Es ist okay

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Nicht weinen. Nicht weinen.

Immer wieder denke ich diese Worte.

Nicht weinen. Nicht wegen sowas.

Ich konzentriere mich auf meine Schritte. Weiche einigen Schülern aus. Meine Freunde sind schon längst in der Cafeteria. Ich laufe an der langen Schlange vorbei, die darauf wartet, Mittagessen zu bekommen. Ich stelle mich nicht an. Habe keinen Hunger.

Wieder wandern meine Gedanken zu der fünf, die wahrscheinlich meine ganze Zeugnisnote versaut hat.

Nicht weinen. Jetzt bloß nicht weinen.

Wäre es nur diese eine fünf. Doch sie kommt zu dem ganzen anderen Scheiß dazu. Dem Streit mit meiner Freundin. Dem Druck, den die Lehrer uns machen. Dem Tod unserer Katze. Der drei in Deutsch. Dem Busstress von heute früh. Es ist einfach zu viel. Zu viel, um stark zu bleiben.

Aber ich muss. Ich muss stark bleiben. Sonst würden sich alle nur Sorgen machen. Sie würden es nicht verstehen. Ich kann es nicht noch schlimmer machen, als es eh schon ist. Sie sind so schon enttäuscht von mir. Ich muss es wieder gut machen. Ich darf nicht noch einmal versagen.

Ich schlucke. Das Gefühl in mir bleibt. Das Gefühl, nichts mehr auf die Reihe zu kriegen. Das Gefühl, alles falsch zu machen. Das Gefühl, nicht genug zu sein. Tränen sammeln sich in meinen Augen.

Nicht weinen.

Ich blinzle sie entschlossen weg. Atme tief ein. Ich muss stark bleiben. Niemand soll merken, wie schlecht es mir geht. Das würde alles schlimmer machen. Sie würden es nicht verstehen.

Ich erreiche die Cafeteria. Sie ist überfüllt, wie jeden Tag. Mit den Augen suche ich die Tische ab. Meine Freunde sitzen ganz hinten. Der ganze Tisch ist besetzt. Ein weiterer Grund für meine Augen, sich wieder mit Tränen zu füllen.

Es wäre besser, jetzt zu gehen. Jetzt. Bevor es zu spät ist. Bevor ich wirklich anfange zu weinen.

Ich drehe mich um. Das Gefühl in mir wächst. Ich fühle mich allein. Ausgeschlossen von allem. Einfach nur schlecht. Als ob ich nie wieder glücklich werden kann. Ich habe versagt.

Ich spüre ihn, bevor ich ihn wirklich sehe. Er steht da, neben der Tür. Allein. Und er sieht zu mir. Er sieht mich. Lächelt mir zu.

Ich laufe los. Sehnsucht steigt in mir auf. Schon stehe ich vor ihm. Ich schmeiße mich in seine Arme. Ich bin zu Hause.

Erleichterung. Frieden füllt mich aus. Erneut steigen mir Tränen in die Augen. Jetzt lasse ich sie zu. Jetzt ist es okay. Vor ihm muss ich nicht stark sein. Er kennt mich.

Fest drückt er mich an sich. Er ist da. Er hält mich. Er lässt mich nicht allein. Niemals.

"Es ist okay."

Keine weiteren Worte. Doch die sind nicht nötig.

Er ist da. Er sieht mich. Er kennt mich. Er liebt mich.

Er fühlt, was ich denke. Aber das ist bei ihm jetzt egal. Denn bei ihm habe ich nicht versagt. Bei ihm muss ich nichts beweisen. Bei ihm kann ich einfach ich sein. Bei ihm bin ich perfekt.

Ich spüre pure Liebe. Er liebt mich. Er nimmt mich an, wie ich bin. Ich kann alles loslassen. Es ist nichts mehr wichtig. Der Druck. Die Einsamkeit. Das Gefühl, nichts wert zu sein. Es ist egal. Denn er ist da. Und er liebt mich.

Langeweile und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt