Chapter 1

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Das Leben besteht nicht aus den Momenten in denen du atmest. Es sind die Momente, die dir den Atem rauben. ~Hitch

Die Antwort auf die Frage, wie es mir geht beantworte ich schon lange mit einer Lüge. Die Leute wollen so oder so nicht wirklich wissen wie es mir geht, es ist reine Höflichkeit. Dass ich ihre Dessinteresse schon durchschaut habe, haben sie entweder noch nicht bemerkt oder es intressiert sie einfach nicht.

Mit die Leute meine ich ürbigens meine lächerlich schnöselige Familie. Eigentlich müsste ich die reiche Tussi sein, die Beliebtheit, das dünne Model. Wenn man von den ganzen Teeniefilmen ausgeht, müsste es mir gut gehen und ich müsste das ganze überflüssige Geld für Klamotten und Schminke ausgeben. Aber das tue ich nicht.

Ich will mich ehrlich nicht beklagen, mir geht es nicht unbedingt schlecht, aber ich habe keine vertrauliche Bindung zu meiner Familie.

Meine Mutter ist viel zu hochnäsig und perfekt. Sie will nur Geld, würde alles dafür tun, wahrscheinlich sogar ihren Mann verraten und auch alles andere was sie besitzt. Es ist einfach nur lächerlich, das sie von sich behauptet mit über 50 Jahren immernoch auszusehen wie 20, denn das tut sie definitiv nicht. Wenn man meine Mutter mal nicht mit ihrem Vornamen Caroline anspricht, sondern Mama sagt, rastet sie völlig aus. Sie will ewig jung sein und das die ganzen Beautyprodukte an ihr nichts bringen scheint sie noch nichtmal zu merken.

Mein Vater, Robert Cole, arbeitet viel. Und damit meine ich 16 Stunden am Tag, von morgens bis abends. Er ist der typische Geschäftsmann und immer unterwegs, aber zuhause ist er fast nie. Er kümmert sich um nichts nur um seine Arbeit und das Geld das er damit verdient. Es ist aussichtslos.

Meine spießige Schwester Elizabeth darf natürlich auch nicht fehlen, sie ist das junge Abbild meiner Mutter. Perfekt, bildhübsch und eingebildet wie sonst was. Mit gerade 19 Jahren ist sie das wahrscheinlich schlauste Mädchen das ich kenne, gleichzeitig aber auch das dümmste. In der Schule war sie immer Klassenbeste und auch jetzt überragt sie mit ihren perfekten Leistungen, dennoch hat sie kaum Kontakt mit der menschlichen Rasse. Das Thema Jungs findet sie ekelhaft und wenn sie jemand berührt oder gar umarmt kriegt sie Ausschlag und liegt kurz vorm Sterben. Natürlich nicht wirklich, aber aufspielen tut sie sich trotzdem.

Zu guter letzt gibt es noch mich. Joenna, kurz Joe. In zwei Tagen werde ich 16, sweet Sixteen würde jedes Mädchen sagen, dass sich auf ihren Geburtstag freut. Ich tue das nicht.

Es ist nichts besonderes, ich bin ungewollt geboren, meine Familie will mich nicht bei sich. Vielleicht kann man sich denken, wie der Tag laufen wird, bei Leuten die einen nicht leiden können. Ignorieren und missbilligende Blicke sind quasi mein Tagesablauf in diesem Haus.

Außerdem gehe ich auf eine dämliche Privatschule, die wahrscheinlich ein Vermögen kostet.

Da war meine Schwester auch, natürlich immer die Beste in allem. Das meine Eltern mich auf so eine Schule schicken hat nichts mit Liebe zu tun, sondern mit dem Image, das sie jahrelang aufrecht halten müssen.

Perfekte Kinder, reiche Eltern und natürlich eine riesige Villa. Das ich da so garnicht reinpasse, war wahrscheinlich das Erste was meine Mutter nach meiner Geburt gemerkt hat.

Ich bin nicht ordentlich, spießig und nahezu perfekt, sondern schüchtern, einsam und nicht gerade aufgeschlossen. Ich bin das Mädchen von dem man sagen würde, das es eine Außenseiterin ist. Ich bin die, die in der Pause meist alleine sitzt und ich bin die, die alle als komisch abstempeln. Ich bin nicht unbeliebt, das will ich damit nicht sagen. Aber niemand will mehr als nur ein paar Worte mit mir wechseln. Ich bin unscheinbar, jeder vergisst meinen Namen nach ein paar Tagen wieder und wenn ich mal fehle, fällt es keiner Menschenseele auf.

Ich bin anders als die Mädchen, die sich mit einem falschen Lächeln in die Arme ihrer lästernden Freunde werfen. Ich bin einfach nur ich, und das passt meiner Mutter so garnicht.

Im Grunde habe ich niemanden auf dieser Welt, dem ich vertrauen kann, der mir zuhört und mir leise Worte der Zuversicht zuspricht. Niemanden, außer Liam. Ich kenne ihn seit ich lebe. Er war immer bei mir, wir haben zusammen den Kindergarten gerockt, die Grundschule überstanden und die Privatschule bis jetzt ebenso. Ich weiß nicht wirklich was über ihn, wenn ich frage meint er, er will nicht darüber reden. Ich vermute, dass seine Eltern tot sind und er ziemlich allein ist, weshalb wir uns nie bei ihm treffen wenn wir uns treffen wollen. Und das tun wir häufig, eigentlich fast jeden Tag.

Liam ist das genaue Gegenteil von mir. Es ist eigentlich ziemlich verwunderlich das er mit mir abhängt und auf derselben Wellenlänge ist wie ich, aber bekanntlich ziehen sich Gegensätze an.

Liam ist freundlich, witzig und unnormal gutaussehend. Dunkle, braune Augen, die manchmal fast schwarz schimmern, dann die dunkelblonden Haare, die sich perfekt an seine Gesichtsform schmiegen und unglaublich gut aussehen. Ich sollte auhören zu schwärmen, aber sagen wir es so, ich habe immer ein wenig mehr für ihn empfunden als nur Freundschaft. Ob das auf Gegenseitigkeit beruht bezweifel ich stark, er ist mit der heißeste Typ auf diesem Planeten.

So heiß das ich manchmal Angst habe ich könnte mich an ihm verbrennen. Okay, Spaß beiseite.

Die Tatsache das, er kein einziges Mädchen außer mir anschaut, sie alle völlig ignoriert und scheinbar nur Augen für mich hat, hat mich manchmal annehmen lassen er hätte Gefühle für mich, für die unscheinbare Joe. Aber dann ist er wieder so distanziert und abweisend, das es schmerzt. Ich habe mich damit abgefunden und gelernt meine Gefühle auf Knopfdruck abzustellen. Und auch wenn es anfangs mehr als schwer war, habe ich das Leben, was mir geschenkt wurde akzeptiert und gelebt, wie es mir vorgegeben war.

Immer wenn ich heimlich an Liam denke, an seine Augen, sein Gesicht, seinen Körper, zerreißt es mich innerlich, dass ich am liebsten weinen würde und nie wieder aufhören will. Unerwiderte Liebe zu empfinden ist das schlimmste was einer Frau passieren kann. Schlaflose Nächte, herzzereißende Phantasien und Tränen über Tränen.

Jetzt habe ich das hinter mir, habe gelernt es abzustellen und damit weiterzuleben. Heute bedanke ich mich für den besten Freund den ich haben darf, für seine Worte, Taten und Blicke. Ich weiß, das viele mich bemitleiden aber sie tun es weil sie mich nicht kennen. Sie wissen nicht wie es in mir aussieht. Ich bin anders und manchmal frage ich mich ob ich die Einzige bin, der es so geht.

Ich seufze. An manchen Tagen habe ich diese Momente, in denen ich über alles nachdenke und nach dem wieso frage. Dann stelle ich mir vor ich wäre in einem Film gefangen und hätte ein Skript, das ich einhalten muss.

Ein erneutes Seufzen ertönt aus meinem Mund. Ich lege mich in mein Bett und ziehe die kalte Bettdecke bis nach oben an mein Kinn. Ich nehme, wie fast jeden Abend, meinen Wecker und stelle ihn auf 6:30 Uhr. Es ist Montag und morgen erwartet mich ein weiterer, stressiger und sinnloser Tag in der Schule.

Bei dem Gedanken schalte ich das Licht meiner Nachtischlampe aus und es ertönt ein kurzes Klicken. Meine Augen schließen sich wie von selbst und ich horche in die Dunkelheit hinein.

Im Haus ist es muckmäuschenstill, meine Eltern und meine Schwester schlafen bereits. Sie gehen immer früh ins Bett, früher als ich, um ihre Dosis an Schönheisschlaf zu erhalten. Davor natürlich noch endlose Masken, Schönheitscremes und Haarkuren. Ein Leben wie sie es führen ist unvorstellbar für jemanden wie mich.

Das nächste Seufzen aus meinem Mund, vermischt mit einem Wälzen im Bett auf die rechte Seite, lässt mich abdriften. Mit geschlossenen Augen denke ich nach, über den nächsten Tag, über das was mich früher oder spärer alles erwartet.

Endlich schlafe ich ein und träume mal wieder den gleichen Traum. Er zeigt mich, wie ich die verlassene Straße entlanglaufe und im nächsten Moment eine schwarze Gestalt, umhüllt in tiefen Nebel, auf mich zurennt und mich packt und in den schwarzen Rauch zieht. Dann ist das Bild schwarz und verwackelt und ich wache schweißgebadet wieder auf.

Diesen Traum habe ich jetzt seit einer Woche und ich frage mich so langsam wann es aufhört.

*****

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~ L.

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