2. Brief

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Liebe Lucy

Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr mich Dein Brief überrascht hat. Und gefreut. Und ja, er hat mich glücklich gemacht. Sehr sogar. Hat mir das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein.

Aber wirklich, ich hätte niemals gedacht, dass meine Flaschenpost einen Menschen
erreicht, der so ähnlich denkt, so ähnlich fühlt und in so einer ähnlichen Situation ist! Ich
weiß nichts über Dich und wie du schon sagtest, es fühlt sich so seltsam an, Dir zu schreiben, obwohl wir uns gar nicht kennen.

Kennst Du das, wenn man das Gefühl hat, einem Menschen voll und ganz vertrauen zu
können, von Anfang an? Dieses Gefühl hatte ich bei Dir, als ich Deinen Brief gelesen habe. Spätestens, als Du von deinem Cello erzähltest. Als du schriebst, dass wir eine Leidenschaft und einen Traum teilen.

Weißt Du, es ist schon unglaublich, dass eine Person meine Post findet, die meine Gefühle und alles andere kennt und teilt. Ist das Schicksal? Glaubst Du an Schicksal? Ich bin mir sehr sicher, dass in der Natur
nichts durch Zufall passiert.

Dass wir beide zusammenfinden mussten. Denn Du vermagst es, meine Wunden zu heilen und ich Deine. Du bist eine Person, die
mich so zu verstehen vermag, wie niemand anderes auf dieser verräterischen Welt.

Ich bin dem Schicksal sehr dankbar für diesen Zusammenstoß unserer Welten, Du auch?

Nun, damit Du mich besser kennenlernst, möchte ich Dir die wunderbare Geschichte
meines Cellos erzählen, in der Hoffnung, Deine ebenfalls zu erfahren.

Es fing an vor Jahren. Meine Eltern waren mal wieder nicht zu Hause und meine Amme war
abgelenkt, sodass ich ungestört auf unserem weitläufigen Dachboden stöbern konnte.

Ich zählte damals vielleicht fünf Jahre und war noch
ein kleines unschuldiges Ding, stets munter und zum Spielen aufgelegt. Allerdings ohne Kameraden, da meine Eltern mich zu Hause einsperrten, mich nicht rausließen in die weite Welt da draußen.

Ich turnte also herum im Gebälk und beschmutze mein Kleidchen, sorglos wie immer, als ich auf einen großen schwarzen Kasten stieß.

Glänzendes Material und fast doppelt so groß wie ich damals. Ich neugieriges Wesen schaute natürlich hinein, was denn sonst?

In dem Kasten lag ein wunderschönes Etwas.
Rotbraunes Holz, wunderschöne Schnörkel, kurvige Eleganz. Und wie es duftete! Nach
Bäumen duftete es, wunderbar harzig. Nach Freiheit und dem Gefühl, wenn man durch den regennassen Wald rennt. Ich sog den Duft ein und strich dann vorsichtig über das polierte Holz. Als meine kleinen Finger die Saiten berührten, tönte ein sanfter Klang und verzauberte mich. Seit dem Moment bin ich verliebt. Einfach hingerissen.

Ich brachte mir das Spielen bei, übte immer heimlich, wenn meine Eltern nicht im Haus waren. Das hat bestimmt zehn Jahre so
funktioniert und in mir reifte der Traum, einmal eine berühmte Cellistin zu werden.

Leider haben meine Eltern das irgendwann herausgefunden. War naiv von mir zu denken, dass sie es nicht merken würden, da ich nun in jeder freien Minute übte. Mein Vater hielt mir einen Vortrag darüber, was die Aufgabe
von Frauen ist. Er will mich verheiraten, das Cello für immer wegsperren.

Mein Vater hat mit ein paar Sätzen mein ganzes Leben zerstört. Hat mir genommen, was mir wichtig war und das einzige, wofür es sich für mich zu kämpfen lohnte, in Rauch aufgehen lassen. Ist es Dir auch so ergangen?

Was ist Deine Geschichte?

Und woher wusstest Du eigentlich meine Adresse?

In der Hoffnung auf baldige Antwort und vielen Dank,

In der Hoffnung auf baldige Antwort und vielen Dank,

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1001 Briefe - 150-FollowerspecialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt