Kapitel 6: In der Zwischenzeit

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Ich wartete sehr lange auf die Rückkehr von Cole. Die erste Woche fühlte sich fast endlos an. Der erste Monat, das erste Jahr. Dann kam die praktische Prüfung. Und im Anschluss mein Anerkennungsjahr. Es fühlte sich an wie ein Wimpernschlag. Auf einmal bekam ich mein Abschluss. Ich war jetzt ein Kommissar im mittleren Dienst. 

Nicht nur das, ich gehörte zu den besten meines Jahrganges. Gemeinsam mit zwei meiner Mitschüler war ich auf der Titelseite der Zeitung von Caseyville. Doch irgendwie machte mich das nicht wirklich froh. Im Gegenteil. Sollte nicht Cole mit mir auf dieser Bühne stehen? Sollten wir nicht gemeinsam diesen unfassbar wichtigen Moment feiern? Die Wahrheit war, dass man nicht feiern kann, wenn man alleine ist. 

Natürlich war ich mit einigen meiner Mitschüler oberflächlich befreundet. Es waren überwiegend Lerngruppen, aber wirklich tiefe Freundschaften wie bei Cole und mir gab es nicht. Nie wieder lernte ich jemanden wie ihn kennen. Und auch fünf Jahre später war das Loch, welches er in meinem Leben hinterlassen hat, immer noch da. Es tat nur nicht mehr weh. Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt. Es wird eben nie wieder das Selbe sein. 

Wenn man alleine wohnt, sich nicht verliebt und auch sonst keine sonderlich großen Hobbys hat was tut man dann? Man stürzt sich in den Job. In unfassbar kurzer Zeit habe ich es geschafft in das Team von James Miller zu kommen. James Miller! Der Held von Caseyville City! 

Doch die ganze Zeit über, ganz tief in mir drin, wollte ich nichts mehr als Cole zu sehen. Ich wollte ihm sagen: "Schau! Guck was ich erreicht habe während du weg warst" 
Allerdings wusste ich mittlerweile das dieser Tag niemals kommen wird. Ich versuchte nicht allzu sehr daran zu denken. Die letzten Wochen waren unfassbar anstrengend und fordernd, was mir das sehr leicht machte. Doch jetzt, wo ich selber eine Art "Held" bin und meinen Urlaub "genießen" soll, fällt mir auf, dass es nichts zu genießen gibt. Im Gegenteil. Meine Arbeit ist das, was mich in der Gegenwart hält. Viel mehr gibt es nicht. 

Alexa meinte, ich soll einmal in den Urlaub fliegen und meinen Horizont erweitern. Einmal aus allem raus. Das hilft ihr wohl auch immer, aber wieso sollte ich alleine um die Welt fliegen? Die traurige Wahrheit ist, dass ich die ganze Zeit auf genau diesen Brief gewartet habe. Ich habe davon geträumt und sehr oft drüber nachgedacht, wie ich reagieren werde, sollte Cole tatsächlich noch Leben und versuchen in mein Leben zu kommen. Und doch saß ich an meinem Schreibtisch und wusste nicht was ich tun sollte. 

Den Brief las ich mehrmals. Die Schrift war blau. Es war seine Handschrift, ohne Frage. Er sah ordentlich und sorgfältig geschrieben aus. Ob er gelächelt hat, als er ihn schrieb? Oder geht es ihm vielleicht doch ähnlich wie mir? Es gab so viel was ich ihn fragen wollte. Soviel was ich sagen wollte. Doch nach all der Euphorie bemerkte ich, dass er vielleicht nicht mehr der ist, an den ich mich erinnere. Das letzte mal als ich ihn gesehen sahen hatte er offensichtlich mit Kriminellen zu tun. Was wenn er scheiße gebaut hat? Wenn er bis zum Hals in Problemen steckt? Nein, das wollte ich mir einfach nicht vorstellen. Vielleicht hat er es auch raus geschafft...

So viele Fragen. Aber wenn ich nur sitze und drüber nachdenke, dann werde ich nie auf eine Antwort kommen. Im Gegenteil. Ich muss das machen, wofür ich geboren wurde. Mein Job, meine Berufung: Ich muss nach Antworten suchen. 

Und so entschloss ich mich, einen Tag vor ende meines Urlaubs, künftig nachzuforschen. Wer hätte gedacht, dass die Antwort mich schon auf meiner ersten Streife erwarten würde...

Wer ist Cole?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt