Kapitel 5

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*Paul*

Seit dem Kinobesuch hatte ich nichts mehr von Alina gehört. Was wohl dem geschuldet war, dass ich nicht nach ihrer Nummer gefragt hatte. Ich hätte mich ohrfeigen können, doch wenigstens würde ich sie morgen wieder sehen, wenn ich das Auto abholen würde.
Die zwei Tage, die vergangen waren, hatten sich länger angefühlt als alle 48 Stunden, die ich je erlebt hatte, jetzt musste ich nur noch diese Nacht durchstehen. Leider hatte ich Patrouille und so verging die Zeit langsam.
Es war weit nach Mitternacht und nur noch wenige Minuten bis Jake und Leah, mich und Embry ablösen würden. Dann würde ich ein paar Stunden schlafen und endlich Alina wieder sehen.
„Du bist schrecklich.", hörte ich Embry in meinem Kopf.
„Halt doch die Klappe.", „Nicht so empfindlich.", ich konnte Embry förmlich grinsen sehen. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, roch ich sie. Ganz schwach und weit entfernt. Jetzt spielten meine Sinne mir schon Streiche.
„Du bist nicht verrückt, ich riech sie auch."
Gemeinsam liefen wir in die Richtung, aus der ihr Geruch kam. Doch anscheinend hatten wir den Wind falsch eingeschätzt, denn als wir einen Weg kreuzten, stand Alina vor uns. Zu ihrem Geruch mixte sich der Gestank nach billigem Alkohol und Zigarettenrauch, doch am ekligsten und gleichzeitig am schwächsten war der Geruch nach Blutsauger, der an ihr haftete. Sie sah fertig aus, wenn auch nicht hässlich, doch ich hätte sie wahrscheinlich nie hässlich finden können. Sie trug einen Rock, auf dem ein Fleck war und eine Strumpfhose, die ein riesen Loch an ihrer Wade hatte. Ihre Jacke saß schief und entblößte ihre Schulter, über die sie eine Tasche geworfen hatte.
„Riechst du den... ?" Natürlich tat ich das, doch er schien ihr nicht nahe gekommen zu sein, was mich allerdings nicht weniger wütend machte.
Sonderlich zu stören schien Alina es nicht, dass wir in unserer nicht-Menschlichen-Form nur wenige Meter von ihr entfernt standen. Schon so war ich größer als Alina, doch so überragte ich sie mindestens weitere drei bis vier Köpfe, doch ihr Blick, der auf uns lag, schien nicht beeindruckt.
„Du solltest sie nach Hause bringen."
„Oh wirklich Embry? Wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen."
„Ich dachte nur, dass ich es dir sage, weil du doch so blind vor Liebe bist." Wären wir alleine gewesen, hätte ich ihn wohl auf ihn gestürzt, doch so lachte Embry nur. Alina riss uns aus unserer Unterhaltung: „Ich mochte Katzen immer lieber.", ihre Stimme war verwaschen, wie beim ersten Mal als wir uns getroffen hatten.
Embry prustete. „Um Himmelswillen."
Ich lief in den Wald, um mich zu verwandeln. Embry verschwand, ich wusste, dass er zusammen mit den anderen über den Vampir sprechen würde, sodass ich bei Alina bleiben konnte.
Als ich wieder aus dem Wald trat, war Alina weiter gelaufen. Nur ein paar Meter.
"Alina, was machst du hier draußen in der Dunkelheit?", fragte ich besorgt und trat näher zu ihr. „Paul?", flüsterte sie leise, fast schon verschwommen. Sie drehte sich zu mir, unsicher auf den Füßen, die in hohen Schuhen steckten. Ein Wunder, dass sie sich auf dem Weg über unbefestigte Wege nicht die Beine gebrochen hatte. Wenn ich mir nur vorstellte, was hätte alles passieren können, wenn nicht ich sie gefunden hätte.
Sie schwankte leicht, als sie versuchte, mir in die Augen zu sehen. "Ich weiß es nicht", murmelte sie und ihre Stimme klang traurig. „Ich wollte einfach nur weg von...." Ihre Stimme stockte und sie schien sich an etwas zu erinnern.
"Komm, ich bring dich nach Hause.", sagte ich und streckte meine Hand aus, um sie zu stützen. Sie griff nach meiner Hand und ich spürte, wie ihre Finger zitterten. War ihr kalt?
Wir gingen langsam durch den Wald, während Alina immer wieder leise vor sich hin murmelte. Ich versuchte, sie zu beruhigen, doch sie schien in ihrer eigenen Welt gefangen zu sein. „Alina, was ist passiert?", fragte ich sanft, in der Hoffnung, dass sie mir antworten würde.
Sie blieb stehen und sah mich mit ihren glasigen Augen an. „Ich bin nicht traurig." ich sah zu ihr und obwohl sie das sagte, konnte ich sehen, dass ihre Schminke an den Augen verlaufen war. „Was bist du dann?", sie sah mich einen Moment regungslos an „Wütend." dann setzte sie sich wieder in Bewegung, als sei nichts gewesen.
„Ich habe dich vermisst, Paul", flüsterte sie leise. „Obwohl ich es nicht sollte." Ihr Blick war so voller Schmerz und Sehnsucht, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. Ich fragte mich, was sie wohl damit meinte, oder ob sie gar nichts damit aussagen wollte und nur der Alkohol Zusammenhänge setzte, wo keine waren.
"Alina, ich habe dich auch vermisst", wollte oder besser sollte  ich sagen, doch tat es nicht. Es schien nicht richtig. Sie wirkte so Durcheinander. Sie schwankte und der Geruch, des Vampirs waberte zu mir. Wieso war ich nicht bei ihr gewesen? Was hätte alles passieren können? Wieso trank sie so viel und wieso musste sie auf solche dummen Partys gehen? Es machte mich wütend, dass es mir so viel ausmachte und ich nichts dagegen tun konnte.
Stattdessen sagte ich etwas zu scharf, nach dem sie fast hingefallen war und ich sie gerade noch auffangen konnte: „Du musst auf dich aufpassen. Du darfst nicht alleine durch den Wald laufen, besonders nicht in diesem Zustand." Sie sah mich einen Moment überrascht an. Dann tauchte Wut auf ihrem Gesicht auf.
„Du bist genau wie sie. Du schreibst mir genauso vor, was ich zu tun und zu lassen habe." sie spukte die Worte aus, als würde sie etwas Ekliges loswerden wollen.
„Ich mache mir nur Sorgen um dich.", meine Stimme war lauter als ich es gewollt hatte und Alina zuckte zurück und sah mich ängstlich an. Plötzlich erinnerte sie mich an ein kleines verletztes Tier und es tat mir leid, dass ich laut geworden war. Die Gefühle waren nur neu und ich wusste nicht ob ich sie mochte und gleichzeitig wusste ich, dass ich sie sowieso nicht ändern konnte, auch wenn sie mir nicht gefallen würden. Ich würde Alina für perfekt halten, egal was sie tat und ich würde immer angst haben, sie zu verletzten, wie es Sam bei Emily getan hatte.
„Alina, ich.... Es tut mir leid." Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie wich vor mir zurück. Ich hatte alles kaputt gemacht, das wenige was zwischen uns gewesen war. Sie hatte Angst vor mir, so wie sie es die ganze Zeit gesollt hätte. Ich war ein Monster.
Doch plötzlich nickte sie schwach und lehnte sich an mich, während ich sie behutsam weiter durch den Wald führte. Der Mond schien durch die Baumkronen und tauchte alles in ein sanftes Licht, doch ich konnte nicht vergessen, dass Alina betrunken war und etwas Schweres auf ihrem Herzen lastete.
"Alina, du kannst mir alles erzählen", flüsterte ich leise, in der Hoffnung, dass sie sich mir öffnen würde. Sie schwieg einen Moment lang, bevor sie langsam den Kopf hob und mich mit ihren traurigen Augen ansah. "Es ist so kompliziert, Paul", sagte sie leise. "Es geht um meine Familie und um Dinge, die ich nicht ändern kann."
Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Alina war normalerweise so fröhlich, vielleicht etwas schüchtern, aber jetzt wirkte sie gebrochen. Ich wollte ihr helfen, ihr beistehen, aber ich wusste nicht, wie. „Ich bin hier für dich, egal was passiert."
Sie lächelte schwach und legte ihren Kopf an meine Schulter. "Danke, Paul", flüsterte sie. "Es bedeutet mir so viel, dass du da bist." Doch irgendwie klang es, als würde sie mir nicht glauben.
Wir gingen weiter durch den Wald, in Stille gehüllt, aber es war eine tröstliche Stille. Ich wusste, dass Alina Zeit brauchte, um mir ihre Sorgen anzuvertrauen.
Als wir schließlich aus dem Wald herauskamen, sah ich, wie sich ein zaghaftes Lächeln auf Alinas Gesicht breitete. "Danke, Paul", sagte sie leise. "Für alles." Ich lächelte zurück und drückte ihre Hand.

Ich hatte nicht wie geplant geschlafen, sondern war, nachdem ich Alina nach Hause gebracht hatte, zu Sam gelaufen. Wie gedacht, war er noch wach und saß mit Jared und Embry am Esszimmertisch. Gemeinsam hatten wir bis morgens gesprochen, doch natürlich war nichts Sinnvolles dabei herumgekommen, denn wir wussten kaum etwas über den Vampir. Gegen neun machten Jared und ich uns auf den Weg, obwohl ich mir nicht sicher war, ob Alina wie verabredet schon wach sein würde.
Doch zu meiner Überraschung saß sie wie beim letzten Mal bereits auf der kleinen Treppe vor ihrem Haus und wartete.
„Ich hätte gedacht, dass wir eine halbe Stunde klingeln müssen, bevor sie aufmacht." Jared lachte und auch ich lächelte, da ich genau das Gleiche gedacht hatte.

Savior // Paul LahoteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt