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Allmählich kam Lebendigkeit nach Florenz

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Allmählich kam Lebendigkeit nach Florenz. Es war stets ein heißer, friedlicher Sommer, doch plötzlich war da nicht nur Loretta, sondern Loretta und Raffaele.

Ich wurde, ohne zu zögern, zu seiner Muse. Er bestellte mich mindestens zwei Mal die Woche her und sagte, ich sollte tun, was ich sonst auch tat. Wenn ich mal nicht das tat, was ich sonst auch tue, ertappte ich ihn dabei, wie er die Kunst im Stich gelassen hatte. Er starrte mich lange Zeit lediglich an.

Er hielt mich in Ölfarben, Aquarellfarben, Gouache oder Ölpastellkreide fest. Am meisten gefielen mir die Werke aus Ölpastellkreide, weil sie am sommerlichsten aussahen. Sie war am wenigsten realistisch und am meisten dem Gefühl nach. Blau, Orange, Gelb, Lila, Grün. Weich und hart, verspielt und erwachsen. Er war ein wahrer Künstler.

Wenn wir in seiner hinreißenden Wohnung waren, legte er meistens Platten auf. Beatles, sehr viel ABBA und The Smiths. Ich liebte es, da zu liegen, morgens oder abends, die Musik ausklingen zu lassen und den ersten oder letzten Sonnenschein einzufangen. Seine Wohnung wurde zu meinem drittliebsten Ort.

Einmal schaltete er das Radio an und es spielte Martha and the Muffins. Ich konnte mir das Tanzen nicht verkneifen. Er legte seinen Kopf in den Nacken, lachte und ahnte noch nicht, was auf ihn zukam. Ich zog ihn hoch, zu mir.
Nach unserer Tanzerei waren meine Hände befleckt mit Farbe und manchmal ebenso meine Kleidung, aber das machte mir nichts aus. Ich genoss es die Überreste des schönen Tages mit mir zu tragen.

Öfters platzierte er mich auf sonnige Wiesen, volle Straßen, an den Strand oder an willkürliche Orte. Er meinte es sei ganz egal, wo wir waren, solange ich im Vordergrund stand.

Irgendwann rückte er seine alten Zeichnungen raus. Es waren nicht einfach Skizzen von mir, sondern von echten Momenten. Ich fragte mich, wie er sie so detailliert wiedergeben konnte, obwohl er sie zu dem Zeitpunkt auf keiner Weise festhalten konnte. Außer vielleicht in seinem Gedächtnis.

Noch faszinierter war ich, als ich zu einer ganz besonderen Zeichnung blätterte. Im perspektivischen Vordergrund stand die Straßenbahn. Im Mittelpunkt des Auges stand das Mädchen in der Straßenbahn. Rechts ein Geschäftsmann und links ein kleiner Junge. Das Mädchen schrieb etwas auf ihren Oberschenkel, während alle neugierig zuschauten.

Ich erzählte ihm von der Idee und meiner Schreibblockade. Er sagte, er würde liebend gerne mal etwas von mir lesen.

Seine Mutter war auch Künstlerin, vertraute er mir an, wie er. Sie starb an Krebs als er sechzehn war. Seitdem versuchte er dieselbe Kreativität zu treffen, die sie hatte, aber fühlte sich auf gleicher Weise gefangen in einer Blockade. Wir verstanden uns auf einer Ebene, die mir anfangs befremdet war.

Natürlich vergaßen wir Loretta nicht. Nun, sie machte sich häufig bemerkbar. Wenn sie beispielsweise in Raffaeles Wohnung platzte und forderte, dass wir sie nach Hause begleiteten. Was tatsächlich mehr als einmal geschah. Oder wenn sie das Gerücht verbreitete, sie wäre gesundheitlich am Ende, doch war gesund und munter, als wir sie besuchten. Es war ihre eigene Art uns zu zeigen, dass sie uns vermisste.

Einmal kümmerte ich mich um den Abwasch, während die beiden auf der Couch saßen. Der Tonlage zufolge stellte Raffaele Fragen auf italienisch und Loretta beantwortete diese. So ging es tagelang. Am sechsten Tag hatte ich genug und schrieb mir die Schlüsselwörter auf. Ich versuchte in der Tat italienisch zu lernen.

»Sa dove è nata?«, fragte Raffaele.
»Berlino, per quanto ne so«, antwortete Loretta.
»Cosa voleva fare da bambina
»Non lo so. Avventuriera, forse.«
»Pensi che le piaccia di più l'alba o il tramonto?«
»Entrambi, certamente.«

Sie redeten zu schnell, was ich jedoch raushörte, war ›Berlin‹ und ›Abenteuerin‹. Das verwirrte mich umso mehr.

Eine Woche später hatte Loretta anscheinend ebenfalls die Fragen satt und sie stritten zum Ersten mal. »Chiediglielo tu stesso, stupido!«

Sie brummten weiter hin und her, bis Raffaele das Haus mit knallender Tür verließ.

Ich hielt es nicht mehr aus.

»Loretta, worüber redet ihr immer? Warum habt ihr euch gestritten?«

»Was glaubst du worüber wir uns unterhalten? Er stellt ständig Fragen über dich! Povera Loretta hält das nicht mehr aus.«

Am nächsten Tag zog ich ihn an seinem Kragen ins Haus als er gerade Blumen liefern wollte

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Am nächsten Tag zog ich ihn an seinem Kragen ins Haus als er gerade Blumen liefern wollte. Mit Händen an der Hüfte erklärte ich ihm, es sei unfair, dass er alles über mich erfuhr und ich nichts über ihn. Er fluchte, gab allerdings nach und seitdem durfte ich ihm Fragen stellen ohne Gegenleistung. Die Sache hatte also doch was Gutes an sich.

Ich fand seine Lieblingsfarben heraus (Beige, Dunkelblau und Grün), seinen Geburtstag (vierter März), sein Lieblingsessen (selbstverständlich meine deutsche Spaghetti Bolognese) und alles, was es über ihn zu wissen gab.

Wäre ich ein Tier, meinte er, wäre ich eine Hummel. Ich schenkte meinem Umfeld Leben und summte um mich her wie das kleine Insekt. Ich sagte er wäre ein Nasenaffe und rannte vor ihm weg, als er hinterherrannte, um mich abzukitzeln.

Florenz, Sommer '85Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt