Jack Daniels

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- Riley -

Atlas ist schon weg, als ich am nächsten Morgen aufwache. Ein warmes Gefühl erfüllt mich und lässt mich durch die ersten Stunden des Tages schweben.

Max und Judy sind an der Arbeit, weshalb ich ungestört meinen Notizblock, meinen Laptop und eine Tasse Kaffee am Küchentisch ausbreiten und mich in die Organisation des Essens für Dads Trauerfeier stürzen kann.

Da meine Mutter mir fast vollkommen freie Hand gelassen hat, was die Menüauswahl und Getränke angeht, lasse ich mir viel Zeit dabei, etwas auszusuchen, dass mir angemessen erscheint.

Gegen Mittag bin ich beinahe fertig, habe mich durch die umliegende Gastro telefoniert und das nötige Equipment organisiert, die Lebensmittel bestellt und jemanden gefunden, der das Catering nach meinen Vorstellungen übernimmt. 

Plötzlich ertönt die Türklingel und lässt mich aufschrecken. Schnell lasse ich alles stehen und liegen und öffne die Haustür, vor der bereits ein junger Postbote wartet.

„Hi?", frage ich etwas irritiert. Normalerweise klingelt hier nie ein Postbote. Wofür gibt es Briefkästen? Der junge Kerl mustert mich skeptisch, dann hält er einen weißen Briefumschlag hoch.

„Sind Sie Riley Blake? Ich habe einen Brief für Sie, der persönlich übergeben werden soll."

Misstrauisch nicke ich. Schon habe ich den Brief in der Hand und bevor ich auch nur einen Ton von mir geben kann, ist der unfreundliche Kerl schon wieder weg.

Mit einem Seufzen schließe ich die Haustür also wieder und öffne den zugeklebten Briefumschlag.

Ich überfliege den Inhalt einmal. Blinzle. Lese ihn nochmal. Und nochmal. Und spüre eiskalte Enttäuschung in mir aufsteigen.

- Atlas -

Ich bin gerade an den letzten Ausfeilungen des Briefes an den Anwalt von Mrs Giordano-Blake, als mein Telefon klingelt.

Schnell beende ich den letzten Satz, dann nehme ich den Anruf ohne hinzusehen und vollkommen routiniert ab.

„Anwaltskanzlei Regibald & Walker, Sie sprechen mit Atlas Wilkinson?"

Kaum dass ich meinen Namen ausgesprochen habe, höre ich Rileys kalte Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Ja, Atlas, ich weiß, wer du bist. Ich habe gerade einen Brief von VivaTech bekommen, dass ich meinen Job verloren habe, weil ich der Firma  angeblich 10.000 Dollar gestohlen habe.

Aber warte - es wird noch besser. Hier teilen sie mir mit, dass sie ein Verfahren gegen mich einleiten wollen und rate mal, wer den beschissenen Fall übernommen hat?!

Ich konnte sonst keinen Atlas Wilkinson bei Regibald & Walker finden. Ist das dein Ernst?! Und ist das überhaupt legal, ein Fall für mich und einer gegen mich?"

Fassungslos lausche ich seinen schnellen, lauten Worten und ahne, dass sein sanftes Lächeln von heute Morgen so schnell nicht wiederkommen wird. Zumindest für mich.

Fluchend klemme ich mir das Telefon zwischen Schulter und Ohr und scrolle durch meine Mails. Währenddessen rede ich auf Riley ein:

„Riley, bitte warte einen Moment. Im Moment habe ich alle weniger wichtigen Fälle pausiert, bis ich wieder in Houston bin. Die neuen Fälle nehme ich nicht an, die werden mir zugeteilt. Ich wusste nichts von dem Verfahren gegen dich, okay?"

Ich höre ihn nur schnauben.

„Ja klar, Herr Anwalt. Seid wann bist du überhaupt auf Strafrecht spezialisiert? Ich dachte, Erbrecht ist dein Ding."

Innerlich schlage ich mich selbst. Ich kann seine Wut sogar verstehen, aus seiner Perspektive muss ich fürchterlich skrupellos wirken.

„Wir sind alle auch im Strafrecht tätig, das ist Einstellungsbedingung, aber nur im Notfall. Wahrscheinlich hatte keiner meiner Kollegen mehr Zeit und sie haben mir aus Versehen den Fall zugeschoben.

Das war bestimmt ein Systemfehler. Ich darf ihn noch nicht einmal annehmen, Riley. Das wäre ein Interessenkonflikt."

„Interessenkonflikt am Arsch! Ich dachte, du würdest die Dinge ein wenig persönlicher nehmen als nur ein Aktenzeichen, Atlas."

Ich höre die Endgültigkeit in seinem Ton und kann mir einen Fluch nicht verkneifen.

„Verdammt, Riley, lass mich wenigstens erklären. Du hast mich nicht verstanden! Ich komme jetzt sofort zu dir, okay?"

„Kein Interesse, danke. Anscheinend klären wir die Sache ja in drei Wochen vor Gericht.

Komm nicht vorbei, Atlas, belassen wir es bei gestern Nacht. Mach einfach deinen Job und hilf Max und Judy."

Mit diesen Worten ist die Leitung tot. Ungläubig starre ich das Telefon in meiner Hand an. Das darf jetzt nicht wahr sein!

Kurz bin ich versucht, irgendwas zu zerstören, aber ich bin nur in einem Hotel und die Rechnung wäre das kurze Gefühl von Erleichterung nicht wert.

Stattdessen wandert mein Blick zur Minibar unter dem Fernseher und findet zielsicher die kleine Flasche Whiskey.

Wenig später wähle ich die Nummer meiner Kanzlei und mache mich gefasst, ein Donnerwetter loszulassen.

Ich werde das hinbiegen, egal wie.

Liebe geht durch den MagenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt