doch ein kleines Luder", haucht Roger mir ins Ohr, als er sich ein Handtuch umbindet.
„Und du nicht so dominant wie ich dachte", feixe ich, noch immer nackt, zurück.

„Oh, ich kann auch anders", brummt er und ich beiße mir auf die Lippe, als ich daran denke, dass ‚anders' mir sicherlich auch gefällt.
Wir grinsen uns amüsiert an. Wer hätte gedacht, dass dieser Tag sich so entwickeln würde?

„Roger? Ian? Roger, dein Vater!" Es ist Mary. Ihre Stimme klingt panisch. Was ist da los? Kurz sehen wir uns an, dann stürmt Roger an mir vorbei aus dem Badezimmer und läuft eilig die Treppen hinunter. Ich ahne schlimmes! Doch bevor ich hinterhereile, laufe ich in mein Zimmer, ziehe mir schnell Hose und T-Shirt über und versuche es dann bei Roger. Zum Glück ist seine Tür nicht abgeschlossen. Eilig greife ich mir das nächstbeste Hemd und eine trockene Hose und laufe anschließend nach unten.

Der Anblick lässt mich erschaudern. Mackay Senior liegt auf dem Wohnzimmerboden und hält sich schmerzverzerrt die Brust. Mary steht völlig überfordert daneben und Roger kniet, nur mit einem Handtuch bekleidet, vor seinem Vater und hält ihm die Hand. Ich atme einmal tief durch. Ich habe einen Ersthelferkurs absolviert und ähnliche Situationen beim Rodeo schon mehr als einmal erlebt. Bisher musste ich immer nur mithelfen, doch heute muss ich selbst den Ton angeben.

„Roger, hilf deinem Vater auf die Couch. Er muss aufrecht sitzen. Mary, ruf den Notdienst. Sag ihnen, dass der Patient wahrscheinlich einen Herzanfall hat, aber bei Bewusstsein ist. Sag ihnen auch, welche Medikamente er nimmt." Mary, erleichtert über die klare Ansage, eilt in die Küche und greift zum Telefon. Ich gehe auf Roger zu, der nun neben seinem Vater auf dem Sofa sitzt und reiche ihm die Kleidung.

„Zieh dich kurz an, ich kümmere mich um ihn." Roger sieht mich hilflos und überfordert an. „Ich kümmere mich jetzt um ihn. Zieh du dich an", wiederhole ich meine Anweisung und Roger nickt, bevor er aufsteht und den Raum verlässt. Ich ziehe einen Stuhl an die Couch und nehme Mr. Mackays Hand. Sie ist eiskalt und seine Atmung ist schwer. Trotz der aufgeregten Situation versuche ich Ruhe zu bewahren und suche seinem Blick. Freundlich lächele ich ihn an.

„Hey, Flynn. Es wird alles gut. Mary ruft grade den Notarzt. Der wird sicher bald hier sein und dann wird sich jemand um Sie kümmern. Bis dahin bin ich da, okay?" Mr. Mackay sieht mich dankbar an und nickt.

„Haben Sie starke Schmerzen, Flynn? Bekommen Sie genug Luft?" Mr. Mackay keucht kurz und versucht sich aufzurichten. Ich helfe ihm, sich gerade hinzusetzen, als auch schon Roger wiederkommt.

"Kannst du kurz ein Auge auf ihn haben?", frage ich an Roger gewandt. Er nickt und ich gehe in die Küche zu Mary. Die hat gerade aufgelegt und sieht sehr blass aus. Behutsam nehme ich sie in den Arm. „Wie lange lag er schon im Wohnzimmer, als du ihn gefunden hast?", will ich wissen, um herauszufinden, wie viel Zeit schon vergangen ist.

„Ich war nur kurz draußen bei den Hühnern, als Roger wütend an mir vorbeigestapft ist. Als ich fertig war mit den Eiern, ging ich in die Küche und dann hörte ich den dumpfen Aufprall. Ich bin sofort hin und da lag er. Einfach so umgefallen", schluchzt sie. Ja, denke ich, auch wenn Mary eine starke und durchaus aufgeklärte Frau ist, kann so ein Erlebnis einen emotional umhauen. Gerade deshalb versuche ich jetzt, einen klaren Kopf zu bewahren.

„Wann wird der Notarzt hier sein?", frage ich. In der Stadt ist der Wagen meistens innerhalb von zehn Minuten vor Ort, aber hier in der Einöde?

„Zwanzig, hat er gesagt", antwortet Mary unter Tränen. „Zwanzig?" echoe ich.
„Sie kommen mit dem Hubschrauber", bringt sie hervor. Natürlich, denke ich, die Flying Doctors! „Mary", frage ich eindringlich, „Wo wäre der beste Ort zum Landen?"
„Auf dem Platz vor dem Haus vermutlich", antwortet sie.

„Okay, gib mir die Schlüssel für den Pickup, ich muss den wegfahren. Du machst im ganzen Haus das Licht an, damit man uns von oben sieht, okay? Es ist immer noch wolkig und die werden bestimmt Schwierigkeiten haben, uns zu finden."
Mary wischt sich mit dem Ärmel ihrer bunten Jacke eine Träne aus dem Auge, dann nickt sie. „Verstanden!"

„Roger, du passt auf deinen Vater auf, okay", sage ich, als ich ins Wohnzimmer komme. Der Junior sitzt immer noch etwas unbeholfen neben dem Senior auf der Couch, aber beide atmen inzwischen gleichmäßig. Das ist gut. „Der Doktor ist unterwegs. Es dauert nicht mehr lange", sage ich betont zuversichtlich zu den beiden, obwohl ich bezweifele, dass Roger mir glaubt. „Ich gehe kurz nach draußen, um den Pickup wegzufahren, damit der Hubschrauber landen kann. Bin gleich wieder da", verspreche ich.

„Warte!" Roger sieht mich wieder etwas klarer an. „Mein Schlüssel für den Mustang ist in meiner linken Jackentasche. Den müsstest du auch umparken", sagt er und widmet sich dann wieder seinem Vater. „Sicher?", frage ich vorsichtshalber nach.

„Mach schon", kommt nur zurück. Dann muss ich wohl doch sein Auto fahren.

Etwa zwanzig Minuten später stehe ich mit einer Magnesiumfackel aus dem Notfallkoffer von Mary auf dem Hof und winke dem Hubschrauber, den man schon von weitem hören kann

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Etwa zwanzig Minuten später stehe ich mit einer Magnesiumfackel aus dem Notfallkoffer von Mary auf dem Hof und winke dem Hubschrauber, den man schon von weitem hören kann. Als er landet, hebe ich den Arm vor mein Gesicht, um mich vor den herumfliegenden Steinen zu schützen. Mary übernimmt die beiden Sanitäter an der Haustür und nach weiteren zehn Minuten, wird Mr. Mackay auf einer aufrecht gestellten Liege in den Helikopter verfrachtet. Als dieser wieder startet, fällt mir ein Stein vom Herzen. Mr. Mackay wird nun in ein Krankenhaus gebracht und umsorgt werden. Er ist in den besten Händen.

Als ich noch dem Hubschrauber nachsehe, der am Horizont immer kleiner wird, legt plötzlich Mary eine Hand auf meine Schulter. Über dem Arm trägt sie eine große Tasche. „Ich werde hinterherfahren und mich in der Stadt einquartieren, bis es Flynn wieder besser geht. Hälst du hier so lange mit Roger die Stellung?", will sie wissen. Ich nicke nur, kann ich ihr ja jetzt schlecht erzählen, bei was der Herzinfarkt von Rogers Vater uns unterbrochen hat.

„Gut", bestätigt sie. „Ich melde mich bei euch, wenn ich näheres weiß", sagt sie nun wieder in gewohnt selbstsicher Manier und drückt mir einen kleinen Kuss auf die Wange. Dann verstaut sie die Tasche im Auto und fährt davon.

Erst jetzt merke ich, wie das Adrenalin nachlässt und dass meine Hände zittern. Ich will zum Haus zurück, doch vor meinen Augen verschwimmt plötzlich alles. Wie durch einen Schleier sehe ich Roger auf mich zukommen und höre ihn meinen Namen rufen. Meine Beine werden weich und ich versuche mich aufrecht zu halten und nicht zu fallen. Da fällt mir ein, dass ich seit gestern Morgen nur eine Schachtel Schnapspralinen gegessen habe. Und mein Körper hat anscheinend seine Reserven aufgebraucht. Als mir schwarz vor Augen wird, spüre ich noch, wie ich falle und mich jemand auffängt. Danach falle ich in einen tiefen Schlaf.

Wie Mann einen Cowboy zähmtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt