"Sky", eine Hand tippte mir sanft auf die Schulter und löste mich aus meinem traumlosen Schlaf, "wir sind da."
Ich erkannte Lucas' Stimme und öffnete die Augen. "Da", er deutete aufgeregt durch die Windschutzscheibe und ich folgte seinem Blick.
Die Sonne ging hinter einem schneebedeckten Berg auf und tauchte die alte steinerne Ruine, die direkt vor uns lag, in rotgoldenes Licht. Je näher wir die Auffahrt herauffuhren, desto größer erschien sie mir. Vor einem Tor aus dunklem Holz standen vier Männer in schwarzen Uniformen und jeder von ihnen hielt einen Stab in der Hand.
"Wie schön", seufzte ich, doch das selige Gefühl, das mich für einen Moment erfüllt hatte, wurde jäh unterbrochen von einer Energiewelle, die durch das Auto schoss. Es dauerte nur wenige Sekunden, doch der Impuls durchflutete meinen ganzen Körper und ich hatte das Gefühl, dass sich mein Magen umgedreht hatte. Keuchend schaute ich zu Lucas und sah, dass es auch ihm ähnlich ging.
"Verdammt, was war das?", er hielt sich seinem Bauch.
Nana stieß ein leises Lachen aus: "Das war soeben der Schutzwall des Camps. Er lässt keine feindlich gesinnten Kreaturen durch. Ihr werdet euch noch an solche Energiewellen gewöhnen, glaubt mir, das erste Mal ist immer am schlimmsten."
Ich schluckte und war heilfroh als der Wagen kurz vor dem Tor stehen blieb und wir mit wackligen Knien aussteigen konnten.
"Das war mal 'ne Fahrt", stöhnte Ludwig und schüttelte seine Beine aus.
Ich schaute in den leuchtenden Himmel und wurde für einen Moment traurig. Wie schade, dass Jona das hier nicht sehen konnte. Der gestrige Nachmittag war wunderschön gewesen. Nana hatte Ludwig und Lucas als "zwei Freunde auf der Durchreise" vorgestellt und gemeinsam hatten wir Karten gespielt bis es dunkel wurde. An diesem Abend hatte ich Jona ins Bett gebracht, mich neben sie gesetzt und ihr über das Haar gestreichelt. Sie war so zart und noch so klein. Ich hatte immer das Bedürfnis gehabt, sie zu beschützen und der Gedanke sie nun für eine unbestimmte Zeit verlassen zu müssen, war unerträglich. Ohne dass ich es verhindern konnte, waren mir Tränen über die Wangen gerollt und auch Jona hatte zu weinen begonnen.
"Du musst weg, oder?", hatte sie sorgenvoll gefragt.
Ich war für einen Moment überrascht gewesen, dass sie es wusste, doch hatte nur genickt, in meine Hosentasche gegriffen und ein Amulett herausgezogen, das ich in einer Schublade meines Schreibtisches gefunden und ein Foto von mir reingeklebt hatte. Ich wusste, dass dies großen Ärger geben würde, wenn Nana es herausfand, doch ich konnte nicht ertragen zu wissen, dass meine Schwester mich vergaß. Lächelnd hatte sie es genommen und sich die silberne Kette um den Hals gehängt.
Ich hatte grade rausgehen wollen, da rief sie mir nach: "Sky, warte, ich hab' auch noch etwas für dich!"
Sie hatte mir ein wunderschönes Schneckenhaus entgegengehalten: "Das hab' ich heute im Garten gefunden."
Ich hatte dankend gelächelt, ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben und das Zimmer verlassen.
Ein lautes Knarren riss mich aus meinen Gedanken und ich bemerkte, dass eine einzelne Träne den Weg aus meinem Auge geschafft hatte. Schnell wischte ich sie weg und blickte verstohlen zu den anderen. Doch niemand hatte es bemerkt, da sie alle von den riesigen Torflügeln abgelenkt waren, die langsam von den vier Wächtern aufgezogen wurden.
Durch den Torbogen kamen zwei Gestalten auf uns zu. Es waren ein Junge, ungefähr in meinem Alter, mit dunkelblonden, ordentlich zu einem Seitenscheitel gekämmten Haaren und einer dicken Hornbrille sowie eine ältere Frau mit rötlich- braun gefärbtem Haar, das am Ansatz bereits wieder gräulich war und einem grünen Strohhut auf dem Kopf. Sie war klein, hatte einen kugeligen Bauch und trug ein bunt gemustertes Kleid. Sie kam mit einem freundlichen Lächeln auf uns zu, doch als ihr Blick zu Nana glitt, funkelten ihre Augen kalt. Auch der Gesichtsausdruck meiner Großmutter hatte sich verändert: Ein kühles Lächeln umspielte ihre Lippen und der warme Glanz war aus ihren Augen verschwunden. Es dauerte nur eine Sekunde, doch es reichte für mich um zu merken, dass Nana und diese Frau durchaus keine Freunde waren."Seit willkommen!", rief sie nun überschwänglich und kam die letzten Schritte auf uns zu gestapft, "Willkommen im Patur- Camp, Ausbildungsort und Schule für Elemente und Innenwesen!"
Sie machte eine Pause und schien Beifall zu erwarten, doch als nichts der gleichen eintrat, schüttelte sie leicht irritiert den Kopf und wollte fortfahren, da unterbrach sie der Junge.
"Ich bin Albert Paul Roderic Celsius, Innenwesen Klugheit, Leiter der Schach- Gesellschaft und dieses Jahr kandidierend für das Amt des Schulsprechers..."
"Genau", stoppte die Frau seinen Redefluss, "Albert wird euch nachher eure Zimmer zeigen, doch zuerst möchte ich mich vorstellen."
Sie machte eine gewichtige Pause und legte sich stolz die Hand auf die Brust.
"Mein Name ist Magnolia Foxglove, mein Element ist Erde. Ich bin die Schulleiterin und somit stellvertretende Campleiterin. Außerdem unterrichte ich Heilkunde", sie wandte sich an Lucas und mich, "ihr seit also die neuen des Luft Elements. Ich bin über alle Maßen erfreut euch hier aufzunehmen! Doch bevor ihr euch in eure Zimmer zurückziehen könnt, möchte ich euch die Camp- und insbesondere die Schulregeln durchgehen, damit ihr schon einmal wisst, wo hier die Grenzen liegen."Schwungvoll drehte sie sich um und rief im Gehen über ihre Schulter: "Folgt mir bitte in mein Büro."
Als wir uns in Bewegung setzten, ging ich an Ludwig vorbei zu Nana.
"Woher kennt ihr euch?", fragte ich flüsternd.
Nana schaute mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte, auf Mrs Foxglove und erklärte: "Oh, Magnolia und ich kennen uns noch aus der Schulzeit, als wir selber dieses Camp besuchten. Damals gab es immer kleine Rivalitäten zwischen uns. Es gibt eine... nennen wir es mal eine Fehde zwischen dem Luft und dem Erdelement und natürlich auch zwischen den Elementen Feuer und Wasser. Und weil wir das einzige rein Luft bzw. Erdelement der neunten Generation sind, hat natürlich jeder von uns versucht den anderen zu übertrumpfen.", Sie machte eine kurze Pause und lachte verächtlich, "Sie konnte es noch nie leiden, wenn jemand höher gestellt war als sie."
"Ich hab' noch eine Frage", ich deutete auf Albert, "Was ist ein Innenwesen?"
"Innenwesen haben eine besondere Eigenschaft oder einen besonderen Charakterzug, der viel ausgeprägter ist, als bei Leuten wie dir und mir. Sie können ihn auch einsetzen, um Dinge geschehen zu lassen. Aber frag Albert lieber selbst, ich bin mir da nämlich auch nicht so sicher."
"Sky, guck mal!", Lucas' Ruf riss mich aus der Unterhaltung und ich blickte mich um.
Wir waren auf einem riesigen, staubigen Platz angelangt, auf dem viele Menschen durcheinanderliefen und sich nun in Gruppen aufzuteilen schienen.
Albert hatte wahrscheinlich meinen fragenden Blick bemerkt, denn er kam auf mich zu und erklärte: "Das sind die Elementsträger der zweithöchsten Stufe. Es gibt Stufen von eins bis sechs. Wer die sechste Stufe erfolgreich abgeschlossen hat, wird in die Schlacht geschickt. Diese da simulieren grade einen Angriff, also mit Bogenschützen, Reitern, Nahkampf und so weiter."
"Was kannst du eigentlich?", ich merkte erst nach einigen Augenblicken, wie abrupt ich ein neues Thema anschnitt und wie falsch Albert diese Frage verstehen konnte. Also setzte ich schnell nach: "Ähm, also als Innenwesen."
Er plusterte sich auf und reckte stolz die Brust, als er erklärte: "Ich kann alles Wissen, was ich jemals erlange, speichern und wann immer ich es möchte, abrufen." Er tippte sich an die Stirn. "Alles da drin. Oh, wir müssen weiter, die anderen sind schon vorgegangen."
Er scheuchte mich voran durch eine Tür in ein großes weißes Gebäude, was, wie er mir erzählte, die 300 Jahre alte Schule war. Endlich kamen wir in einem großen Raum an, der eine dunkelgrüne Tapete hatte und von der Einrichtung ganz und gar ungewöhnlich war: Ein Baum wuchs in der Mitte des Zimmers aus dem Boden und Ranken schlängelten sich die Wände hoch und aus fast allen Ecken sprossen Farne und Blumen. Das einzig normale waren eine Sitzecke, bestehend aus einem Sofa, zwei Sesseln und einem Kaffeetisch auf dem ein Tablett mit dampfendem Tee stand und einem Schreibtisch mit drei Stühlen, der sich unter der Last von riesigen Stapeln von Mappen und Papier bog.
"Entschuldigung, Mrs Foxglove, aber sie hat mich aufgehalten", Alberts Finger stach anklagend in meine Richtung und ich schaute mit rollenden Augen zu Lucas, der meinen Blick gespielt tadelnd erwiderte.
Ich grinste unschuldig und lies mich neben ihn auf den Stuhl am Schreibtisch gegenüber von Mrs Foxglove fallen.

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Fantasy4 Mädchen müssen es schützen So grün mit Erde, Wasser und Luft Doch Feuer fühlt sich mit allen verbunden Auch wenn es alles zerstören kann Ein Mädchen so klein, so zart und doch so stark Braun, braun Haar und Auge Herz der Natur dem so vieles gesche...