Kapitel 9: Wer ist Cole?

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Selten in meinem Leben hatte ich in so kurzer Zeit so viel auf einmal erlebt. 
Es war so eigenartig, wenn man drüber nachdenkt. Es war der merkwürdigste Urlaub meines Lebens. 

Seit meinem Treffen mit Cole ist fast eine Woche vergangen. Seit dem fühle ich mich merkwürdig. Ich kann es nicht richtig beschreiben. Es fühlt sich an als würde ich zwischen zwei Welten feststecken. Zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Ein Teil von mir, der 19 jährige unsichere Junge, war unfassbar glücklich. Aber mein jetziges ich, der 23 jährige Kommissar, wollte ihn festnehmen lassen und seiner gerechten Strafe zuführen. 

Ob es ihm ähnlich geht? 
Wenn wir uns unterhalten, dann ist es genau wie damals. Wenn die äußeren Einflüsse nicht wären...

Ein Teil von mir steht immer noch vor der Akademie und schaut den lächelnden Jungen an und wünscht sich nichts sehnlicher, als ihn kennenzulernen. Aber das ist nicht echt... oder?
Ist es falsch? Lebe ich in der Vergangenheit oder...

Ich schlafe seit dem sehr schlecht und denke oft drüber nach. Oft bis sehr lange in die Nacht hinein. Durch meine Arbeit kann ich mich zwar ablenken, aber ich würde lügen wenn ich sage, dass der wenige Schlaf und die schlechte Konzentration sich nicht auch auf meine Arbeit auswirken würden. 

Es fing an wie ein ganz normaler Tag, doch ich konnte mich kaum an meinen Schreibtisch setzten, da rief mich Miller in sein Büro. 

"Setzt dich Parker, ich muss dich etwas fragen" sagte er und deute auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. 

Ich verbrachte selten längere Zeit in dem Büro von meinem Boss. Meistens bin ich nur kurz drin und gebe ein paar Dokumente durch oder führe kurze Gespräche mit ihm. Mir ist vorher, daran erinnere ich mich, zum Beispiel nie das Familienbild auf seinem Schreibtisch aufgefallen. Oder das er ein Foto mit den zwei Jungen, ich glaube sie hießen Paul und Niklas, an der Wand hängen hat. Am Bilderrahmen hängt auch eine Postkarte. Was dort wohl drinnen steht? 

"Parker, erst einmal freue ich mich, dass du aus dem Urlaub zurückgekommen bist" sagte er und lächelte, bevor er die Hände zusammen auf den Tisch legte und eine ernstere Haltung annahm. 
"Ich muss dich etwas fragen. Etwas zu dem Raub, welchen du und Alexa untersucht habt" fuhr er fort und machte wieder eine Pause. 
Miller hatte die Angewohnheit bei unangenehmen Gesprächen immer lange Pausen zu machen. Als würde er jedes Wort des nächsten Satzes noch einmal in seinem Kopf durchdenken, bevor er etwas sagt. 
"Der Täter, du bist ihm in die Gasse gefolgt und...?" fragte er mich und musterte mich. Ich kenne diesen Blick. Er schaut darauf, wie ich mit meiner Körpersprache auf diese Frage reagiere. Mit der Körpersprache geben wir Menschen mehr Preis als mit unseren Worten und Miller kennt diese Taktik. Ich habe sie selber schon in Verhör Gesprächen benutzt. 
"Er ist über den Zaun gestiegen. Ich war nicht schnell genug. Ich hatte an diesem Tag sehr mit meinem Kopf zu tun. Ich schätze ich war dehydriert gewesen und..." wollte ich erzählen, doch zu meinem Schock holte er ein Foto aus einem Schubfach und legte es auf den Tisch. Es war ein Klassenfoto von damals, wo er und ich nebeneinander standen. Daneben legte er ein Foto von der Überwachungskamera, welches kurz vor dem Schuss gemacht wurde. 

Er schaute mir genau ins Gesicht. 
"Du wirkst sehr angespannt" bemerkte er, doch ich antwortete ihm nicht.
"Ich habe das Gesicht von unserem Täter checken lassen und mir wurde dieses Foto aus unserer Datenbank gezeigt" fuhr er fort und machte wieder eine Pause. Wie versteinert schaute ich auf das Foto von uns beiden. 

Mein Lächeln war so unfassbar glücklich. Er sah neben mir so zufrieden aus. Es fühlt sich an als wäre dieses Bild hunderte Jahre alt. Als würden die Menschen darauf gar nicht mehr exzitieren. 

"Parker..." fragte er mich, weswegen ich zu ihm hochschaute. 
"Wer ist Cole Blackwater?" fragte er mich. Als ich den Name hörte ging ein Impuls durch meinen ganzen Körper. 
"Ich zweifle nicht an dir als Polizist. Du bist ein hervorragender Polizist, aber manchmal... müssen wir uns Problemen stellen. Nicht etwa als Polizist, sondern als Mensch. Ich weiß, dass du alles versucht hast. Aber ich möchte verstehen wieso du ihn hast gehen lassen" sagte er in sanfter und ruhiger Stimme. Ich fühlte mich so ertappt. Er wusste bereits über alles bescheid und ihn zu belügen bringt nichts. 

"Ich kenne... kannte ihn" antwortete ich ihm und schaute hinunter auf das Foto. 
"Ihr wart beide hier auf der Akademie?" fragte er interessiert, ich nickte. 
"Nicht lange" fügte ich zu meiner Kopfbewegung hinzu. 

Miller änderte seine Sitzposition. Er öffnete seine Hände und legte sie jeweils rechts und links auf den Tisch. 
"Es ist nie einfach alte Freunde oder Bekannte zu treffen, welche sich für den falschen Weg entschieden zu haben. Ich verstehe dich Parker. Wir alle hier haben so etwas schon einmal erlebt. Ich möchte dich auch nicht dazu zwingen mir zu erzählen was passiert ist, aber ich möchte, dass du dir keiner Schuld bewusst bist. Der Ladenbesitzer lebt noch. Dir ist ein Fehler passiert, aber das ist normal, menschlich" sagte er bevor er wieder eine kleine Pause machte. 
"Wenn du drüber reden möchtest, dann sind Alexa und ich natürlich für dich da. Dich trifft aber keine Schuld an dieser Sache" sagte er und lächelte mich an. 

"Danke Sir" sagte ich und stand auf. 
"Ich... würde gerne meinen Bericht von gestern beenden gehen" sagte ich schnell und war schon auf halben Weg zur Tür. 
"Parker" sagte Miller und hielt mich auf. 
Eilig drehte ich mich zu ihm. 

"Ein Problem bedarf immer einer Lösung. Je länger das Problem wüten darf, um so schwerer werden die Folgen. Je länger man es ignoriert oder gar davon läuft, umso schlimmer fühlt es sich am Ende an. Manchmal werden gute Menschen von ihren Problemen verschlungen und finden sich in einer endlosen Hölle wieder. Alles holt uns ein. Niemand kann schnell genug rennen um immer vor allem zu entkommen" sagte er. 

Ich nickte, obwohl ich es nicht verstand. Nein, die Bedeutung dieses Satzes sollte mir erst viel später klar werden.

Wer ist Cole?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt