Der Traum

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Ich kauerte in einer Ecke des kleinen Raums. Meine Beine waren dicht an meinen Körper gezogen und ich hatte die Arme um sie geschlungen. Der Betonboden unter mir war hart und unbequem. Langsam versuchte ich meine Gedanken zu ordnen.
Wo war ich? Wie war ich in diesen Raum gelangt?
Meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Finsternis und ich konnte eine Tür erkennen, die auf der anderen Seite des Zimmers lag. Sie bestand aus Eisen. Nur ein winziges Fenster war ungefähr auf meiner Augenhöhe eingelassen. Doch das Glas war so trüb, dass man wahrscheinlich nichts dadurch erkennen konnte. Außerdem war es mit dicken Gitterstäben versehen.
Ein Verlies. Wieso war ich hier gefangen? Und wer hatte mich eingesperrt?
Vorsichtig richtete ich mich auf, wobei ich mich an den Wänden, die mich umgaben, abstützte. Sofort bekam ich furchtbare Kopfschmerzen und hörte das Blut in den Ohren rauschen. Wahrscheinlich war ich nicht besonders sanft hereingebracht worden. Unwillkürlich griff ich mir an den Hinterkopf und ertastete eine dicke Beule. Ich tat einen Schritt, doch anscheinend hatte auch mein Gleichgewichtssinn Schaden genommen, denn sofort wurde mir schummerig und ich sank zurück auf den Boden. Ich versuchte mich an den Grund zu erinnern, wieso ich hier war, doch es war, als hätte jemand mein Gedächtnis gelöscht.
Na schön, wenn ich schon nicht wusste wie ich hier herein gekommen war, musste ich wenigstens einen Weg finden hier herauszukommen.
Also versuchte ich mich zu konzentrieren und suchte mit den Augen nochmals den Raum ab. Doch außer der Tür gab es keine weitere Fluchtmöglichkeit. Nur links über mir konnte ich einen kleinen Lüftungsschacht ausmachen. Doch was würde er mir nützen? Er war nur in etwa so groß wie meine Hand. Ich musste durch diese Tür. Also lehnte ich mich zurück und atmete gleichmäßig ein und aus um mich zu beruhigen. Die Luft in diesem Kellergewölbe war nicht besonders sauerstoffhaltig und stank nach Chemikalien, Benzin und nach Kloake. Passend dazu huschte direkt vor meinen Füßen eine Ratte entlang und verschwand in den Schatten. Angeekelt und erschrocken quiekte ich auf. Ich hasste Ratten und fühlte mich nun von allen Seiten von ihren schwarzen Knopfaugen beobachtet. Ich konnte mich nur schwer zur Beruhigung zwingen, doch irgendwann schlug mein Herz nicht mehr so schnell und mein Atem war nicht mehr so hektisch. Ich wusste nicht, wie lang ich in dieser Ecke hockte, doch auf einmal wurde die Tür mit einem Ruck geöffnet und Licht erfüllte den Raum. Obwohl es nur von einer kleinen, ständig flackernden Neonröhre kam, war ich für einen Moment völlig geblendet und musste die Augen zukneifen. Nach einigen Sekunden blinzelte ich vorsichtig und erkannte die Gestalt eines großen, sehr muskulösen Mannes, der langsam den Raum betrat. Er trug kein Oberteil, sodass man auf seine nackte Brust blicken konnte. Mir schoss sofort ein Tatoo, das er auf der Höhe seines Herzens trug, ins Auge. Es war ein Rattenkopf, der von zwei Speeren durchbohrt worden war. Der Mann hatte sich einen pechschwarzen knielangen Umhang um die Schultern gelegt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Außer einem Schatten konnte ich darunter nichts erkennen. In seinem Gürtel steckten ein kurzes Stichmesser und eine Art Samuraischwert. Ich bekam panische Angst. Dieser Mann könnte alles mit mir machen. Er könnte mich auf der Stelle umbringen und es würde niemand merken. Ich wollte aufspringen, irgendwie wegrennen - auch wenn das natürlich nicht möglich war-, da kam er schon direkt auf mich zu. Nun sah ich auch seine Haut, die weiß war, ja fast ein wenig rötlich schimmerte. Er packte mich am Arm und zog mich auf die Beine. Sofort schoss mir wieder dieser Schmerz in den Kopf und mir wurde schwindelig.

"Komm mit, der König möchte dich sehen!", befahl er mir und seine tiefe, raue, hallende Stimme dröhnte in meinem Kopf.

Ich wollte mich wehren, doch Angst und Schmerz machten es mir unmöglich. Die Wache schleifte mich durch unzählige Gänge, vorbei an unzähligen Verliesen. Nach einigen unendlich lang scheinenden Minuten erreichten wir eine riesige Tür, die von vier Wachen bewacht wurde. Die Männer waren alle unnatürlich groß und schwer bewaffnet und auch die hatten alle dieses seltsame gruselige Tatoo.
Kurz vor dieser Tür blieb mein Führer abrupt stehen und ließ mich fallen.

" Du stehst gleich unserem König persönlich gegenüber. Also benimm dich auch gefälligst so, wie man es von Menschen, die diese überaus große Ehre haben, erwartet", knurrte er.

Ehe seine Worte mich erreichten, wurde ich wieder auf die Beine gezogen und die Tür mit lautem Knarren geöffnet. Meine Wache gab mir einen Schubs und ich stolperte in den Saal.

Die Halle war riesig. Doch auch hier waren keine Fenster. Ich kam mir vor wie in einem großen Kontainer, aber einem sehr teuren, da der Boden aus poliertem Marmor bestand und Goldornamente in die Decke eingearbeitet waren. Der Raum war bis auf einen langen schmalen Tisch und einige Stühle vollkommen leer. Am Ende des Tisches saß auf einem trohnartigen Sessel eine Gestalt. Das musste der König sein. Seine weißen Hände waren mit allerlei kostbar schimmernden Ringen behängt. Ich versuchte sein Alter einzuschätzen, doch ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, da auch er einen Umhang trug, dessen Kapuze er tief ins Gesicht gezogen hatte.

Ok, versteck deine Panik, befahl ich mir und schaute mit einigermaßen selbstbewussten Blick dem König in die Augen -oder dorthin, wo ich seine Augen vermutete.

" Oh", sprach er mit einer schmierigen Stimme, "welch ein Vergnügen Sie in meinen bescheidenen Gemächern begrüßen zu dürfen." Seine Stimme triefte nur so vor Ironie.

Ich ballte die Fäuste. "Lassen Sie mich auf der Stelle gehen!", versuchte ich so fest wie möglich zu sagen.

Der König lachte höhnisch. "Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich Ihren Besuch bei mir schon beenden möchte. Ihr werdet mir früher oder später noch einen großen Dienst erweisen und bis dahin... könnt Ihr Euch verdammt nochmal damit zufriedengeben, dass ich Euch nicht umbringen lasse!", er machte eine kurze Pause und faltete seine Finger auf dem Tisch," So, ich hoffe ich konnte Ihnen hiermit alle Fragen, die Ihnen auf der Seele brannten, beantworten."

Nein konnte er ganz und gar nicht!
"Wer sind Sie?", fragte ich, doch vor Nervosität kiekste meine Stimme.

"Wer ich bin? Ihr kennt mich, oder besser Ihr werdet mich kennenlernen. Und Ihr werdet mich fürchten lernen!", antwortete er, wobei er den letzten Satz beinahe brüllte.

Ich zuckte zusammen. Vorbei war es mit dem falschen Selbstbewusstsein. Das schien auch der König zu bemerken, denn er gab einen zufriedenen Laut von sich.
Plötzlich huschte eine Ratte über den Boden unter seinem Stuhl vorbei. Ich verzog den Mund.

"Oh ja, Ratten sind schon besondere Tiere", sprach er, nahm das ängstlich quiekende Nagetier auf die Hand und begann es zu streicheln," Sie leben lieber weit fort von den Menschen. Und viele hegen tiefe Abneigung gegen sie. Niemand erkennt ihre eigentlichen Fähigkeiten. Ratten sind überaus klug. Sie überleben einfach alles. Eine Hungersnot, einen Krieg, einen harten Winter, am Ende sind es die Ratten, die noch da sind. Sie werden immer da sein, auch wenn sie für die Menschheit nicht immer sichtbar sein sollten."

Mein Herz schlug immer schneller. Was wollte dieser Mann mir damit sagen?
Der König blickte hoch und die Kapuze gab den Blick auf seine Augen frei, die mich direkt anstarrten. Mein Atem stockte. Sie waren leuchtend rot und besaßen keine Pupille.

Der König holte noch einmal tief Luft und schrie:"UND IRGENDWANN WEDEN SIE DIE WELT BEHERRSCHEN!" Er hob die Ratte an sein Gesicht und drehte ihr den Hals um. "DOCH ICH BIN NOCH HÄRTER ALS SIE!"

Da war es vorbei mit meiner Selbstbeherrschung. Ich schrie.

Ich schrie noch immer als ich schweißgebadet aufrecht in mein Bett saß und die Augen aufriss. Ein Traum, es war nur ein Traum. Ich hörte auf zu schreien. Mein Herz pochte so stark, dass ich Angst hatte, es würde mir aus der Brust springen. Ich hatte schon oft Albträume gehabt, doch so real wie dieser war noch keiner. Ich stieg aus dem Bett und ging ans Fenster. Draußen war es noch dunkel. Ich hoffte ich hatte keinen geweckt. Noch immer hatte ich die Augen des Königs und seine Worte im Kopf. Ich konnte unmöglich wieder einschlafen.
Wie von selbst schlich ich durch meine Zimmertür auf den Flur. Ziellos lief ich vor mich hin, einfach um eine Beschäftigung zu haben, um mich abzulenken.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich im zweiten Stock vor Nanas Arbeitszimmer angekommen war. Wenn ich sonst auch nur in die Nähe dieses Raumes kam, tauchte wie aus dem nichts Ferdinand auf und musterte mich grimmig mit seinen kleinen Schlangenaugen.
Doch jetzt war er nicht zu sehen. Konnte ich es wagen? Meine Neugierde war zu groß, ich wollte wissen was so verboten an diesen Büchern war. Außerdem konnte ich mich bestimmt mit diesen Geschichten ablenken.

Also öffnete ich so leise wie möglich die Tür.

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