Kapitel 3: Unser besonderer Ort

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Heute ertappte ich mich dabei, wie ich an ihm vorbei fuhr. Ich musste ins Revier und eine Akte zurückbringen. Von mir Zuhause sind es tatsachlich nur fünf Minuten umweg. Ungefähr eine Kreuzung und dann den Berg rauf. Ich konnte nicht anders und musste einen Moment inne halten. Ich fuhr mit meinem Wagen rechts rann und stieg aus. Der Sommer ist bald zuende. Die Sonnenstrahlen ließen alles wie damals wirken. Es war genau wie damals. Von hier oben konnte man die ganze Stadt sehen. Sie lag dort in einem Tal und ging bis zum Meer. Ich erinnere mich noch wie ich das erste mal mit Cole hier oben war. Ich erinnere mich wie komisch ich es fand noch nie hier gewesen zu sein. Mein ganzes Leben habe ich in Caseyville verbracht und doch war ich nie hier oben, bis er es mir gezeigt hatte. Ich lehnte mich über das Geländer der Plattform. Ein vertrauter Luftzug ging mir durch den Nacken. Es fühlte sich für einen Moment an wie damals...

Damals

"Hey schau mal!" sagte Cole und stieg aus seinem VW Golf 1 aus. 
"Du warst viel zu schnell. Das Ding hat dich geblitzt!" sagte ich und stieg aus der Beifahrertür. 
"Ist doch egal. Jetzt entspanne dich" sagte er in gelassener Stimme. Er war voller Vorfreude, fast wie ein kleines Kind wippte er auf der Stelle hin und her. 
"Nein ist es nicht. Das wird teuer. Du warst mindestens 20 km/h zu schnell" erinnere ich ihn. Auf dem Weg hierher durch die Innenstadt fuhr er wie ein Verrückter. Überhaupt, wie das alles hier zu stande kam. Er rief mich an, es muss gegen 19 Uhr gewesen sein. Am Telefon behauptete er er müsse mir was zeigen, was nicht warten kann und ich soll mich in zehn Minuten auf dem Parkplatz einfinden. 
Erst war ich amüsiert, aber er freute sich so sehr das man ihn kaum halten konnte. 
Cole war immer so. Ich lernte ihn mit seinen zwei Launen kennen: Entweder war er verschlafen und ruhig oder energiergeladen und glücklich. Meistens hing es sehr davon ab wie viel er am vorabend geschlafen hatte. 

"Was ist denn überhaupt so wichtig, dass du mich mit her nimmst? Ich muss lernen! Morgen ist doch der Test in..." versuchte ich zu sagen, doch als ich das erste mal den Ausblick sah vergas ich was ich sagen wollte. Die Sonne ging gerade unter. Es sah so aus als würde sie im Wasser verschwinden und die Stadt langsam aber sicher in Dunkelheit hüllen. 

"Ta da!" sagte Cole demonstrativ und lächelte stolz. 
"Wow" antwortete ich. 
"Aber... warum?" fügte ich dann hinzu. 
"Ich möchte ja nicht das mein Parker ausbrennt" sagte er und ging die paar Schritte zurück zu seinem Auto.
"Also habe ich mir überlegt dich einmal zu entführen und dir einen tollen Ort zu zeigen" fügte er hinzu und nahm zwei Bier aus dem Kasten, welcher in seinem Kofferraum stand. 

"Das ist echt nett von dir, aber..." wollte ich anfangen, doch er unterbrach mich: "Psscht. Jetzt nicht. Jetzt sind wir einmal hier in dem Moment und nicht morgen in der Prüfung" sagte er und legte mir das Bier in die Hand. 
"Cole, die ist sehr wichtig" versuchte ich ihm zu sagen, doch er beachtete mich gar nicht und lehnte sich gegen das Holzgeländer auf der Plattform. 
"Weißt du, manchmal mache ich mir sorgen um dich" sagte er dann und schaute auf die Stadt. 
"Warum?" fragte ich und lehnte mich neben ihn. 
"Du Arbeitest immer so unfassbar viel Parker. Das ist auch nicht gut" sagte er und schaute mit seinen blauen Augen direkt zu mir hinüber. 
"Und du? Du arbeitest im Moment gar nicht. Ich mache mir auch sorgen" antworte ich ihm. Dabei wurde mein Ton fast schon mürrisch, gar bockig. 
"Und deswegen ergänzen wir uns so gut" sagte er und lächelte. 
"Da musst du auch gar nicht meckern" fügte er neckisch hinzu. 

"Weißt du, ich verbringe wirklich gerne Zeit mit dir" sagte er dann, was mich meine Wut und meinen Stress von einen Moment auf den andern vergessen ließ. 
"Tut mir leid wenn ich dabei manchmal etwas... störrisch bin" fügte er unsicher hinzu. 
"Ist okay" sagte ich einfühlsam und schaute in die Stadt hinunter.
"Vielleicht habe ich das wirklich mal gebraucht nach dem ganzen Stress" stimmte ich ihm nachträglich zu. 

Im Nachhinein fragte ich mich oft, ob ich vielleicht zu schnell eingeknickt habe.

Wir besuchten während unserer gemeinsamen Zeit sehr oft diesen Ort. Mindestens einmal pro Woche schauten wir uns den Sonnenuntergang an. Nicht immer alleine, manchmal auch mit anderen Freunden. Und doch waren wir beide immer zusammen hier. 

Heute... ist das anders. 

Ich glaube, das ist das erste mal, dass ich unseren gemeinsam, unseren besonderen Ort, ohne Cole besuche. Und als ich der Sonne beim untergehen zuschaute füllte es sich fast an, als ob sich nichts verändert hatte. Die Sonne verschwindet immer noch hinter den fast endlos langen Wasserfronten und lässt die Stadt im dunkeln zurück. Alles was sich verändert hat, Cole, waren wir. Und doch bin ich hier. Nur ohne dich. 

Aus dem sonst so erheiternden Gefühl von Leichtigkeit und Freude ist eine Schwere in der Luft geworden. Ich senkte meinen Kopf. Das Kribbeln von damals, es ist nur noch in weiter ferne. Wie ein Echo, welches mir von ganz weit entfernt zuruft. Und doch bin ich hier. 

Doch wo bist du?

Wer ist Cole?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt