Kapitel 1

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Ich hatte von Wolf geträumt, doch als ich mich versuchte zu erinnern rann mein Traum wie Wasser durch eine Sieb und als ich die Augen öffnete, war ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich wirklich von einem Wolf geträumt hatte.
Ich fühlte mich ausgelaugt, was der Restalkohol natürlich begünstigte. Eine ganze Weile lag ich in diesem fremden Bett und schaute gegen die helle unbekannte Decke, die mit den ersten Sonnenstrahlen beschienen wurde. Wie immer, wenn ich getrunken hatte, war ich viel zu früh wach geworden, doch zu meiner Verwunderung alleine. Nur schemenhaft kam mir der gestrige Abend wieder in den Sinn. Viel zu oft erinnerte ich mich nicht an die Abende davor. Langsam erhob ich mich, aus angst, dass mir schlecht werden würde.
Das Zimmer, in dem ich aufgewacht war, war unordentlich. Auf dem Boden lagen Klamotten verteilt und auf dem Schreibtisch stapelten sich leere Flaschen und Teller. Bücher, Zettel und Stifte lagen ebenfalls verträumt, als habe sie jemand wahllos im Zimmer herum geworfen. Eine Zeitlang begutachtete ich die Unordnung, obwohl ich sie gar nicht richtig sah.
Vor dem Bett standen meine Schuhe, allerdings konnte ich meine Tasche nirgends finden. Ich riss mich von meinen unspezifischen Gedanken los und schaffte es aufzustehen. Auf Zehenspitzen schlich ich durch das Zimmer, konnte jedoch nicht verhindern, dass eine Bodendiele knarzte und öffnete so leise wie möglich die Tür, hoffentlich würde ich niemandem begegnen. Ich stand in einem länglichen Flur, von dem mehrere Türen abgingen und eine Treppe nach unten führte. Da es mir am logischsten erschien, ging ich nach unten. Die Treppe führte in eine offene Küche mit Ess- und Wohnzimmer. Es war nicht weniger unordentlich, nur dass hier keine Klamotten herum lagen. Wäre es aufgeräumter, hätte das Haus größer gewirkt, doch auch so war es gemütlich und ich mochte es.

Meine Aufmerksamkeit zog jedoch der Mann auf dem Sofa auf sich. Er schlief und ich erinnerte mich an ihn. Er hatte mich auf der Tanzfläche beobachtet und ich hatte ihn an seinem Auto geküsst, dann konnte ich mir ja denken, wie es weiter gegangen war, denn ab da erinnerte ich mich nicht wirklich. Gut sah er aus, kurze Haare, muskulös, Bronzefarbende Haut. Er musste einer der Menschen aus dem Reservat sein. Ab und an, wenn ich am Strand von la Push war, sah ich sie und mein Vater war früher mit mehreren befreundet gewesen. Der Junge trug ein einfaches Shirt und eine Jogginghose. Er musste ein oder zwei Jahre älter als ich sein, zumindest sah er so aus.

Ich seufzte, plötzlich fühlte ich mich müde. Was tat ich nur mit meinem Leben.
Auf dem Boden neben dem Sofa entdeckte ich meine Tasche. Wenigstens hatte ich sie nicht verloren oder vergessen.

Ich schlich so leise wie möglich zu dem Sofa, um meine Tasche aufzuheben und den Fremden nicht aufzuwecken. Doch ich hätte mir keine Sorgen machen müssen, mein Gastgeber schien einen tiefen Schlaf zu haben, denn er rührte sich weder, als sich die Tasche aufhob, noch als ich die Eingangstür öffnete und leise verschwand.

Draußen war der Boden mit Wasser vollgesogen, es hatte geregnet. Der Himmel war noch immer grau und die Sonne schaffte es nur spärlich an den Wolken vorbeizuscheinen. Vor dem Haus stand ein älterer Audi, es war das Auto, in das ich gestern eingestiegen war. Ein paar Mal atmete ich durch, ich liebe den Geruch nach Regen und noch mehr hier im Wald. Ich beschloss meine Schuhe nicht anzuziehen und stattdessen meine Socken zu ruinieren. Da ich gestern High Heels angehabt hatte, hätte ich durch den Matsch angetrunken laufen müssen und da ich keine Lust hatte mir die Beine zu brechen, mussten meine Socken dran glauben.
Als ich weit genug von dem Haus, in dem ich die Nacht verbracht hatte, weg war, fischte ich mein Handy aus meiner Tasche.

23 verpasste anrufe.
Shit.
Ich wählte so schnell wie möglich die Nummer meiner besten Freundin.
„Hi Josie", sagte ich kleinlaut, als sie ans Telefon ging.
„Bist du bescheuert? Verschwindest einfach von dieser dummen Party, ich dachte, sie würden heute deine Leiche zerstückelt irgendwo im Wald finden." Ich lächelte.
„Du schaffst zu viel True Crime, aber wäre etwas Abwechslung in Forks, nicht?"
„Witzig, Lia, wirklich witzig. Ich dachte, es wäre klar, dass du mir schreibst." Ich nickte, auch wenn meine beste Freundin mich nicht sah.
„Es tut mir leid, ich war zu betrunken."
„Hat es sich wenigstens gelohnt?", ich kicherte.
„Du erinnerst dich nicht, fantastisch und dafür habe ich mir fast in die Hose gemacht." Ich sah förmlich vor mir, wie sie die Augen verdrehte.
„Es tut mir leid, wird nicht wieder passieren." hoffentlich.
„Versprich nichts, was du nicht halten kannst. Bist du zu Hause?"
„Noch nicht. Bin im Reservat."
„Uhhhh.", ich lachte und sie tat er mir gleich. „Du hast einen der anständigen Jungs geklärt, das kenne ich gar nicht von dir."
„Woher willst du wissen, ob er anständig ist?"
„Naja keine Ahnung, die im Reservat wirken so." ich lachte.
„Wenn du das sagst."
„Sehen wir uns nachher?", ich dachte kurz über die Frage meiner Freundin nach.
„Ich weiß noch nicht, ich melde mich."
„Alles klar, ich schlaf' erstmal, dank dir hab dich die halbe Nacht kein Auge zu getan."
„Schlaf gut.", ich legte auf und wollte die ganzen Anrufe löschen, als mir zwischen der Nummer meine Freundin eine andere ins Auge fiel. Eine Unbekannte.
Kurz überlegte ich, ob ich zurückrufen sollte, entschied mich allerdings dagegen und löschte die verpassten Anrufe. Es gab niemanden, der mich anrufen würde, abgesehen von meinen Freunden.

Savior // Paul LahoteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt