Heimat

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Ihr Vater hatte zugestimmt, sie mit nach Hawk Mountain zu nehmen, allerdings unter der Bedingung, das Olivia Gale auch mitkam. „Sie ist immerhin deine Untergebene." „Und weshalb dürfen dann meine Freunde nicht mitkommen?" „Sind sie deine Untergebenen?" „Wa.. Nein! Aber mitkommen dürfen sie doch trotzdem, oder?" Orion schüttelte den Kopf. „Nein. Aber du siehst sie doch in zwei Tagen wieder." Sie gab sich geschlagen.

Auch wenn es Isabel missfiel.

Olivia rannte in Isabels Zimmer auf und ab, packte alles nötige und unnötige in einen Koffer, und schleppte ihn dann nach draußen. „Ich kann dir auch hel.." „Neein! Eure Königliche Hoheit muss sich doch nicht mit so etwas schmutzig machen!"
Isabel seufzte.
Auf dem Boot angekommen, welches sie zum Festland bringen würde, fiel Olivia wegen dem Gewicht des Koffers fast vom Boot. Nicht dass Isabel etwas dagegen gehabt hätte, aber der Bootsführer hielt sie im letzten Moment fest.
Zu schade..

Die Bootsfahrt war nicht sehr spannend, es hatte sich ein feuchter Nebel über den See gelegt. Man sah kaum noch die Hand vor Augen. Ein Ruck des Bootes und Olivia und Isabel fielen nach vorne. „Oh.. wir sind wohl da." meinte der Bootsführer und half ihnen, auszusteigen.

Einer der Bediensteten ihres Vaters holte sie allesamt mit einer luxuriösen Limousine ab. Mit hochrotem Kopf stieg sie ein. „So ein Riesen Ding wäre nicht nötig gewesen Vater!" „Irgendwann muss man es einmal einfahren, Miss Sky!" Ihr Vater schlug dem Chauffeur auf die Schulter und lachte lauthals. Isabel verdrehte die Augen.

Während der langen Fahrt ließ Olivia Gale keine Gelegenheit aus, um sich bei ihr einzuschleimen. „Königliche Hoheit? Ist ihnen heiß? Soll ich ein Fenster herunterfahren? Oder haben sie Hunger? Ich habe selbstgemacht Muffins dabei! Das Rezept meiner Mutter."
„Wo warst du eigentlich während der gesamten Schulzeit?" Vor Schreck ließ Olivia Gale die Box mit den Muffins fallen. „Es tut mir leid Königliche Hoheit, ich habe meine Zeit sinnvoll mit der Schule verbracht und.. mit Freunden."
Irgendwie tat sie Isabel leid. Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal Zeit gehabt sich von ihren Freunden zu verabschieden. Wie ihre Freunde wohl dazu standen, das sie ihr so unterwürfig war?
„Du hättest auch da bleiben können. Es ist nicht so, als bräuchte ich deine Dienste jetzt." „Danke eure Hoheit, aber ich sehe es als meine Pflicht an, mit ihnen mitzukommen." Innerlich schüttelte Isabel den Kopf. Wie konnte man so verbissen und unterwürfig sein?! Aber immerhin versuchte sie diese Fahrt nicht mehr, sich bei ihr einzuschleimen.

Nach einer endlos langen Fahrt, mit zweimaligem Umsteigen in einen Flieger und wieder in eine Limousine, kamen sie endlich in Hawk Mountain an.

Olivia trug Isabels Koffer wieder nach draußen, den kurzen und schönen Weg nach oben, wobei ihr der Chauffeur dann aber half. Sie atmete schwer ein und aus.
Isabel genoss es wieder hier zu sein. Das Gras leuchtete so grün wie eh und je, die Bäume wiegten sich im Wind.

„Ich fliege schon mal voraus, in Ordnung Vater?" Selbiger nickte.
Isabel animagierte, und breitete zu ersten mal seit langem wieder ihre Schwingen aus. Der Wind strich ihr über das Gefieder, und machte die Hitze der Sonne etwas erträglicher.

Die Bäume mit ihren wohlbekannten Hängebrücken sahen aus wie immer. Isabel setzte zum landen an, und fiel gleich darauf vom Himmel. Wie immer wenn sie versuchte auf dem Strickgeländer zu landen.

Schnell animagierte sie zurück und ignorierte die belustigten Blicke der umstehenden Leute. Verwundert musterte Isabel den Palast. Er sah von außen so unscheinbar aus. Wie ein altes, großes Baumhaus.
Sie betrat den marmorierten Eingangsbereich. Hier und da liefen einige Bedienstete herum, einige erkannten sie und grüßten höflich in ihre Richtung.

„Miss Gale hat ihnen ihren Koffer bereits nach oben gebracht. Das Mittagessen steht auch bereit. Lassen sie es mich wissen, wenn sie etwas brauchen!" erklärte die freundliche Frau. „Danke. Sind sie neu hier? Ich habe sie hier noch nicht gesehen." Erstaunt nickte die Frau. „Ja, eure Königliche Hoheit. Ich bin Nicole. Ich habe vor drei Monaten hier angefangen." Isabel nickte. Nicole verabschiedete sich vor ihrem Zimmer und ließ sie alleine. Isabel trat ein.

Wie immer war alles bis auf das kleinste Detail geputzt. Eine Cremesuppe stand auf dem Tisch, zusammen mit viel zu vielen Zusätzen, Säften und einem Dessert.
Erschöpft ließ sich Isabel auf das weiße Sofa fallen. Ihr Koffer stand leer in einer Ecke, Olivia hatte ihn wohl schon ausgeräumt.

Isabel schlürfte die Suppe schnell aus, das Dessert war sowieso schon weg. Einer der Bediensteten kam herein, und lud das leere Geschirr auf, während sie las. „Noch immer so eine Bücherratte, was?" lachte jemand. „Perrin!"
Isabel ließ das Buch fallen und sprang auf ihren alten Freund zu. Sie umarmte ihn stürmisch, er umarmte sie zurück. „Wie geht es dir? Du hast abgenommen.. bist du jetzt wirklich in der Armee oder wirst du noch ausgebildet? Ich habe dir doch gesagt, das du das nicht machen sollst!" „Wie kann man einen Wasserfall stoppen?" Verwirrt sah sie ihn an. Perrin hatte nun einen Kahlschnitt, und er war mager geworden. Seine Augen glänzten nicht mehr, sondern sahen trübe und erschöpft aus. Die Augenringe machten ihr Sorgen.

Perrin deutete auf das Sofa, und beide setzten sich hin. „Also zu deinen Fragen: Mir geht es gut. Ja, ich bin noch im Ausbildungsprogramm für die Armee, aber auf dem besten Wege zu bestehen. Und ich hatte keine andere Wahl. Ich musste fort hin. Unsere Armee braucht neue und mehr Leute. Du glaubst ja gar nicht wie viele Sachen man erfährt, wenn man ein bisschen weiter aufrückt. Und wie ist es bei dir? Wie ist die Schule auf der du jetzt bist?" Isabel musterte ihn skeptisch. Einerseits freute sie sich ihn zu sehen, andererseits.. wirkte er nun distanzierter. Und höflicher. Und außerdem.. ängstlich?
Perrin strahlte sie mit seinem Typischen Lächeln an. Sofort war ihre Skepsis wieder verflogen. Sie war nun also auch paranoid geworden..

„Die Schule ist richtig schön! Es ist wie eine große Familie. Aber mein Vater ist ein schrecklicher Rektor.." „Was? Wie kannst du das sagen? Er hat viel zu tun, ist doch klar das da mal etwas zu kurz kommt!" Hatte sie sich gerade verhört? „Ich habe eine vermisste Freundin gesucht. Und er hatte nichts besseres zu sagen als: „Die wird schon wieder auftauchen!" Nennst du das ‚zu kurz kommen'?!" „Ja. Er ist immerhin nicht nur der Direktor der Schule sondern auch der Herr des Vogelreiches. Du solltest das doch am ehesten verstehen! Du bist seine Tochter!" „Gerade deswegen ist meine Meinung sehr qualifiziert. Er ist mein Vater aber benimmt sich so als währe ich nur das Nachbarskind von nebenan! Wenn er nicht einmal für mich Zeit aufbringen kann.." Perrin sprang auf. „Du hast nicht erlebt was ich dort erlebt habe!" „Und was hat das jetzt damit zu tun?! Aber gut wir können jetzt gern mit diesen Karten spielen: wärst du sein Sohn gewesen, wärst du genauso enttäuscht von ihm wie ich. Aber das bist du nun mal nicht! Dir hat er ja auch immer nur sein ‚ich-bin-ein-liebenswürdiger-Vater-der-sich-nur-um-meine-Tochter-sorgt' Gesicht gezeigt!" „Wie kannst du es wagen so von seiner Majestät zu reden?"
Isabel konnte es nicht fassen. Was war mit Perrin auf einmal los? Er hatte doch früher immer die Scherze gemacht! Und jetzt.. DAS?!
„Perrin. Das reicht." Verdutzt sah er sie an. „Raus." Isabel öffnete die Tür. Er sah sie entgeistert an. „Du.. das kannst du nicht.." „Und ob ich kann. Du magst jetzt vielleicht im Militär sein, aber ich bin immer noch in einer Höheren Position als du! Und deswegen wirst du jetzt auch gehen. Lass mich in Ruhe!" Perrin ging wortlos zur Tür. „Das ist alles was du kannst. Dich hinter deinem Vater und deiner Position zu verstecken. Du bist ein Feigling!" Isabel schlug die Tür zu.

Perrins Worte hatten sie hart getroffen. Sie hasste es, wenn er ihre Position ins Spiel brachte. Und noch mehr hasst sie es, wenn sie selbst darauf aufmerksam machten musste. Aber gerade hatte sie keinen anderen Ausweg gesehen.  Das erwarteten die Leute von ihr. Und dennoch.. dieses Adelssystem passte einfach nicht mehr in die Gesellschaft.
Nicht einmal einen Tag hier, und schon hatte sie ihre Freundschaft mit Perrin zerstört.
Isabels Herz pochte schmerzhaft.

Diese Nacht konnte Isabel nicht gut schlafen. Es war zu heiß. Sie sah wieder aus dem Fenster, und zählte die Sterne am Himmel. Ihr eigentliches Ziel, weshalb sie hier her gekommen war, war nun in weite Ferne gerückt. Kleider und Bälle waren nun Nebensache.

Animox- Die Entscheidung des AdlersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt