otto

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Der Sommer 1985 verging wie im Flug

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Der Sommer 1985 verging wie im Flug.

Trotz meiner Liebe zu Reisen blieb ich standhaft in Florenz. Es hatte mich verzaubert.

Ende Juli brachte mir Raffaele endlich italienisch bei, sodass ich Mitte August die Grundlagen beherrschte.

An einem Abend stand er wie an zahlreichen anderen vor meiner Tür, doch es gab einen entscheidenden Unterschied: er lernte meine unschöne Seite kennen. Ich hatte nämlich zu viel Weißwein getrunken und roch nach Rauch, außerdem befand sich meine Schminke nicht mehr an Ort und Stelle. Raffaele, mein Fels in der Brandung, trocknete meine Tränen und nahm mich in die Arme. Die Geborgenheit seines Körpers trieb mich dazu, ihn tiefer in meine Schreibblockade einzuweihen.

Raffaele enthüllte mir am darauffolgenden Wochenende den Grund meiner Schreibblockade. Er hatte sich reichlich Gedanken gemacht.
Ich verspürte kontinuierlich das Verlangen, es jedem recht zu machen, meinte er, daher war ich dauernd gefangen in einer Zwickmühle zwischen A) mir und B) anderen. Der Schlüssel war nur einen Weg einzuschlagen: mich selbst zu beeindrucken. Seitdem verschwand meine Schreibblockade Schritt für Schritt.

Am siebzehnten August reiste meine Schwester mit ihrem Freund an. Als ich die beiden zusammen sah, war es das erste Mal, dass ich sowas wie ›Neid‹ verspürte. Und dann vermisste ich Raffaele, auch wenn ich ihn noch am Tag zuvor gesehen hatte.

Ich nannte ihn übrigens nur noch ›Raffael‹. Das letzte ›E‹ war mir einfach eins zu viel.

Inzwischen dachten alle unsere Nachbarn wir seien ein Pärchen, doch was wir waren, wusste ich selbst kaum. Manchmal klebten wir tagelang aneinander. Ich schlief bei ihm oder er bei mir. Wir kuschelten, ohne es anzusprechen, und er küsste meine Stirn, wenn er dachte, dass ich schlief. Ich küsste seine Wange, wenn er schlief, oder wenn ich dachte, dass er schlief.

Antonio beichtete mir Ende August, er hatte die Blumensträuße so häufig geschickt, damit sein Enkelkind gezwungen war, so oft wie möglich vor meiner Tür zu stehen. Ich war ihm dankbar.

Frauen flirteten noch mit Raffael, aber er beachtete sie kaum. Anstatt dass ich so tat als sei ich seine Freundin, zog er mich an seine Seite, was den Mädchen schon meistens eine bestimmte Botschaft vermittelte. Trotzdem fing ich an, mich mit den Frauen zu vergleichen. Es war wahrlich merkwürdig.

Am dreiundzwanzigsten August hatte er mich wieder zu meiner Haustür gebracht. Der Sommer kam langsam zum Ende. Die Tage wurden kürzer und kälter. Ich konnte nun mit Sicherheit sagen, dass ich Raffaele liebte, dennoch waren da Zweifel und Unsicherheit, die nicht loslassen wollten.

Ich atmete schwer ein. »Vielleicht sollten wir eine Pause einlegen«, platzte es mir heraus.

Er zog die Augenbrauen zusammen, »Was, warum?«

»Ich verstehe es selbst nicht ganz, aber plötzlich frage ich mich, ob ich schön genug bin, ob meine Beine doch zu kurz sind, ob ich attraktiv genug bin, ich meine, du bist so... Das macht mich fertig. Und bevor du– Bevor wir­– Da war das nie so. Und jetzt– Ich kann ja nicht mal anständig flirten! Ich weiß ja nicht, wann ein Mann in mich interessiert ist!«

Florenz, Sommer '85Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt