Kein Ausweg

37 6 6
                                    

Triggerwarnung: Blut, Tod, Folter

Alles war vergessen, als ich in die leblosen Augen starrte und mein Blick auf den verstümmelten Arm fiel, aus dem immer noch das Blut floss. Ich wollte brechen. Umkippen. Schreien. Egal was. Hauptsache irgendwas. Aber ich konnte nicht. Ich starrte einfach auf die Leiche und wünschte mir, wenigstens eine angewiderte Reaktion von mir zu geben. Wenigstens eine Reaktion, die mir verriet, dass ich noch nicht komplett kaputt war.

Aber stattdessen lief ich, nach einem letzten Blick auf den fehlenden Unterarm des Mädchens, einfach weiter. Ich hatte wichtigeres zu tun. Mein Ziel befand sich hinter dem nächsten Raum. Ich war gleich frei.

Frei.

Ein komischer Gedanke nach drei Jahren Gefangenschaft. Oder waren es sogar noch mehr? Ich wusste es nicht mehr. Vielleicht war es auch besser so, dass mich der Anblick meines heutigen Mittagessens nicht weiter aufhielt, so kam ich schneller an meinem Ziel an. Vielleicht sollte ich mir darüber aber auch Gedanken machen.

Jeder normale Mensch würde nicht durch diesen Raum halb verstümmelter Leichen laufen, zu denen ich auch bald gehören würde, sollte ich den Ausgang nicht finden, ohne dass es ihn nicht weiter kümmerte. Aber von mir konnte man auch nicht mehr von normal reden.

Reden.

Selbst das kleinste Wort war für mich eine Qual. Fast hätte ich vergessen, wie das ging. Aber ich musste mich wenigstens einmal bei meiner Retterin bedanken.

,,Danke!"

Das war das erste Wort, das ich nach so vielen Jahren gerade so herausbrachte. Danke. Ja, wofür eigentlich? Dass ich die letzten Jahre in dieser Hölle hier verbracht habe? Na, ganz sicher nicht! Doch es schien mir angemessen.

Ihretwegen hatte ich eine kleine Hoffnung, hier rauszukommen. Hoffnung. Auch etwas, das sich nach Jahren das erste Mal wieder in mir ausbreitete.

Während ich so in Gedanken war, hatte ich den nächsten Raum erreicht. Er wäre der perfekte Schauplatz für einen Horrorfilm gewesen. Überall beschmutzte noch frisches Blut den sonst so reinen, weißen Boden. Auch die ebenfalls weißen Wände waren davon betroffen und der blutrote Lebenssaft, der die Opfer unzähliger Folterungen schon vor Stunden verlassen hatte, floss an den hellen Fließen gen Boden.

Hier und da konnte ich einige Hautfetzen in den Blutlachen entdecken. Das einzige, was die Putzfrauen bisher weggeräumt hatten, waren die Messer. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, dass der Metzger seine Opfer mit den Händen zerstückelt hatte.

Am Ende der Metzger- oder Folterhalle sah ich die letzte, grüne Tür, die mich am Verschwinden hinderte. Auch sie bestückte wie ihre Vorgänger ein milchig weißes Glas schräg über meinem Gesicht. Hätte ich mich auf die Zehenspitzen gestellt, hätte ich vielleicht hindurchblicken können. Aber dazu fehlte mir schon lange die Kraft. Schon die wenigen Schritte durch diese Räume hatten mir fast alle Kraft geraubt, die ich noch hatte.

Das Leben hier in den untersten Hallen der Hauptstadt war mehr als erbärmlich. Man konnte es eigentlich gar kein Leben mehr nennen. Hätte man mir die Möglichkeit gegeben, Suizid zu begehen, so hätte ich sie ergriffen. Aber diesen Gefallen gaben sie einem hier unten nicht.

Mein Zellenpartner hatte es einmal versucht. Der Wächter, der uns nach Tagen wieder etwas zu essen brachte, hatte eine Schusswaffe an seinem Gürtel stecken. Er war wohl neu oder hatte vergessen, seine Waffe abzulegen. Jedenfalls hatte mein Zellenpartner die Möglichkeit gesehen und sein Glück versucht. Natürlich hatte er keine Chance gehabt. Er, ein ausgemergelter, schwacher Junge, gegen einen großen, trainierten Soldaten.

Der Mann hatte ihn geschlagen und ohne zu zögern aus der Zelle geschleift. Danach habe ich mir meine Zelle mit niemandem mehr geteilt. Doch es machte keinen Unterschied.

Langeweile und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt