Zitronensorbet

101 18 22
                                    

- Riley -

"Riley Blake, hallo?"

Einen Moment lang herrscht Stille am anderen Ende der Leitung, dann höre ich ein zittriges Ausatmen und schließlich eine leise, wenn auch vertraute Stimme: "Riley, hier ist Judy."

Wieder herrscht Stille, während ich müde die Augen schließe und mich zurück in die Polster meiner Couch sinken lasse. Es ist schon eine Weile her, vielleicht drei Monate, seit ich das letzte Mal mit ihr gesprochen habe. Das schlechte Gewissen meldet sich sofort wieder, sodass ich tief durchatme.

"Hey Judy, schön, mal wieder von dir zu hören."

Ich bemühe mich um einen unverfänglichen Ton, auch wenn ich bereits ahne, dass etwas nicht stimmt. Wahrscheinlich wieder irgendein Streit zwischen ihr und meiner Mutter. "Tut mir leid, dass ich mich so lange nicht mehr bei dir gemeldet habe", setze ich dann doch noch hinzu.

Judys Schniefen ist leise, aber deutlich zu hören, dann räuspert sie sich: "Riley, ich muss dir etwas sagen. Ich wusste es selbst nicht und habe es auch erst vor ein paar Stunden erfahren. Du... du solltest dich besser setzen."

Anstatt weiter zu reden, verfällt sie jedoch wieder ins Schweigen zurück, was meine mittlerweile angespannten Nerven zu nervösem Surren treibt. "Was ist los, Judy?"

"Dein Vater ist gestern gestorben."

Entgeistert reiße ich den Kopf hoch, in der festen Überzeugung, mich gewaltig verhört zu haben. Zur Sicherheit schüttele ich mich einmal, dann halte ich mir das Telefon wieder ans Ohr.

"W-was?!"

"Er hat wohl schon vor Monaten die Diagnose auf Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommen, sie aber für sich behalten. Francesca wusste auch nichts davon. Und gestern...", sie bricht ab und muss die Hand auf das Mikrophon ihres Smartphones gelegt haben, denn ich höre ihr Schluchzen nur noch gedämpft.

Die nächsten Sekunden fühlen sich an wie Stunden. Mein Herz scheint mir förmlich aus der Brust springen zu wollen und ich kann keinen klaren Gedanken fassen, habe jeden Halt verloren. Es kommt mir unvorstellbar vor, dass Frederic Blake, der Mann, der mir schwimmen, Fahrradfahren, Autofahren und das Kochen beigebracht hat, jetzt nicht mehr da sein soll.

Judys brüchige Stimme holt mich wieder aus meiner eiskalten Lethargie: "Es muss wohl schnell und mit relativ wenig Schmerzen passiert sein. Francesca und Beatrice waren bei ihm. Er hat nicht gelitten."

Ich bekomme immer noch kein klares Wort über die Lippen, sondern lediglich ein fassungsloses Ächzen. Judy verstummt und ich meine fast, den gequälten Ausdruck in ihren braunen Augen sehen zu können - derselbe, der auch in meinen glitzern muss.

"Ich packe meine Sachen und bin morgen früh bei euch", krächze ich leise und kneife die Augen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten. Von Phoenix bis San Antonio sind es nur zwei Stunden Flug, dann noch eine zwanzigminütige Fahrt nach Davestown.

Judy seufzt. "Ich bereite dir unser Gästezimmer vor und sage Max Bescheid. Schreib ihm, wann du da bist, er wird dich am Flughafen abholen."

Gerade habe ich zustimmend gebrummt und will mich verabschieden, um mich in Ruhe meiner völligen Fassungslosigkeit und Trauer hinzugeben, als sie noch einmal meinen Namen murmelt.

"Ja?", antworte ich automatisch ohne nachzudenken.

"Es tut mir so furchtbar leid."

Sprachlos sitze ich da, kämpfe mit meinen überschäumenden Gefühlen. Schließlich presse ich einen erstickten Laut hervor. "Mir auch."

Liebe geht durch den MagenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt