Der Prozess

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„Hermine, bitte beruhig dich! Du bist bestens vorbereitet und wirst das großartig machen.“
Sie nickte abgehackt und ohne ihn anzusehen, griff sie kurz nach Harrys Hand und drückte sie.
Sie warteten bereits seit über einer Stunde im Ministerium.
Es war beschlossen worden, dass Vater und Sohn am selben Tag und direkt hintereinander verurteilt werden sollten.
Gerade lief der Prozess um Lucius Malfoy und er dauerte unfassbar lang, was Hermine aber nicht sehr wunderte, schließlich war Lucius stark in Voldemorts Machenschaften verstrickt gewesen.
Vor wenigen Minuten war Harry aus dem Gerichtssaal entlassen worden, nachdem er seine Zeugenaussage gemacht hatte. Nun warteten sie auf Hermines Aussage, um danach – nach einer kurzen Pause – das gleiche Prozedere noch einmal durchzumachen, denn dann ging es an Dracos Verurteilung.
Die Ankunft am Ministerium war für Hermine einprägsam und erschreckend gewesen. In der großen Empfangshalle hatten Auroren alle Hände voll zu tun damit, eine Demonstration in Schach zu halten und Zeugen sicher hindurch zu leiten.
Die Menge war furchtbar aufgeregt.
„Sperrt die Todesser dahin, wohin sie gehören!“, brüllten sie und: „Der Kuss des Dementors wäre eine angemessene Strafe für die Malfoys!“
Glücklicherweise waren sie schnell an der aufgebrachten Menge vorbei.
Und dann hieß es warten.
Gerade, als Hermine meinte, die Anspannung nicht mehr auszuhalten, öffnete sich die Tür zum Gerichtssaal und Ron kam heraus, offenbar fertig mit seiner Zeugenaussage.
Hermine wurde hineingebeten, betrat den komplett vollen Gerichtssaal und nahm flüchtig Mr Malfoy wahr, der in der Mitte des Raumes in einem großen Käfig untergebracht stand und der Sitzung beiwohnte.
Kurz zog sich Hermines Herz zusammen bei dem Gedanken daran, dass auch Draco später in diesem Käfig stehen musste.
Schließlich begann sie mit ihrer Zeugenaussage, und sie war erstaunt, wie sehr ihr Geist einfach alles andere ausblendete und sie sich nur auf das konzentrierte, was sie sagen wollte.
Als sie entlassen wurde, verließ sie den Saal, ohne sich noch einmal umzusehen.
Zum Glück mussten sie danach nicht mehr lange warten, ehe sie – und alle anderen Zeugen – erneut hineingebeten wurden, um die Urteilsverkündung zu hören.
In Ermangelung von Sitzplätzen blieben sie alle hinter dem Käfig stehen und starrten so auf Lucius Malfoys blonden Hinterkopf.
Drei Jahre Askaban lautete das Urteil mit anschließend weiteren drei Jahren unter Beobachtung des Ministeriums, währenddessen es Lucius Malfoy nicht gestattet war, das Land zu verlassen und er außerdem regelmäßig im Ministerium vorstellig werden musste.
Hermine schluckte.
Die Taten seines Vaters waren doch um einiges schlimmer. Sicher würde Draco ohne Haftstrafe davonkommen?
Nach Abschluss des Prozesses wurden die Zeugen in einen Nebenraum geführt, wo ihnen netterweise Getränke und Snacks angeboten wurden. Hermine für ihren Teil trank zwar ein wenig, brachte aber keinen Bissen hinunter.
Dann mussten sie erneut vor dem Gerichtssaal warten.


„Miss Granger?“
Ihr Herz machte einen Hüpfer und schlug dann im doppelten Tempo weiter.
Es war soweit, ihre Zeugenaussage für Draco Malfoy wurde erwartet.
Sie tauschte einen raschen Blick mit Harry und Ron, ehe sie den Saal betrat.
Es war geradezu gespenstisch still, obwohl jeder Platz besetzt war.
Und dann sah sie ihn.
Draco Malfoy stand, wie zuvor sein Vater, hinter Gittern des Gebildes, das einem überdimensionalen Vogelkäfig ähnelte.
Hermines Herz zog sich zusammen.
Er trug die typische, gestreifte Sträflingskleidung aus Askaban, seine Hände waren fest an den Handgelenken an seinem Rücken mit einer Metallkette fixiert.
Seine Hände bebten.
Er stand aufrecht, aber mit hängenden Schultern, der Kopf war gesenkt, Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht. Sein Blick schien sich regelrecht auf dem Boden direkt vor seinen Füßen festzusaugen. Fast wirkte es so, als wagte er es nicht, aufzusehen.
Hatte er ihren Brief bekommen?
Hermine wusste nicht, warum ihr diese Frage plötzlich wieder so wichtig war.
Sie ging weiter, kam dem Käfig immer näher, und einen Moment lang wünschte sie sich, er würde kurz aufsehen. Sie wollte in seine grauen Augen blicken und daraus herauslesen, ob ihre Zeilen ihm Hoffnung gegeben hatten oder nicht.
Aber er ließ den Blick gesenkt.
Als sie den Käfig fast erreicht hatte, geriet sie kurz ins Stocken.
Sie hatte Mr Malfoy nicht so genau betrachtet wie seinen Sohn, daher hatte sie nicht die geringste Ahnung, ob bei ihm das gleiche zu sehen gewesen wäre wie bei Draco.
An seiner rechten Halsseite sah sie deutlich eine pechschwarze Tätowierung.
Waren es... Runen? Zahlen?
Einen Augenblick brauchte ihr Hirn, um die Bedeutung zu begreifen.
Es war eine Nummer.
Man hatte Draco Malfoy seine Häftlingsnummer in den Hals tätowiert.
Nur mühsam konnte sie ihren Blick von dem blonden Zauberer losreißen, an dem Käfig vorbeigehen und auf dem Stuhl davor für die Zeugenaussage Platz nehmen.
Kurz hatte Hermine Sorge, es nicht zu schaffen, aber dann übernahm ihr Hirn einfach die Kontrolle.
Nach Aufforderung durch das Zaubergamot begann sie ihre Aussage.





„Wir kommen zur Verkündung des Urteils im Fall des Todessers Draco Lucius Malfoy.“
Hermine hatte alles gegeben.
Sie hatte nicht gelogen, nein.
Sie war absolut hart bei der Wahrheit geblieben, hatte nichts beschönigt.
Es war ihr nicht leicht gefallen, erneut von ihrer Gefangennahme in Malfoy Manor zu berichten. Es waren viele Nachfragen dazu gestellt worden und sie hatte alle wahrheitsgemäß beantwortet.
Aber sie hatte auch betont, wie unbeteiligt Draco gewesen war.
Er hatte sie weder eingesperrt, noch persönlich festgehalten, weder wortwörtlich noch im übertragenden Sinne. Er war für ihre Folter nicht verantwortlich und hatte sie schützen wollen, indem er behauptete, nicht sicher zu sein, ob es sich bei dem Jungen mit dem entstellten Gesicht um Harry handelte oder nicht.
Sie ließ – scheinbar beiläufig – in Nebensätzen immer wieder einfließen, unter welchem Druck Draco offensichtlich gestanden hatte und dass ihr sowohl in Hogwarts, im sechsten Schuljahr, als auch in Malfoy Manor aufgefallen war, wie schlecht es ihm mit der Situation ging. Sie hinterfragte scheinbar nebenbei, welche Wahl er schon gehabt hatte, mit Voldemort und seinen Anhängern im eigenen Haus und unter ständiger Beobachtung durch andere Todesser.
Den Schwerpunkt ihrer Aussage legte sie auf ihre Rettung durch Draco während der Schlacht in Hogwarts.
Während sie sprach, meinte sie immer wieder, Dracos Blick auf sich zu spüren. Wie eine kribbelnde Berührung an ihrem Hinterkopf fühlte sie es. Sie bezweifelte, dass es Einbildung war.
Aber als sie schließlich ihre Zeugenaussage beendete und den Saal verlassen musste, war sein Blick wie zuvor fest auf seine Schuhspitzen gesenkt.
Und nun betete sie, dass ihre Aussage eine Hilfe für Draco Malfoy sein würde.
Ihr Herz flatterte wie ein gefangener Vogel in ihrer Brust.
Immer noch gab es keine Sitzplätze, so dass sie in der Nähe des Käfigs stehen mussten, aber anders als bei seinem Vater hatte Hermine sich so positioniert, dass sie schräg neben dem Käfig stand und sie so seitlich auf Dracos Gesicht blicken konnte.
Deutlich stach wieder die grässliche Tätowierung an seinem Hals hervor.
Sein Blick richtete sich weiterhin gen Boden.
„Mr Malfoy, vorhin verlasen wir die Anklagepunkte. Sie werden in folgenden Punkten für schuldig befunden.“
Hermine holte scharf Luft.
Für schuldig befunden.
Dies bedeutete, er würde nicht um eine Verurteilung herumkommen, so sehr sie dies auch gehofft hatte.
Wie lange würde er in Askaban inhaftiert sein?
Die Vorstellung machte sie ganz krank.
Mühsam konzentrierte sie sich wieder auf das, was gesprochen wurde.
„Mehrfach versuchter Mord an Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore sowie Beihilfe zum tatsächlichen Mord an selbigen, da Sie Ihre Mitstreiter durch ein Verschwindekabinett in die Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei gelassen haben. Anschluss an eine rassistische und menschenverachtende Gruppierung, die sich selbst als Todesser bezeichnet. Angriff auf verschiedene Personen bei der Schlacht in Hogwarts.“
Eine unheilschwangere Pause entstand.
Hermine sah, dass Dracos Hände noch stärker zu beben begonnen hatten.
Nein nein nein, dachte sie.
Das durfte einfach nicht wahr sein!
„Betrachtet man die Taten als solches und berücksichtigt dabei aber Ihr Alter und den offensichtlichen Druck, unter dem Sie gestanden haben, sowie die Tatsache, dass Sie sich – nach eigener Aussage – nicht freiwillig der Todesser-Gruppierung angeschlossen haben, was Ihre Mutter, Narzissa Malfoy, in ihrer Aussage bestätigt hat, würde das Zaubergamot eine Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten als angemessen ansehen.“
Hermine horchte auf.
Sie war eine Spezialistin, was Worte und Formulierungen anging.
„Würde als angemessen ansehen“, wurde gesagt.
Das hieß, dass sie es theoretisch als angemessen ansehen würden, der Gamot aber zu einem anderen Urteil gekommen war.
Aber zu welchem?
„Allerdings haben uns heute ein paar Zeugenaussagen davon überzeugt, dass die Angst um Ihr eigenes Leben Sie dazu gebracht hat, die Straftaten durchzuführen und Sie versucht haben, in so vielen Punkten wie möglich Schaden zu vermeiden. Daher werden wir von einer Haftstrafe in Askaban absehen.“
Dracos Kopf ruckte hoch.
Merkwürdigerweise sah Hermine keine Erleichterung in seinem Blick, sondern eine merkwürdige Beunruhigung.
Warum freute er sich nicht, einer Haftstrafe zu entgehen?
Und irgendetwas in ihr begriff: Er hatte die Befürchtung, dass die scheinbare Strafminderung etwas bedeuten könnte, was für ihn schlimmer war.
Aber was konnte schlimmer sein als eine Haftstrafe in Askaban?
Sie konnte sich einfach nichts vorstellen.
Aber als das Urteil gesprochen wurde und sie sah, wie Draco Malfoy daraufhin um einiges blasser wurde, als er es ohnehin schon war, verstand sie: Für einen Zauberer, gerade für einen reinblütigen Zauberer, gab es auch noch andere, schreckliche Strafen, nicht nur Gefängnisstrafen.
„Draco Lucius Malfoy, wir verurteilen Sie zu einem Jahr und drei Monaten absoluten Zauberverbots. Bei guter Führung kann dies um drei Monate verkürzt werden. Sollte es zu irgendwelchen negativen Vorfällen kommen, wird das Zauberverbot sofort in eine Haftstrafe umgewandelt. Ihr Zauberstab wird weiterhin sicher hier im Ministerium verwahrt. Die Sitzung ist hiermit beendet.“

Those Eyes (Dramione Short Story) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt