Es war wie gewohnt ein sonniger Samstag, als ich in Lorettas Küche wartete. Sie hatte mir einen Schlüssel anfertigen lassen, damit ich ihr jederzeit einen Besuch abstatten konnte. Dem Zettel auf dem Esstisch zufolge war sie derzeit bei Antonio und würde 18 Uhr heimkehren, was in ungefähr zehn Minuten war. Ich hatte vor, sie mit ihrem Lieblingsgericht ›Rigatoni con sugo alla salsiccia‹ zu überraschen.
Im Kühlschrank stieß ich auf die Überbleibsel meiner deutschen Spaghetti Bolognese, die sie jedes Mal genießerisch aufbewahrte, trotz der Ansicht, dass Spaghetti Bolognese nur auf italienischer Weise akzeptabel waren.
Derweil ich die Rigatoni kochte wachte Orsetta, Lorettas pummelige Katze, aus ihrem Mittagsschlaf und kuschelte sich an meine Beine. Verloren in Tagträumen beäugte ich Lorettas wunderschönen Garten, doch das Aufschließen der Haustür schreckte mich zur Realität. »Ciao, Loretta! Qui Martha!«, rief ich.
»Ah, Raffaele, ti piaceranno!«, hörte ich sie sagen, »È davvero un vero raggio di sole. Proprio il tuo tipo! E fa i migliori spaghetti alla bolognese.«
Ich schüttelte meinen Kopf und rief auf Englisch, »Du weißt doch ich kann dich nicht verstehen, wie oft denn noch!«
»Bellina, ich rede nicht mit dir. Bist du in der Küche?« Ich runzelte die Stirn, »Sì.« Hatte sie Besuch mitgebracht?
Nachdem sie sich in die Küche tastete, hielt ich ihr einen Löffel vor den Mund und befahl grinsend, »Mund auf und probieren, aber erst pusten.«
Die letzte Person, die ich erwartete, trat nun ebenfalls in die Küche: Der Künstler aus der Straßenbahn. Ich schreckte zusammen und stieß Loretta die dampfende Soße in den Mund, weshalb sie hustete und »Ai, pass doch auf, stupido!« zischte. Ich entschuldigte mich panisch und füllte ihr ein kaltes Glas Wasser auf. »Hier, trink.«
Als wir uns wieder beruhigt hatten griff sie hinter sich und zerrte den Mann an ihre Seite. »Raffaele, das ist Martha. Sie ist deutsch come tua mamma. Martha, das ist Raffaele, Antonios Enkelkind.«
»Ci siamo già incontrati«, sagte Raffaele mit dieser verdammt attraktiven Stimme...
»Oh, davvero? Che bello!«
Ich schaute ein wenig perplex zwischen den beiden her, immerhin verstand ich kein Wort.
»Non parla italiano?«, fragte Raffaele Loretta. Diese schüttelte ihren Kopf, »No, ma puoi flirtare con lei in tedesco!«
Ich könnte schwören, dass er errötete. »Loretta, fermarsi«, er wendete sich an mich, »Entschuldigung, ignorier sie einfach.«
Ich war so erleichtert endlich jemanden zu begegnen, der meine Muttersprache beherrschte, dass ich aufseufzte. »Was sagt sie denn?«
Er schüttelte seinen Kopf, »Das Typische.«
Ich lächelte, »Verstehe.«
»Non so di cosa tu stia parlando, ma spero che tu stia flirtando con lei, Raffaele.«
Habt ihr schon einen Lieblingscharakter? Ich glaube ich habe mich beim Schreiben ein bisschen in Loretta verliebt :)
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Florenz, Sommer '85
Romantizm𝐈𝐭𝐚𝐥𝐢𝐞𝐧, 𝐅𝐥𝐨𝐫𝐞𝐧𝐳, 𝐒𝐨𝐦𝐦𝐞𝐫 𝟏𝟗𝟖𝟓. Nachdem die reisende Schriftstellerin Martha sich im letzten Jahr am Rande Florenz' niederliess, merkte sie schnell, dass außer der fallenden Aprikosen, tratschender Nachbarn und unausstehlicher...