Ich drehte den Ball mit den schwarzen Unterschriften und Kritzeleien behutsam in meinen Händen. Die anderen Passagiere des Fluges nach Amerika nahmen um mich herum Platz und beachteten nicht weiter, dass ich hier in meinem Sitz saß und einen Volleyball festhielt, als wäre er mein größter Schatz. Vielleicht war er dies gerade auch: nicht materiell, aber bezüglichen des emotionalen Wertes.
Meine Mundwinkel hoben sich bei der Erinnerung an die letzten Minuten: Es war für mich immer noch unglaublich, was die anderen vollbracht hatten! Zwar hatte ich damit gerechnet, dass Iwa-chan zum Flughafen kommen, aber nicht, dass ganz Seijou auf mich wartete! Zumal es auch noch danach geklungen hatte, dass es mein bester Freund gar nicht erst schaffen würde! Diese Finte hatte mir einen gehörigen Schrecken eingejagt. Die Enttäuschung darüber ist schlussendlich dem puren Glück gewichen, als ich die gesamte Mannschaft vor mir stehen sah.
Und dann war da natürlich auch noch V/N, meine wunderbare Freundin. Meine süße, kluge, aufgeweckte, liebevolle und wunderschöne Freundin, die mit ihnen unter einer Decke gesteckt und dafür gesorgt hatte, dass der Überfall auf mich gelang und mir die Tränen in die Augen drückte. Von ihr habe ich mich als Letztes verabschiedet, denn es waren V/Ns Arme und Wärme, die ich nach dem endgültigen Abschied auf dem Weg durchs Gate spüren wollte. Ihre Augen sollten das Letzte sein, was ich sah. Und natürlich waren es auch einzig ihre Lippen, die ich küssen und deren Geschmack ich nachfühlen wollte.
Mich umzudrehen und mit meinem Handgepäck aufzubrechen, ist demnach die schwierigste Aufgabe gewesen. Womöglich sogar noch schwieriger als die Abschlussklausur in Englisch, die wir hatten ablegen müssen und an der ich verzweifelt bin. Zum einen weil ich wusste, dass V/N-chan ihr Bestes tat, nicht zu weinen. Sie wollte es uns beiden nicht noch schwerer machen. Zum anderen weil ich genauso wusste, dass sie dennoch am liebsten nichts anderes getan hätte: in meine Arme sinken und weinen.
Und während ich hier in der Maschine auf den Abflug wartete, sie nicht mehr in Sicht hatte, saß sie jetzt wahrscheinlich mit den Jungs am Terminal und ließ die bitteren Tränen fließen. Iwa-chan, Mattsun und die anderen würden sie gewiss trösten...
Ich verstand V/Ns Schmerz. Nicht nur einmal hatte ich mir deswegen den Kopf zerbrochen, ob es die richtige Entscheidung war, die ich für mich traf. Für uns. Hatte Vor- und Nachteile abgewogen. Doch sobald ich an meine Freundin dachte, die ich in Japan zurückließ, schien solch sachliche Liste nichtig und ich hätte am liebsten alles abgeblasen. Warum ich Iwa-chan um Rat bat: „Hast du den Arsch offen? Du wirst gar nichts absagen! Das ist doch genau das, was du immer wolltest!" Eine typische Iwa-chan Antwort: Streng, indiskret und direkt. „Das weiß ich! Aber was ist mit V/N? Ich kann nicht sagen, wann ich zurückkommen werde. Vielleicht in zwei Jahren, vielleicht aber auch erst in fünf oder zehn. Was ist also mit ihr?" Daraufhin hatte er mir eins mit der Faust über den Schädel gezogen, die Arme verschränkt und murrte, dass ich als verliebter Gockel noch weit unerträglicher wäre als sonst. Und dass V/N damit klar käme. Dass sie kein schwaches Mädchen war und auf eigenen Beinen stehen konnte. Wir müssten uns anstrengen, aber deswegen war eine Beziehung nicht ausgeschlossen.
Was er mir dabei zwischen den Zeilen mitteilte, war dennoch ersichtlich: Es war nicht erst seit Neustem mein Ziel, im Volleyball an die Weltspitze zu gelangen und dass ich dafür eventuell ins Ausland gehen müsste, war abzusehen. Ich hätte mit V/N also von Anfang darüber reden oder es komplett mit ihr lassen sollen.
Ja, Iwa-chan hatte durchaus recht, nur war es auch etwas, was er nicht verstand: Ich hatte all die Zeit auf die Zukunft hingearbeitet. Mit V/N-chan an meiner Seite hatte ich hingegen gelernt, auch die Momente im Jetzt zu genießen und wertzuschätzen. Mir Pausen zu gönnen und nicht immer nur an Volleyball zu denken. Dass ich dabei von einem Extrem ins andere gerutscht bin... blöd gelaufen. Ich hatte mich zu sehr ausgeruht und das Gespräch über meine Bewerbung für Argentinien schleifen lassen.
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B-Side: Argentinian Blues
FanfictionFrühjahr 2013 - Seijous Kapitän Oikawa Tooru geht seinem großen Traum nach, Profivolleyballspieler zu werden und lässt dafür alles hinter sich: Sein altes Leben, seine Familie, seine Freunde und... seine Freundin. Es ist nicht nur die neue Kultur un...