Der letzte Moment

18 6 4
                                    

Als erstes sehe ich die vor Horror weit aufgerissen Augen meines Freundes und seinen geöffneten Mund, als wolle er schreien. Dann bemerke ich den ekelhaften Geruch nach Schweiß und Bier, der mir in die Nase steigt und schmecke das Blut, als ich mir vor Schreck ausversehen auf die Zunge beiße.

Ich höre, wie die Pistole entladen wird, die Schritte, als sich mein Mörder mir nähert. Meinem Gleichgewichtssinn ist es zu verdanken, dass ich noch auf meinen Füßen stehe. Als letztes spüre ich den Pistolenlauf an meinem Rücken. Doch das ist nicht das einzige, was ich fühle.

Angst und Entsetzen vermischen sich in mir zu Panik. Ich kann nicht atmen, drohe zu ersticken, noch bevor mein Mörder abdrücken und mich in den Tod schicken kann. Aber ich kann nur still da stehen, wie gelähmt. Meine Lippen beben und Tränen schießen mir in die Augen.

Gleich ist es vorbei. Die guten und schlechten Momente, die traurigen und glücklichen. Meine Gedanken, Gefühle. Mein Dasein. Das Leben. Alles einfach weg.

Wird es wehtun? Ist der Tod das Ende? Oder ein Neuanfang? Was wartet auf mich? Komplette Dunkelheit? Ein Paradies? Absolute Leere? Nichts?

Werden mich meine Eltern vermissen? Und meine Freunde? Werden sie trauern? Oder einfach weitermachen, als sei nichts geschehen? Werden sie meinen Mörder fassen? Was ist seine Strafe? Das Todesurteil? Will ich das denn überhaupt? Wer ist mein Mörder? Wird jemand mein Tagebuch finden? Und all die Notizbücher? Würden sie meine Gedanken verstehen? Es wenigstens versuchen? Oder mich als verrückt abstempeln? Würden sie sie aufbewahren? Als Erinnerung? Sogar veröffentlichen? Oder ignorant wegschmeißen? Werde ich sie je wiedersehen? Ist mein Glaube die Wahrheit? Wird er mich retten? Vor dem Tod, oder was auch immer nach dem Leben kommt? Oder ist er irrelevant?

Vielleicht gibt es ja tatsächlich ein Paradies, wie in vielen gläubischen Büchern beschrieben. Vielleicht ist der Tod ja wirklich nicht das Ende. Vielleicht aber schon. Wer wusste das? Nur die Toten. Aber du kannst einen toten Mann schlecht fragen, was nach dem Sterben passiert.

Ich hatte ein Haustier. Werde ich es je wiedersehen? Wird je irgendjemand mich und meine Gedanken verstehen können? Oder werden sie mich auslachen, verhöhnen, so wie es immer war? Werden sie es bereuen? Das, was sie immer zu mir gesagt haben? Wird jemand den Sternenhimmel je wieder so ansehen wie ich? Seine Schönheit erkennen, die man weder in Worte noch in Bildern fassen kann? Wird jemand neues in meine Klasse kommen? Oder wird mein Platz für immer frei bleiben? Wird sich überhaupt jemand gerne an mich erinnern? Oder wollen sie mich vergessen? Wer wird meine Sachen bekommen? Meine Familie, Freunde? Werden sie sie verkaufen? Und was geschieht mit meinem Zimmer? Wird es nun leer stehen? Oder werden meine Eltern daraus das heißgeliebte Kinozimmer machen, das sich mein Vater immer gewünscht hatte?

Wird es wehtun? Ist der Tod das Ende? Oder ein Neuanfang? Was wartet auf mich? Komplette Dunkelheit? Ein Paradies? Absolute Leere? Nichts?

Viele Fragen, auf die ich keine Antwort finde. Schon gar nicht jetzt, in meinen letzten Sekunden. Das Leben kann so schnell vorbei sein. Dann war es einfach aus.

,,Ritsch ratsch, du bist Matsch", gackert die stark betrunkene Stimme hinter mir. Dann hörte ich den Schuss und spürte... absolute Leere.

Langeweile und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt