»Nein, das von meinem Vater.« Sam stellt die Musik leiser.
»Donnerstags arbeitet er nicht, deshalb ist das der einzige Tag, an dem ich das Auto haben kann. Aber ich spare, um mir ein eigenes zu kaufen. Deshalb jobbe ich auch in dem Café.«
»Ich versuche auch, Geld zurückzulegen.«
»Wofür?«
»Fürs College«, antworte ich. »Vielleicht auch für eine Wohnung, wenn ich von hier wegziehe.«
»Wohin willst du denn? Du bist doch gerade erst hergezogen.«
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.
Sam nickt. »Also ein Geheimnis ...«
Da muss ich lächeln. »Vielleicht sage ich es dir ein anderes
Mal.«
»Hört sich gut an«, sagt Sam und schaut mich an. »Wie wär's mit nächstem Donnerstag?«
Ich muss lachen und dann sind wir auch schon da. Sam biegt mit dem Auto in den Schulparkplatz ein. Die Fahrt dauert nicht lange, aber der Donnerstag wird gerade zu meinem neuen Lieb-lingswochentag.
Die Erinnerung wechselt wieder. Scheinwerfer tanzen über den Boden der Turnhalle und laute Musik ertönt. Ich durchschreite einen Bogen aus silbernen und goldenen Luftballons.
An der Schule ist der große Herbstball und ich kenne niemanden.
Ich trage das neue Kleid, dass Mom mit mir gekauft hat, aus dunkelblauem Satin, mit eng anliegendem Bustier und weit schwingendem Rock. Mit den hochgesteckten Haaren habe ich mich im Spiegel kaum wiedererkannt. Am liebsten wäre ich gar nicht auf dieses Fest gegangen, aber davon wollten meine Eltern nichts hören. Ich müsse unbedingt mehr Leute kennenlernen, sagten sie, und ich wollte sie nicht enttäuschen. Schon eine Stunde lang stehe ich an die kalte Betonwand der Turnhalle gelehnt da.
Immer mehr Schülerinnen und Schüler strömen herein, tanzen und lachen. Von Zeit zu Zeit checke ich mein Handy, tue so, als würde ich auf jemanden warten. Aber ich werfe nur einen Blick auf den Startbildschirm. Es war ein Fehler, zu kommen.
Irgendetwas hält mich davon ab, zu gehen. Sam hat zu mir gesagt, dass er vielleicht auch da sein würde. Vor ein paar Stunden habe ich ihm getextet, aber es kam keine Antwort - vielleicht hat er sein Handy irgendwo liegen lassen? Als die Musik langsamer wird und viele Leute die Tanzfläche verlassen, schiebe ich mich zwischen den Paaren hindurch, um nach ihm zu suchen. Es dauert eine Weile. Als ich ihn schließlich finde, bleibe ich wie erstarrt stehen. Er hat die Arme um Taylor gelegt. Sie tanzen dicht anei-nandergeschmiegt. Mir wird schlagartig übel. Warum bin ich bloß hierhergekommen? Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Ich hätte ihm nicht schreiben sollen. Schnell drehe ich mich um, bevor er oder sie mich bemerken können, und stürme zum Ausgang.
Dunkelheit umgibt mich, während die Musik hinter mir immer leiser wird. Ich kann wieder atmen. Der Parkplatz ist so still im Vergleich zu dem Lärm dort drinnen. Nur ein paar Straßenlampen werfen ihr Licht. Es nieselt ein wenig. Ich sollte nach Hause, bevor es richtig zu regnen anfängt. Aber es ist noch zu früh, um meiner Mutter zu schreiben, dass sie kommen und mich abholen soll. Ich will nicht, dass sie mich fragt, was los ist. Vielleicht gehe ich einfach zu Fuß nach Hause und schleiche mich hoch in mein Zimmer. Mit den hohen Absätzen wird es nicht leicht sein, die Füße tun mir jetzt schon weh, aber ich achte nicht darauf. Während ich über den Parkplatz zur Straße gehe, höre ich die Musik einen Augenblick wieder lauter, dann ertönt eine Stimme, die ich sofort erkenne.
»Julie -«
Ich drehe mich um. Sam läuft mir hinterher. In seinem schwarzen Anzug wirkt er viel ernster und erwachsener als sonst.
»Wo willst du hin?«, fragt er.
»Nach Hause.«
»Im Regen? Zu Fuß?«Ich weiß nicht, was ich ihm darauf antworten soll. Ich fühle mich wie eine Idiotin und zwinge mich zu einem Lächeln. »Ach was. Nieselt nur ein bisschen. Und außerdem bin ich aus Seattle, schon vergessen?«
»Ich kann dich nach Hause bringen, wenn du willst?«
»Schon okay. Ich hab nichts gegen einen kleinen Spaziergang.« Meine Wangen fühlen sich warm an.
»Sicher?«
»Ja, mach dir mal keine Sorgen.« Ich will nur noch weg. Aber
Sam rührt sich nicht.
Ich starte einen neuen Versuch. »Wahrscheinlich wartet dadrinnen deine Freundin auf dich.«
»Ähm, was?« Er kommt ins Stottern. »Ach, du meinst Taylor?
Sie ist nicht meine Freundin. Wir sind nur gut befreundet.« Es gibt so viel, was ich ihm sagen möchte, aber ich bringe kein Wort heraus. Zu viele widersprüchliche Gefühle sind in mir.
Bin ich eifersüchtig? Dabei sind Sam und ich noch nicht einmal zusammen.
»Warum willst du so früh gehen?«
Ich sehe ihn im bunten Scheinwerferlicht vor mir, die Arme um Taylor gelegt. Aber das sage ich ihm natürlich nicht. »Ach, weißt du, ich kann mit solchen Schulbällen einfach nicht viel anfangen. Das ist alles.«
Sam nickt und steckt die Hände in die Hosentaschen. »Ja, ich weiß genau, was du meinst. Kann ziemlich langweilig sein.«
»Hat irgendjemand an solchen Veranstaltungen wirklich
Spaß?«
»Na ja, vielleicht bist du ja nicht mit der richtigen Person hin-
gegangen.«
Einen Moment setzt bei mir der Atem aus. Was will er damit sagen? Durch die halb geöffnete Turnhallentür ist zu hören, wie ein weiterer langsamer Song aus den Lautsprechern kommt.
Sam steht vor mir und wippt in seinen eleganten schwarzen Schuhen vor und zurück. »Willst du nicht ... tanzt du nicht
gern?«
»Ach, keine Ahnung ... Ich kann es einfach nicht besonders gut. Und ich mag es nicht, wenn andere mir dabei zusehen.«
Sam wirft kurz einen Blick in alle Richtungen. Dann grinst er und hält mir seine Hand hin. »Darf ich bitten? Hier sieht uns keiner ...«
»Sam -«, fange ich an.
Er lächelt. »Nur ein einziger Tanz.«
Ich halte den Atem an, als er einen Schritt nach vorne macht, nach meiner Hand greift und mich an sich zieht. Niemals hätte ich gedacht, dass mein allererster Tanz so sein würde, Sam und ich im Sprühregen draußen vor der Turnhalle, auf dem Parkplatz vor der Schule. Ich rieche den vertrauten Duft nach Zitrusfrüchten und Leder, als ich meine Wange an seine Brust lehne.
Als ich mich enger an ihn schmiege und die Hände auf seine Schultern lege, fällt ihm etwas auf.
»Was ist das denn?«
Die Kirschblüte aus Papier. Ich trage sie an einem Band am Handgelenk.
Wieder habe ich das Gefühl, dass meine Wangen warm und rot werden. »Kein Tanzpartner, kein Sträußchen. Deshalb habe ich mir selber eins gebastelt.«
»Die habe ich dir geschenkt.«
»Ja, ich weiß.«
Sams Lächeln wird größer. »Ich wollte dich eigentlich bitten, mit mir zum Ball zu gehen. Aber ich hatte Angst, dass du Nein sagen würdest.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil du mir damals nicht geschrieben hast.«
Ich schaue ihn fragend an. »Aber woher hätte ich denn nach unserer Begegnung in der Buchhandlung deine Nummer wissen sollen?«Du versuchst deine Liebe in deinem Herzen zu verstecken, doch ich sehe sie in deinen Augen.
DU LIEST GERADE
Bleib bei mir Sam
RomanceDie siebzehnjährige Julie hat ihre Zukunft perfekt geplant - endlich raus aus dem kleinen Ort, mit ihrem Freund Sam in die Stadt ziehen und studieren, den Sommer in Japan verbringen. Aber dann stirbt Sam. Und alles ist anders.Julie ist am Boden zers...