Ankunft im alten Haus

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Mit einem Blick nach hinten konnte ich den dunkelgrauen Himmel sehen und die Wolken, die sich in wenigen Minuten zu wilden Ungetümen aufgetürmt hatten. Ihre Farbe wechselte von weißlichem Grau zu beinahe schwarz und ein kalter tosender Wind wirbelte Zeitungen und Blätter durch die Luft.
"Komm Schatz", Mum griff nach meiner Hand und zog mich weiter in den Flur des riesigen Hauses. Ich blickte noch einmal über meine Schulter, doch die schwere Eichentür, die wie ich erkennen konnte von innen mit Stahlstangen gestützt wurde, war bereits von zwei Butlern geschlossen worden.

"Wow, ist das schön!", rief meine kleine Schwester Jona und drehte sich im Kreis.

Sie hatte Recht. So ein wunderschönes Zimmer hatte ich noch nie gesehen. Die Wände waren aus dunkelem edelen Holz, in das kunstvolle Schnitzereien eingearbeitet waren. Auf dem Boden lag ein dicker Teppich, der so aussah, als würde man sofort in ihm versinken, wenn man ihn betrat. Doch das beeindruckendste war der Kronleuchter an der Decke. Er war bestimmt so groß wie Jona und hatte unzählige kleine Glaskristalle an den Armen hängen, in denen ich mich hundertfach spiegelte.

"Ich hatte das Haus nicht so dunkel in Erinnerung", meinte Wilbert, mein 17-jähriger Bruder und stellte mit neutraler Miene seinen Koffer auf den Teppich.

"Ach Wil, gefällt es dir etwa nicht?", fragte Mum mit Enttäuschung in der Stimme.

"Ja schon", antwortete er, "Ist halt schön groß."

"Willy hat keine Ahnung von gutem Geschmack, nicht wahr, Sky?", lachte Jona.

"Da hast du Recht, Prinzessin", lächelte ich zurück und drehte sie mit meiner Hand, "ich hätte nicht gedacht, dass Nana in einem Palast wohnt."

"Äharkähm", mit einem Räuspern schob sich der kleine dicke Butler vor, der auch schon an der Tür gestanden hatte, "Lady Haven erwartet Sie in ihrem Arbeitszimmer. Wenn Sie mir bitte folgen würden?"

Er schritt auf eine große Treppe zu, die wie die Wände reich verziert war.

"Sogar ein Butler!", flüsterte ich Jo begeistert zu.

"Jaa", quietschte sie, "möchte Eure Hoheit einen Tee mit Zucker oder mit Milch?"

Mit übertriebenem Tonfall begann sie mich mit unsichtbarem Tee zu versorgen und ich musste mich schrecklich aufregen als sie ihn über mein teures Ballkleid geschüttet hatte.
Wir bemerkten gar nicht, dass wir vor einer großen Tür aus Ebenholz angelangt waren. Der Butler räusperte sich noch einmal und klopfte.

"Herein", war von innen die Stimme zu hören, bei deren Klang mir immer ganz warm ums Herz wurde.

Der Angestellte öffnete die Tür und wies uns in den Raum.

"Nana!", Jona rannte sofort auf die Frau zu, die hinter dem Schreibtisch saß.

Meine Großmutter schloss ihre jüngste Enkelin in die Arme und strich ihr über das Haar.

"Jona", mit einem glücklichen Lächeln wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel, "du bist ja so groß und hübsch geworden."

Meine kleine Schwester war wirklich sehr hübsch. Sie hatte hüftlanges dunkelblondes Haar, dass von rötlichen Strähnen durchzogen war. Ihre riesigen hellblauen Augen leuchteten wie Glühwürmchen und sie hatte die Eigenschaft immer gute Laune zu versprühen, wenn man ihr ins Gesicht blickte. Dass sie groß geworden war konnte ich nicht wirklich unterschreiben. Sie war sieben Jahre alt und zwar ganz stolz darauf, dass sie nun keine Erstklässlerin mehr war, unterschied sich aber von der Größe her nicht wirklich von ihnen. Jona strahlte bis über beide Ohren und begann nun interessiert ein Gemälde von einer alten Burg zu begutachten, was hinter Nanas Schreibtisch hing.
Ich war immer noch zu sehr von dem Raum begeistert, als dass ich mich hätte bewegen können. Dieses Zimmer schien sich über die gesamte Länge des Stockwerks zu ziehen und sein hinterer Teil sah aus wie eine riesige Bibliothek. Bücherregale teilten die Fläche in labyrinth- artige Gänge ein. Es roch nach Holz und alten Büchern. Diesen Duft hatte ich zuletzt in der alten Bibliothek, in der mein Vater bis vor drei Jahren gearbeitet hatte, gerochen.

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