Fragen und Antworten

112 7 0
                                    

Am nächsten Tag schlief Hermine etwas länger.
Als sie wach wurde, verfing sich ihr Blick sofort in dem silbernen Kleid, das sie ordentlich außen an ihre Kleiderschranktür gehangen hatte und sie unweigerlich an den Abend zuvor erinnerte.
Silber, fast wie seine Augen, dachte sie, und zog sich dann beinahe peinlich berührt die Decke über den Kopf.
Bei Merlin, was war bloß los mit ihr?
Sie war der Meinung gewesen, in Viktor verliebt gewesen zu sein. Und erst Recht war sie der Meinung gewesen, in Ron verliebt gewesen zu sein.
Nichts davon war vergleichbar mit dem, was sie beim bloßen Gedanken an Draco Malfoys Augen empfand.
Und dabei wusste sie immer noch nicht, was er eigentlich von ihr hielt! Sein Verhalten war so widersprüchlich!
Sie versuchte, ihren Morgen so zu gestalten, wie sie es immer tat, aber eine merkwürdige Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen.
Alles in ihr drängte danach, in die Winkelgasse zu gehen.
Natürlich würde er nicht da sein.
Erstens hatten sie nur vollkommen unverbindlich davon geredet, dass sie sich irgendwann mal dort zufällig sehen würden, und zweitens war dies im Prinzip ja erst wenige Stunden her!
Aber die Wände ihrer Wohnung schienen sie plötzlich zu erdrücken und regelrecht fluchtartig machte sie sich auf den Weg in die Winkelgasse.
Ihr Füße liefen beinahe von alleine zu Flourish and Blotts.
Sie öffnete die Tür und hörte das vertraute Klingeln der Türglocke.
Im Laden herrschte wie immer reger Betrieb.
Und in einem Ohrensessel einer der Leseecken nicht weit von der Tür entfernt, saß Draco.
Kurz erstarrte sie.
Er hatte ein Bein über das andere geschlagen, wobei der Knöchel seines einen Beins auf dem Knie des anderen lag. In seinem Schoß ruhte ein aufgeschlagenes Buch, das er mit beiden Händen festhielt. Sein Kopf war leicht gesenkt, anscheinend hatte er eben noch gelesen, aber sein Blick war fest auf Hermine gerichtet, so als habe er den Blick gehoben, kaum dass die Türglocke zu hören gewesen war.
Hermine löste sich gleichzeitig mit ihm aus der Erstarrung.
Sie gab sich einen Ruck und ging in seine Richtung, während er das Buch zuklappte und auf einem kleinen Beistelltisch ablegte, ehe er sich erhob und ihr ebenfalls entgegen ging.
Albernerweise fühlte Hermine ihren Puls schnell flattern.
„Hey“, sagte sie. „So schnell habe ich gar nicht mit einem Wiedersehen gerechnet.“
Aber sie hatte es gehofft, doch das sprach sie nicht laut aus.
Er zuckte bloß stumm mit den Schultern und sah sie an. Natürlich waren seine Hände wieder einmal in den Hosentaschen vergraben.
„Suchst du etwas Bestimmtes?“, fragte sie und ruckte mit dem Kinn in Richtung des Buchs, das er gelesen hatte.
„Nein. Was wolltest du hier?“
Nun zuckte sie mit den Schultern.
„Nur ein wenig Stöbern“, antwortete sie.
Ein leichtes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Das erste, das sie seit der Schlacht von Hogwarts an ihm sah. Fast wirkte es vorsichtig.
„Darf ich dir dabei Gesellschaft leisten?“, fragte er.


Draco Malfoy stellte sich als sehr angenehme Gesellschaft in einem Buchladen heraus.
Gemeinsam mit ihr schlenderte er durch die Buchreihen, schaute neugierig, welche Bücher sie ansah, zog selbst ab und an ein Buch aus den Regalen und fachsimpelte mit ihr über Lektüre. Und egal, ob Fachliteratur oder Romane – er hatte zu fast allen eine Meinung, kannte fast jedes Buch, was Hermine auch gelesen hatte. Kannte er ein Buch nicht, ließ er sich von ihr erzählen, worum es ging und wie es ihr gefallen hatte, und im Gegenzug empfahl er ihr Bücher, die sie noch nicht kannte, von denen er aber meinte, dass sie sie unbedingt einmal lesen musste.
Unweigerlich kam der Moment, an dem sie nach Hause wollten, und Hermine konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, wie es dazu gekommen war, aber irgendwie hatten sie gemeinsam beschlossen, diesen Abend zusammen im Tropfenden Kessel etwas zu essen. Weder hatte er sie gefragt noch sie ihn, es hatte sich im Gespräch einfach ergeben.
Den Nachmittag verbrachte Hermine lesend in ihrem kleinen Garten. Das Wetter war recht unbeständig – eigentlich warm, aber immer wieder bewölkt und einmal nieselte es sogar kurz.
Das Buch, das sie las, war eine Empfehlung von Draco gewesen und sie war ehrlich begeistert.
Gegen späten Nachmittag machte sie sich ein wenig zurecht.
Sie duschte und schlüpfte dann in recht alltägliche Kleidung – Jeans und eine Bluse, und sicherheitshalber nahm sie eine leichte Jacke mit, da sie dem Wetter nicht traute.
Dann machte sie sich zu Fuß auf den Weg zum Tropfenden Kessel.
Unterwegs fragte sie sich, wie Draco eigentlich alleine in die Winkelgasse kam, schließlich konnte er nicht zaubern, aber die Frage wurde ihr beantwortet, als sie das Gasthaus betrat. Zeitgleich trat Draco aus dem Kamin.
Er hatte Flohpulver genutzt. Natürlich, es war zwar eine magische Art zu reisen, aber das Transportmittel war das Pulver an sich, er konnte es also problemlos nutzen.
Er entdeckte sie nur wenige Sekunden nachdem sie ihn gesehen hatte und gemeinsam suchten sie einen freien Tisch für zwei Personen.
Sie plauderten, bestellten Essen, tranken Wein und Butterbier und aßen. Und gelegentlich lachten sie sogar. Beide etwas verhalten, fast so, als könnten sie beide den jeweils anderen noch nicht ganz einschätzen.
Als sie schließlich nach dem Essen bei einem weiteren Glas Wein beisammen saßen, nahm Hermine schließlich ihren Mut zusammen. Die Stimmung war gerade so gut, dass sie entweder endlich ein paar Antworten bekommen würde, oder eben die Stimmung komplett zerstören würde.
Aber sie wusste, sie würde verrückt werden, wenn sich nicht endlich ein paar der Rätsel um Draco Malfoy lösten.
„Draco, darf ich dich etwas zu deinen Händen fragen?“
Er hatte gerade sein Glas abgestellt und seine Hand, wie die andere, auf seinem Schoß unter dem Tisch versteckt.
Er wich ihrem Blick aus.
„Was möchtest du wissen?“
„Du versuchst zu verbergen, dass sie zittern, oder? Warum tun sie das?“
Er hob den Blick, sah sie nachdenklich und irgendwie abschätzend an.
„Wie wäre es mit einer Antwort gegen eine Antwort?“
Sie blinzelte überrascht.
Gut, er wies sie nicht komplett ab. Aber scheinbar beschäftigten ihn genauso Fragen, die mit ihr zu tun hatten, wie umgekehrt.
„In Ordnung“, sagte sie.
Er nickte leicht, dann senkte er den Blick auf die Tischplatte.
Sie merkte deutlich, wie viel Überwindung es ihn kostete, ihr zu antworten, und fast wollte sie die Frage am liebsten zurücknehmen.
„Das Zittern ist ein Fluchschaden“, sagte er schlicht. „Meistens ist es kaum bemerkbar. Es stört nicht, es schmerzt nicht. Aber in gewissen Situationen wird es stärker. Wenn ich mich aufrege.“
Erst da fiel ihr auf, dass sie bereits ein starkes Beben seiner Hände bei der Verhandlung bemerkt hatte. Damals hatte sie es einfach als Angst vor der Verurteilung interpretiert. In gewisser Weise war es das auch gewesen. Die Situation hatte ihn verständlicherweise so aufgeregt, dass das Zittern stärker geworden war.
Allerdings hatte sie ein zunehmendes Zittern seltsamerweise auch in anderen Situationen bemerkt.
„Von welchem Fluch?“, fragte sie leise.
„Der Cruciatus“, sagte er, immer noch ohne sie anzusehen. „Es war nur... einmal, aber recht lang und intensiv. Ich habe Glück, dass es der einzige Schaden ist.“
„Oh, Draco...“, murmelte sie, war ihr doch klar, wer den Fluch an ihm angewandt hatte.
Er sah sie wieder an.
„Jetzt meine Frage“, sagte er und sie merkte deutlich, er wollte vom Thema ablenken. „Was hat dich dazu gebracht, für mich vorm Hohen Rat auszusagen?“
Sie starrte ihn überrascht an. Eigentlich hatte sie gedacht, das sei offensichtlich.
„Weil du keine Verurteilung verdient hattest“, sagte sie, als sei es das Offensichtlichste der Welt. „Du hast nicht aus freien Stücken gehandelt und hast versucht, uns zu helfen, so gut du es konntest. Und wenn es nur dadurch war, dass du bei manchen Dingen gezögert hast.“
Nachdenklich blickte er sie an und schwieg.
„Ich habe noch eine Frage“, sagte Hermine. „Ich weiß, du hast mir schon einmal gesagt, du willst nicht darüber reden. Aber... wie hast du es geschafft, meine so komplizierte Verletzung zu heilen?“
Sein Blick fiel, das Gesicht wurde hart.
„Ich weiß nicht, was du von mir denkst, wenn ich dir das sage.“
„Probier es aus“, ermunterte sie ihn.
Er seufzte.
Ohne sie anzusehen, sagte er: „Ich bin nicht stolz darauf, wo ich diesen Zauber aufgeschnappt habe. Aber ich sah darin die einzige Möglichkeit, etwas zu tun. Du wärst gestorben, Hermine.“
Ihr Name kam ihm etwas zögerlich über die Lippen, so als probiere er aus, wie es klang, wenn er ihn in den Mund nahm.
„Ich habe erst die Heilzauber ausprobiert, die ich aus Hogwarts kannte, aber sie konnten dir nicht helfen. Also nahm ich diesen Zauber. Ich... kannte ihn von den anderen.“
„Anderen Todessern?“, fragte Hermine überrascht.
Er nickte.
Sie war sich sicher, hätte sie jetzt seine Hände sehen können, würde sie das Zittern deutlich sehen. Das Thema wühlte ihn auf.
„Ja. Es gab einige Gefangene im Manor. Sie haben sie gefoltert. Nicht, um Dinge von ihnen zu erfahren, sondern als Strafe. Weil sie sich gegen du-weißt-schon-wen gestellt hatten. Es wird immer gesagt, der Cruciatus sei die schlimmste Folter, aber nachdem, was ich da gesehen habe, bin ich mir dessen gar nicht mehr so sicher. Du möchtest die Details nicht hören. Jedenfalls haben sie es manchmal übertrieben. Die Gefangenen, die sie fast umgebracht haben mit ihrer Folter, deren Körper so zerstört waren, dass sie stellenweise unkenntlich waren, haben sie mit diesem Zauber geheilt. Damit... sie wieder von vorne beginnen konnten.“
Erst, als er endete, merkte Hermine, dass sie sich entsetzt die Hände vor den Mund geschlagen hatte.

Those Eyes (Dramione Short Story) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt