29 | Die Liste

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Es dauert eine ganze Weile, bis Roger etwas sagt. Und das ist ziemlich selbsterklärend. „Fuck!"
„Jap!", bestätige ich.
„Es tut mir so leid, dass ich in der Hütte so scheiße war. Echt man, jetzt komme ich mir vor wie ein Arschloch", meint Roger ehrlich und ich nicke. „Ein ziemlich großes Arschloch", attestiere ich ihm.

Daraufhin dreht Roger mich um und schaut mir in die Augen. In seinem sehe ich Mitleid, Scham, aber auch Entschlossenheit. „Versprich mir, dass du dich nie mehr von mir oder jemanden anderen so behandeln lässt, okay?! Die letzten Tage haben mir die Augen geöffnet und ich bereue es, dass ich dir keine Chance gegeben habe. Ich wollte dich einfach hassen und wieder loswerden. Ich dachte, mein Vater hat sich jetzt einen besseren Sohn ins Haus geholt. Einer, der sich mit Tieren auskennt und Bock auf den Hof hat. Und der nicht schwul und eine Enttäuschung ist. Aber das ist Blödsinn, das weiß ich jetzt. Vor allem, nachdem ich diese Liste gefunden habe, die dich als guten Kandidaten ausgespuckt hat, obwohl du einen Ruf hast. Seit dem Moment war ich mir sicher, dass dies nicht der Grund war mich auszuschließen, sondern, dass es an meiner Einstellung lag."

Roger sieht nun beinahe erleichtert aus, da er nun endlich ausgesprochen hat, was ich schon lange geahnt habe: Er war eifersüchtig!
Nur eines verstehe ich nicht ganz. „Welche Liste?", frage ich irritiert. Roger sieht mich ebenso verwundert an, dass ich keinen Plan davon zu haben scheine, was er meint.

„Na, die Liste mit den Namen potentieller Helfer, die mein Vater erstellt hat. Oder dachtest du ernsthaft er wäre den ganzen Weg mach Miles gefahren, um sich erst dort nach einem passenden Kandidaten umzusehen?" Rogers Frage wirft mich ein wenig aus der Bahn. Ich hatte irgendwie angenommen, dass Flynn Mackay zufällig auf der Veranstaltung in Miles war und dort mal eben gefragt hatte, wer für den Job, den er hatte, in Frage käme. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, komme ich mir ein wenig naiv vor. Würde ich so agieren, wenn ich eine vertrauensvolle Person suchen würde, die mit mir meine letzten Tage verbringt? Vermutlich nicht.

„Was stand denn drauf, auf dieser Liste?", will ich wissen. „Und hat er sie selbst angefertigt? Warum hat er mich ausgewählt?"
„Nun mal langsam mit den jungen Brumbies", lacht Roger und streichelt meinen Arm. „Lass uns das doch beim Essen besprechen, okay? Ich schreibe Mary, dass sie ein Foto von der Liste machen und mir auf das Handy schicken soll. Dann kannst du es dir selbst ansehen."
Der Vorschlag klingt vernünftig.

An diesem Abend bin ich derjenige, der Roger in ein Restaurant entführen darf

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An diesem Abend bin ich derjenige, der Roger in ein Restaurant entführen darf. Ich habe mich für einen urigen Pub entschieden, in dem die Herren ihre Hüte aufbehalten und die Speisekarten auf den Tischen kleben. Als der Kellner kommt, bestelle ich ein blutiges Steak mit Pommes und ein großes Bier vom Fass. Roger nimmt das gleiche.

„Prost", lächele ich Roger an, der sich in seinem schicken Hemd wahrscheinlich ebenso deplatziert fühlt wie ich mich gestern in Jeans und Karohemd. Doch er nimmt es mit Humor. „Danke, dass du mir deine Welt zeigst", grinst er, als unsere Gläser aneinander klirren. „Aber sicher doch, Jasmin", zwinkere ich zurück. Mein Bein findet seines unter dem robusten Holztisch und sein verschmitztes Grinsen lässt die Schmetterlinge in meinem Bauch schon wieder höher fliegen. Was haben wir doch für ein Glück. Oder war es vielleicht doch alles geplant ?

„Hat Mary dir die Liste geschickt?", möchte ich neugierig wissen. Roger legt sein Handy offen auf den Tisch. „Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, dass du nicht seine erste Wahl warst", sagt Roger mitfühlend. Aber das wird mich kaum stören. Ich wundere mich, dass ich überhaupt eine Wahl war.
Hastig überfliege ich die Liste, um mir einen Überblick zu verschaffen. Etwa zwanzig Namen sind darauf zu lesen, die meisten davon bereits durchgestrichen und mit Kommentaren versehen.

„Zu alt, zu jung, nicht genug Erfahrung, uh ein Gefängnisaufenthalt, nicht verfügbar..."
Von denen, die nicht durchgestrichen sind, kenne ich auch einige. „Dein Glück, dass Marc Morrison nicht dein neuer großer Bruder geworden ist", witzele ich. „An dem hättest du dir die Zähne ausgebissen. Oh, und Ingar Hutchen ist eine echte Blödbirne, der kann einen Hut nicht von einer Kappe unterscheiden. Anscheinend hat das auch der Kommentator so gesehen. Sieh mal, ein Deppensmiley", lache ich amüsiert.

„Du hast definitiv zu viel Spaß mit dieser Liste", sagt Roger kopfschüttelnd. „Aber ich höre heraus, dass du nicht glaubst, dass mein Vater diese Liste erstellt hat."
Nickend antworte ich. „Diese Liste liest sich wie das ‚Who is Who' des Rodeos der Ostküste. Die meisten Namen sagen mir etwas. Aber du hast recht, ich will zu gerne wissen, was bei mir steht. Also... Ian Broody, 27, ältestes Kind von...", ich stutze, bevor ich den Namen laut ausspreche,„Arthur Broody, Country Sänger und früh verstorben... Du wusstest es?" Meine Stimme spiegelt das Herzklopfen wider, das ich grade verspüre. Roger wusste von meinem Vater und hat trotzdem so getan, als sei das alles neu für ihn? Hat er mich deshalb nach meinem Dad gefragt und mich ins Country Museum geschleift? „War das alles nur ein Scherz für dich?", frage ich wütend und ziehe mein Bein unter dem Tisch zurück. „Oder wolltest du wissen, ob ich dir die Wahrheit sage?"

Roger schaut mich ernst an. „Nein, das war kein Scherz oder abgekartetes Spiel. Ja, ich habe diese Liste beim Aufräumen gefunden und gelesen. Aber dass du mir selbst erzählen solltest, was passiert ist, war mir wichtig. Mehr als den Namen und dass er Sänger war, wusste ich nicht. Deswegen zeige ich dir nun auch die Liste, um dir zu zeigen, dass ich offen zu dir sein möchte."
Seine Worte klingen für mich wie einstudiert. Als hätte er gewusst, was ich darüber denken würde. Wie lange wartete er schon auf diesen Augenblick?

„Wann hast du die Liste gefunden?", frage ich immer noch aufgebracht.
„Vor zwei Tagen, als ich die Unterlagen für meinen Vater zusammengestellt habe."
„Und dir kam nicht in den Sinn, mit mir über diese Liste zu reden? Ich meine, du hattest doch genug Gelegenheit dazu. Stattdessen schläfst du mit mir und belügst mich..." „Nein, Ian", unterbricht Roger mich. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! Ich habe versucht mit dir über das Thema zu reden. Im Pool, weißt du noch? Und heute, das mit dem Museum? Ja, das war ein Versuch, dich ein wenig in die richtige Richtung zu führen. Aber nur, weil ich ehrlich mit dir sein will. Weil ich möchte, dass du deinen Schmerz auch zulässt. Und ich habe gefühlt, dass dich die Sache mit meinem Vater nicht kalt lässt. Und ich brauche dich neben mir, wenn es soweit ist. Und deine Gefühle für deinen Vater musst du genauso zulassen, wie ich meine für meinen. Also, bitte verzeih mir diesen Umweg. Aber ich wusste sonst nicht, wie ich dich erreiche konnte."

Roger sieht mich liebevoll zerknirscht an, doch ich bin immer noch wütend. Wütend, dass ich mich von ihm habe manipulieren lassen. Wütend, dass er anscheinend mehr über mich wusste, als ich zu dem Zeitpunkt bereit war preiszugeben. Und während ich darüber nachdenke, warum mir das alles so komisch vorkommt, senke ich meinen Blick und überfliege auch den Rest der Zeilen, die da über mich geschrieben stehen: „Natural Horsemanship, Gregor Westworth, Barrel Races, offen homosexuell und aktiv, vermutlich Single, eher devot", lese ich laut vor. Entsetzt sehe ich Roger an.

„Wer hat diese Liste gemacht?", will ich wissen. „Wer hat all diese Dinge über mich darauf geschrieben?"
Ein letztes Mal sehe ich auf meinen Namen und entdecke hinter den Aufzählungen eine weitere Notiz. Diese jedoch stammt von einem anderen Verfasser als dem Kommentator. Vermutlich von Flynn Mackay, denn dort steht, wie eine Abschlussbewertung: „Passt zu Roger!"

Wie Mann einen Cowboy zähmtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt