✨67 - Sonntag✨

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Damians Sicht
Mein unkontrollierter Gefühlsausbruch schockiert mich selbst so sehr, dass ich erst bemerke, dass Judy weint, als sie hörbar aufschluchzt. Erschrocken zucke ich zusammen. Ich halte inne und mein Zorn verfliegt augenblicklich. Ich wollte sie doch nicht zum weinen bringen! Was bin ich nur für ein Arsch? Erst denkt sie, dass ich sie vögeln will und jetzt bringe ich sie noch zum weinen? Der bisher so schöne und aufregende Abend sollte hiermit wohl offiziell gelaufen sein... »Hey, nicht weinen! N-nicht doch, d-das w-wollte ich nicht!«, sage ich ganz verdattert und trete vorsichtig zurück ans Bett. Ich setze mich auf die Bettkante und greife nach ihrer Hand. »Ich... Ich wollte dich nicht so löchern... Ich... Ich will nur nicht, dass du denkst, ich bin ein Arschloch.«, sage ich zerknirscht und versuche, nicht allzu sehr daran zu denken, was sie mir gerade alles an den Kopf geworfen hat. Mir ist mit einem Mal egal, wer von uns beiden gerade schlimmeres gesagt hat. Ich will auf keinen Fall, dass dieser Abend im Streit endet! Wir haben uns geküsst und es war unglaublich! Sie soll diesen Abend nicht schlecht in Erinnerung behalten. »N-nein, d-du ha-hast ja re-hecht.«, bringt sie hervor und unterdrückt ihr Schluchzen, während sie sich die Tränen abwischt. Ich greife unter mein Bett, wo ich ganz zufälliger Weise immer eine Packung Taschentücher liegen habe und reiche ihr ein frisches. Sie nimmt es dankbar an und denkt zum Glück nicht weiter darüber nach, wieso die Packung nur einen Handgriff entfernt lag, bevor sie hineinschnäuzt. »Tut mir leid, ich meinte das nicht so.«, sagt sie, ganz verschnupft und schuldbewusst.

»Ehm... Also... Heißt das jetzt, wir wollten beide eigentlich gar nicht miteinander schlafen?«, fasse ich nach kurzer Überlegung zusammen. Stutzig sieht sie mich an. Sie scheint zu realisieren, was ich gerade ebenfalls denke und wir müssen beide ein wenig lachen. Es ist zwar ein leicht befangenes Lachen, doch es lockert die Situation deutlich auf. »Anscheinend...«, sagt sie und zuckt seufzend mit den Schultern. »Bedeutet das... Also... Heißt das jetzt, du... willst was von mir?«, frage ich und versuche, nicht allzu begeistert davon zu klingen. Sie sieht mich verlegen an. Meinem fragenden Blick ausweichend, kratzt sie sich am Kopf. »Dam, also... ich... ich weiß nicht...«, als sie jedoch meinem enttäuschten Blick begegnet, packt sie mich schnell am Arm und sagt: »Nein, versteh mich nicht schon wieder falsch, bitte! Ich mag dich wirklich... sehr.« Eine ganze Weile blicken wir uns verlegen und unschlüssig in die Augen, aus Angst, ein weiteres Missverständnis zu verursachen. Doch ich lächle, dieses Geständnis reicht mir völlig. »Ich dich auch.«, sage ich und streiche ihr über die Wange, um die letze Träne wegzuwischen. Verlegen lächelt sie und lässt mich gewähren. Sie ist so unglaublich schön, selbst wenn sie traurig ist. Sie reißt mich praktisch in ihren Bann, allein durch einen einzigen Blick, erfüllt von Melancholie. Noch während ich mich frage, wieso sie so traurig aussieht, obwohl wir gerade alles geklärt haben, keimt in mir das Bedürfnis auf, sie noch einmal zu küssen. Meine Hand, die noch immer an ihrer Wange liegt, auch wenn ich die Träne schon längst weggewischt habe, streicht ihr nun eine Haarsträhne hinters Ohr. Dadurch wird das winzige Muttermal an ihrer Schläfe sichtbar und rundet das Gesamtbild ihres wunderschönen Gesichts perfekt ab. Wenn sie wüsste, wie sehr sie mein Herz zum schmelzen bringt, dann hätte sie diese Dinge eben bestimmt nicht gesagt. Vielleicht ahnt sie einfach nicht, wie wichtig sie mir geworden ist. »Judy?«, frage ich in die Stille hinein. Ihre braunen Augen richten sich aufmerksam auf mich und sie setzt eine fragende Miene auf.

»Darf ich dich noch einmal küssen, bevor wir schlafen gehen?«, mein Herz mach einen kleinen Sprung, als sie zu lächeln beginnt und kaum merklich nickt. Und ich traue meinen Augen kaum, als ich sehe, dass diese seltsame Melancholie aus ihrem Blick verschwunden ist. Erleichtert lege ich meine Lippen auf ihren schmunzelnden Mund. Kribbelnd schießen die verschiedensten Empfindungen durch meinen Körper. Und in meinem Kopf wiederholt sich immer wieder derselbe Gedanke: Endlich küsse ich sie! Endlich! Endlich! Es kommt mir vor, als hätte ich nie etwas anderes so sehr gewollt, wie diesen Kuss. Es ist ein ruhiger, langsamer Kuss voller Ehrlichkeit und Besänftigung. Ihre Lippen sind so verdammt weich! Am liebsten würde ich sie die ganze Nacht küssen. Aber die Müdigkeit macht sich leider wirklich schwer bemerkbar. Als sich unsere Lippen voneinander lösen, hat sie ganz rosige Wangen. Zufrieden knipse ich die Nachtischlampe aus, ohne noch einmal auf die Uhr zu schauen. Sicher ist es schon so brutal früh, dass ich lieber nicht wissen möchte, wie spät es ist. Sie legt sich wieder hin und ich krieche zu ihr unter die Decke. Vorsichtig nähere ich mich ihr an, in der Hoffnung, dass sie nach dem kurzen Streit und der kleinen Versöhnung vielleicht auch etwas Nähe will. Und ehe ich es richtig realisiere, hat sie sich schon fest an mich gekuschelt, ihre Arme um mich geschlungen und ihre Nase in meinem T-Shirt vergraben. Etwas überrumpelt streiche ich ihr über das seidige Haar. So weich, so warm... und sie richt so gut! Wieder benebelt mich ihre bloße Nähe mit solch einer Euphorie, die innerhalb von Sekunden so stark meine Schläfrigkeit steigert, dass ich nach wenigen Minuten bereits ins Land der Träume abdrifte. Unterbewusst weiß ich, es ist kein Tiefschlaf. Sie liegt wirklich neben mir, denke ich noch, bevor ich mich plötzlich auf dem Pausenhof unserer Schule wiederfinde. Ganz allein liege ich mitten auf dem gepflasterten Stein. Wie bin ich denn hier gelandet? Bin ich hier etwa eingeschlafen? Auf dem Boden? Wie ulkig. Ich er erhebe mich und komme ungelenk auf die Beine. Wo sind bloß alle hin? Hab ich etwa den Unterrichtsbeginn verschlafen? Was ist heute überhaupt für ein Tag? »Dam!«, hinter mir ruft entfernt jemand meinen Namen. Ich höre die Person näher kommen, doch die Schritte hallen seltsam auf dem Pflaster, gar nicht so, als ob es hier draußen wäre. Es hört sich richtig unwirklich an. Ich wende mich um. Es ist Corby! »Hey, wo kommst du denn her?«, frage ich grinsend. Corby kommt vor mir zum stehen und scheint gar nicht außer Puste zu sein, obwohl er doch gerade gelaufen ist! Der Kerl hat eine beneidenswerte Kondition! »Ich war noch bei Jayden. Er und Finni schwänzen heute gemeinsam, wenn du verstehst was ich meine.«, er zwinkert mir verschwörerisch zu und ich frage mich, worauf er hier gerade anspielen will.

Er scheint meine Verwirrung zu bemerken und sagt: »Huch, jetzt hab ich mich verquatscht. Ich sollte dir ja nichts sagen, weil du ein homophobes Arschloch bist.«, er grinst frech und ich kann kaum glauben, was er da von sich gibt. »Was willst du denn damit sagen?«, frage ich beleidigt und verschränke die Arme vor der Brust. Corby schürzt die Lippen, beugt sich nach vorn und sagt: »Nichts für ungut, aber du hast uns ja nicht mal was von deinen Vätern erzählt.« Erschrocken weiche ich zurück. »Woher weißt du...«, die Frage bleibt mir im Hals stecken. »Das stimmt. Ich hab es auch nur zufällig rausgefunden.«, erklingt plötzlich eine weitere Stimme neben uns. Überrascht wende ich den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen ist und sehe Judy direkt ins Gesicht. Wo ist sie denn jetzt plötzlich hergekommen? Ich habe sie gar nicht bemerkt! Völlig perplex verfolge ich nun das Gespräch der beiden. »Er würde doch niemals zugeben, dass er mit einem schwulen Pärchen befreundet ist. Deswegen haben wir nichts gesagt, ist doch nur verständlich.«, behauptet mein bester Freund fachmännisch, als wäre ich gar nicht da. »Natürlich. Was erwartest du auch von einem Fuckboy? Der hat kein Einfühlungsvermögen für sowas.«, stimmt Judy ihm zu. Wie bitte?? Hat sie etwa vergessen, dass ich direkt neben ihr stehe?? Was ist nur in die beiden gefahren?? »Ist schon gut ihr zwei! Er hat uns sowieso schon erwischt.«, erklingt plötzlich Jaydens Stimme hinter mir. Wir alle blicken uns nach ihm um und entdecken ihn, ein wenig abseits, gemeinsam mit Finnian. Alarmiert stelle ich fest, dass die beiden nackt sind. »Finni! Jay! Zieht euch gefälligst was an!«, sage ich erschrocken und halte mir die Hände vor die Augen. »Da seht ihr es, er findet euch ekelhaft!«, ruft Corby und lacht. Lacht er mich etwa aus?? »Das stimmt doch gar nicht!«, sage ich erbost und stelle mich dem Anblick meiner nackten Freunde. »Bist du dir wirklich sicher? Findest du das wirklich normal?«, fragt Jayden verführerisch, während er Finnian von hinten die Hände an die Hüften legt. »Und das? Wie findest du das? Regt es dich auf?«, fragt er in gefährlichem Ton, während er sinnlich mit der Hand über Finnians Oberkörper streicht. »Lasst doch den Mist. Ich hab doch gar nichts gege—«, ich kann meinen Satz nicht beenden, weil Judy mir barsch über den Mund fährt: »Da habt ihr es! Als Mist bezeichnet er eure Liebe!« Vorwurfsvoll blicken mich alle vier an. »Das hab ich doch gar nicht gesagt!«, versuche ich mich vergeblich zu verteidigen.

»Gib es doch zu! Du findest es widerwärtig!«, faucht Finnian mich an. Ich weiche erschrocken einen Schritt zurück, so zornig hab ich ihn ja noch nie erlebt! »Nein, ich...«, völlig umzingelt, weiß ich nicht wohin mit mir. »Doch, das tust du!«, raunt Judy von links. Auch Corby lässt licht lange auf sich warten. »Du findest sie ekelhaft!«, sagt er und spuckt mir vor die Füße. Ein verletzendes Zeichen des fehlenden Respektes. »Wach endlich auf, Damian! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert!«, ergänzt Jayden und küsst Finni demonstrativ auf den Mund. Auch Corby sagt kopfschüttelnd: »Wach auf, Dam, wach auf.« Ich will antworten, dass ich doch gar nichts dagegen hab und es auch nicht widerwärtig finde. Verdammt, ich bin damit aufgewachsen! Für mich ist das nichts seltsames, mein einziges Problem ist die Gesellschaft, die mich dafür verurteilt! Doch ich bekomme nicht ein einziges Wort heraus. Stattdessen muss ich mir von allen abwechselnd anhören, dass ich doch aufwachen soll. Sogar Judy packt mich plötzlich an der Schulter und rüttelt an mir. »Wach doch auf, Damian! Wach auf!« Jetzt reicht es doch aber! »Hey, Großer, wach auf!«, sagt sie eindringlich und lässt meine Schulter gar nicht mehr los. Moment, wie hat sie mich gerade genannt? »Wach auf!«, zischt sie nochmals. »Es tut mir leid okay??«, bricht es aus mir heraus. »Was?«, kommt es verwirrt zurück, als hätte ich etwas total unlogisches gesagt. »Hä?«, frage ich deshalb und merke plötzlich, dass irgendwas komisch ist. Judy ist verschwunden und auch die anderen sind weg. Ich war doch gerade noch auf dem Pausenhof, wo bin ich denn jetzt gelandet?? Verschwommen blinzle ich mir den Schlaf aus den Augen. Habe ich das etwa nur geträumt? Ja, ich liege in meinem Bett, in meinem Zimmer. Es war also alles nur ein Traum, zum Glück! Erschrocken bemerke ich, dass die Hand immer noch an mir rüttelt, doch es ist gar nicht die von Judy, sondern die meines Vaters. »Dad? Was ist?«, frage ich verschlafen und etwas genervt. Warum weckt er mich? Es ist verdammt noch mal Wochenende! »Damian, warum bist du nicht bei Corby? Und wer ist das?«, fragt er mich flüsternd und ich realisiere, dass Judy noch immer neben mir liegt.

Hate Trans, Love TranceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt