Kapitel 4: Der Elternabend

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Pov. Andy: Als ich Freitag Nachmittag von der Arbeit kam, machte ich mich direkt fertig. Ich tauschte meinen Anzug mit einer lockeren Jeans und einem lockeren Sweatshirt aus. Wieso überhaupt dieser lockere Aufzug, fragte ich mich selbst, als ich mich im Spiegel betrachtete. Sonst war es mir doch nie so wichtig, wie ich optisch auftrete... jeden Elternabend betrat ich in meinen Arbeitssachen bisher. Doch dieses Mal ist es anders. Ich checkte alles gründlich im Spiegel ab, ging sicher, dass kein Haar abstand und meine gestylte Friseur nach dem ganzen Tag noch saß.
„Was machst du da?", ich fuhr schreckhaft auf, als ich im Spiegel Laurie erblickte, die mich verwirrt ansah: „Hast du heute etwa etwas vor von dem ich nichts weiß?"
„Wieso bist du denn schon Zuhause?", stellte ich als Gegenfrage, um von mir selbst abzulenken.
„Mir ging es nicht so gut, deswegen bin ich früher heim..", ein normaler Ehemann würde sich jetzt sorgen, würde Zuhause bleiben, um seiner Frau zu helfen. Hier bleiben? Mit ihr mehr Worte wechseln als nötig? Irgendwie wollte ich das doch lieber vermeiden. Außerdem konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an diesen Elternabend.
„Dann leg dich hin und ruh dich etwas aus. Ich muss sowieso los.", schnell, ohne einen Blick mit ihr auszutauschen, ging ich an ihr vorbei.
„Wieso, wo musst du denn hin? Du warst doch schon auf der Arbeit.", da war es wieder. Dieses Misstrauen. Kein Vertrauen. Keine Liebe. Ihre Stimme eiskalt. Was ist das für eine Ehe? Das ist keine Ehe.
„Ich gehe auf den Elternabend unseres Sohnes. Oder ist das verboten für mich?", hakte ich etwas genervt nach und würdigte ihr keinen Blick, als ich meine goldene Armbanduhr noch schnell überzog.
„Wieso weiß ich denn nichts davon?", fragte sie fassungslos und hielt mich am Arm, als ich aus dem Zimmer gehen wollte.
Seit langem wurde ich von ihr mal wieder berührt und spürte absolut gar nichts. Anders als bei der bloßen kurzen Berührung mit Kate. Ich bin offiziell verheiratet, doch so fühlt es sich nicht an. Ich will dieses Gefühl bei Kate mehr erforschen. Ich will wissen, was es alles in mir auslösen kann und dabei wollte ich keine Sekunde an mögliche Konsequenzen denken.
„Vielleicht weil du nicht fragst.", ich zog meinen Arm blitzartig von ihr weg: „Du wechselt kaum ein Wort mit ihm. Ist doch klar, dass du dann nichts von ihm oder schulischen Terminen mitbekommst."
Sie verdrehte genervt die Augen: „Jetzt schiebst du die Schuld also wieder auf mich? Das es meine Schuld ist, dass ich von unserem Sohn nichts mitbekomme? ICH BIN HIER NICHT DIE MÖRDERIN!"
„ER AUCH NICHT!", erhob ich sofort meine Stimme schützend Jacob gegenüber und ließ sie zusammen zucken. „Ich werde jetzt gehen Laurie. Und ich will dich noch nicht einmal beim Elternabend um mich herum haben.", ich wollte gerade den Raum endgültig verlassen, da hielt sie mich mit einem einzigen Satz doch noch auf.
„Wir sollten zur Eheberatung..", wie lächerlich ist dieser Vorschlag nun? Welche Beratung, wenn die Ehe bereits vollkommen aufgelöst ist?
„Ich glaube nicht, dass eine Eheberatung noch etwas bringt in diesem Fall.. vielleicht wäre etwas anderes sinnvoller..."
„Die Scheidung?!", atmete die empört aus: „Andy, ich liebe dich! Ich will mich nicht scheiden lassen. Du bist mein Ehemann. Wir haben so viele Jahre hinter uns.. das können wir doch nicht einfach aufgeben. Bitte, lass es und probieren?", ihr Betteln machte meine Entscheidungen nicht einfacher und ich knickte erneut ein. Ich will es eigentlich nicht mehr, dennoch stimmte ich ihren Vorschlag zur Eheberatung zu. Ein leichtes Lächeln schmiegte sich auf ihr Gesicht, dieses Lächeln sollte mich beruhigen, mich auch zum Lächeln bringen, doch es bewirkte nur das Gegenteil auf mich. Ich senkte meinen Blick und wendete mich ab: „Ich muss jetzt los.", und verließ direkt das Zimmer und Haus. Flüchtete regelrecht ins Auto, sodass sie mir nicht gegebenenfalls doch noch folgen würde und mitkommen möchte.
Ohne weiter drüber nach zu denken, fuhr ich los zum Elternabend. Wollte diese für mich noch fremde Frau wiedersehen. Bloße flüchtige Aufeinandertreffen auf der Straße, auf den Weg zu unserer Arbeit, reichten mir nicht aus. Ich wollte ihr näher kommen, aber nicht zu Nahe, dass es wieder merkwürdig wirkte.
Was denk ich da bloß? Ich habe gerade eingewilligt die Ehe retten zu wollen und werfe es innerhalb weniger Minuten sofort wieder aus meinen Gedanken.
Seit dem ich diese Frau getroffen habe, hat sich ein Gefühl in mir ausgelöst, dass alles in mir veränderte und mich tatsächlich gut fühlen lies.
Ich will es wissen. Ich will dieses Gefühl weiter erforschen, auch wenn es nach hinten losgehen könnte.
Ich betrat die Turnhalle, wo Tische und Stühle aufgebaut waren, jedoch auch Musik lief und ein Buffet. Ich war etwas verwirrt. Was war das für ein Elternabend? So einen hatte ich bisher noch nicht beigewohnt.
„Mr. Barber! Schön, dass Sie auch kommen konnten.", begrüßte mich Mr.Spencer, der Direktor der Schule: „Ist Ihre Frau denn verhindert?"
Diese Neugier war extremer geworden, seit dem es überall bekannt war, dass die Ruhe Zuhause auf der Kippe stand. Viele glaubten, dass der angebliche Autounfall von Laurie mit Jacob bei sich, doch pure Absicht von ihr war.
„Ihr ging es leider nicht so gut, deswegen bin ich heute allein her gekommen.", log ich mit einem freundlichen und höflichen Lächeln.
„Oh", bemitleidend schüttelte er meine Hand: „Na dann, gute Besserung an Ihre Frau zuhause. Schade um die Kennenlernfeier heute. Das ist das erste Mal, dass wir das in diesem Format machen."
„Ohja.", bestätigte ich sofort: „Ich war etwas verwirrt über die.. neue Art des Elternabends. Aber es wirkt wirklich schön. Locker und entspannt."
„Für mich war das genauso überraschend.", gab Direktor Spencer zu und ich erwartete verwundert guckend eine Erklärung: „Der Elternbeirat hat dieses Mal diesen Abend geplant, als Kennenlernabend der neuen Lehrkraft Miss Pierce. Anscheinend scheinen die Kinder so sehr von ihr Zuhause begeistert zu sein, dass die Eltern, das als würdige Willkommensfeier gehalten haben. Wenn ich mich nicht irre kenne Sie Miss Pierce bereits, richtig?"
Ich räusperte mich kurz und wusste erst nicht genau, worauf er hinaus wollte. Hatte mich jemand beim Tag des Einzugs in ihr Haus mit Jacob gehen sehen oder woher hatte er die Vermutung?
Er schien meine Verwirrung zu bemerken, denn er fuhr fort: „Sie wohnen doch in der selben Straße oder lieg ich da jetzt falsch?"
Natürlich. Lehrer- und Schülerakten haben ja die Adressen hinterlegt. Das ich nicht sofort darauf gekommen bin, jetzt muss ich ganz schnell diese peinliche Situation beseitigen.
„Oh ist das so? Ich habe die neue Nachbarin durchaus bemerkt, aber wusste nicht, dass das die Lehrerin ist.", log ich tatsächlich, um den Anschein zu wahren, dass ich sie nicht einmal kennen würde.. oder gar von ihr schwärme. Denn genau das tat ich wohl seit unserer ersten Begegnung.
„Na dann, wird höchste Zeit sie kennenzulernen. Dort drüben ist Sie.", ich folgte seinen Blick und sah sie endlich.
Unbeschwert unterhielt sie sich mit Lehrern und Eltern und lächelte dabei vollkommen entspannt. Sofort entspannten sich auch sämtliche meiner Anspannungen bei diesem Anblick.
„Komm ich stell sie Ihnen vor.", wies mich Mr. Spencer an und stürmte vor zu den kleinen Unterhaltungskreis. Verdammt, wenn er mich jetzt ihr vorstellt, bekommt sie mit, dass ich über unser bereits Kennen, gelogen habe. Und das wird das Ganze noch unangenehmer für mich machen.
„Miss Pierce! Darf ich Ihnen vorstellen, Mr. Barber, Jacobs Vater, ist gerade eingetroffen und kannte Sie bisher noch nicht, obwohl sie in der selben Straße leben.", scherzte er und. Ich fluchte sofort innerlich auf. Um den Schein zu wahren reichte ich ihr meine Hand und kassierte leicht gehobene Augenbrauen von ihr.
Doch dann ergriff sie meine Hand doch und schüttelte sie. „Ach? Der Nachbar von nebenan ist also Jacobs Vater.", spielte sie der Lüge gerade wirklich mit? Ich würde mich mehr konzentrieren, wenn sie nicht immer noch meine Hand in ihrer Hätte. Ihre Berührung macht mich wahnsinnig. Ich verhalte mich wie ein verdammter Teenager, als verheirateter Mann.
„Schön Sie mal kennenzulernen.", grinste sie breit und verriet mir schon direkt das scherzhafte in diesem Grinsen.
„Ja, freut mich auch.", ich will nicht wissen, wie diese Begegnung gerade auf andere wirkt, doch die Reaktionen waren eindeutig, als das Tuscheln wieder begann. Kein Tuscheln über mich und Kate, sondern das bekannte Tuscheln über den Vater eines angeblichen vielleicht Mörders. Immer noch glaubten einige Eltern, dass Jacob etwas mit allem zu tun haben könnte und meideten uns.
Kate sah hinüber zu den Eltern und bemerkte das Tuscheln ebenfalls, dann bemerkte sie auch, wie sich meine Stimmung schlagartig änderte und ich meinen Blick von den anderen Eltern abwendete.
„Ich möchte mal etwas anmerken, auch wenn ich mich vielleicht etwas unbeliebt mache, ich kann Ihr Getuschel durchaus hören. Das was war, in der Vergangenheit, geht mich überhaupt nichts an. Ich bin hier die Lehrerin, die für die Schüler da ist und keine Verurteilungen ausübt. Und genauso wenig, sollten Sie das als Eltern dieser Schüler tun.", erstaunt über ihre Unterstützung starrte ich sie regelecht an.
Ihr Blick felsenfest auf die verstummten Eltern gerichtet. 
„Aber..", wandte sich ein Vater zu Wort, der mir noch nicht einmal etwas sagte: „Es ist nunmal passiert.. und er war verurteilt.. wir machen uns nur Sorgen, dass..."
„Dass was? Ein Junge der sein ganzes Leben vor sich hat, wegen eines Missverständnis verurteilt wurde und nun von erwachsene Menschen, die denken sein Leben komplett zu zerstören können, weiter fertig gemacht wird?", unterbrach Kate diesen Vater sofort. Beschämt schaute dieser zu Boden. „Zumal ich die Geschichte und Akte von ihm kenne. Von allen meinen Schülern. Sie müssen mir nicht erklären, was vorgefallen ist. Und vor allem.. das absolut Wichtigste, mir ist Jacob Barbers Vergangenheit vollkommen egal. Mir geht es um die Gegenwart und seine Zukunft. Das ist meine Aufgabe als Lehrerin. Die Kinder, darunter auch Ihre, zu schützen und zu unterstützen."
Und nun waren die Eltern endgültig mundtot. Kurz dachte ich Kate hätte sie vollkommen eingeschüchtert, doch da hob die Frau dieses Vaters mir die Hand entgegen: „Es tut mir wirklich leid, dass wir so verurteilend Ihnen und Ihrer Familie gegenüber waren, Mr. Barber..", damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Eine Entschuldigung. Ich ergriff die Hand dieser Frau und nickte ihr zu, nahm ihre Entschuldigung dankend an.
Und dann taten es die anderen Eltern ihr gleich und entschuldigten sich. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich Kates zufriedenes Lächeln, bevor sie sich von dieser Gruppe entfernte und uns den Platz für elterliche Unterhaltungen ließ.
Es ist lange her seit dem ich mich mit anderen Eltern über unsere Kinder austauschte. Es fühlte sich erneut wie eine wiedereinkehrende Normalität an. Und diese Normalität wurde wieder durch Kate in mein Leben zurück gebracht.
Ab einen gewissen Punkt klinkte ich mich aus dem Gespräch freundlich und höflich aus, um mich im Raum nach ihr umzusehen, doch vergeblich. Ich sah sie bei keiner weiteren Eltern- oder Lehrergruppe.
Ich seufzte auf und fragte mich ein wenig bei den Lehrern durch, mit der Ausrede, dass ich mich wegen ihren Unterricht noch nah etwas erkundigen wollte.
Es brauchte ein paar Anläufe, bis endlich jemand wusste, wo sie war.
Jacobs Sportlehrer deutete auf den Ausgang der Turnhalle: „Sie bekam einen Anruf und ging hinaus."
„Alles klar, Dankeschön.", freundlich nickend lächelte er mir zu und wendete sich dann wieder seiner Gesprächsgruppe zu.
Ich schnappte mir vom Kleiderständer meinen Mantel, zog ihn drüber, um dann hinaus zu gehen, wo ich sie direkt vor dem Gebäude stehen sah.
Sie schien noch zu telefonieren, daher wartete ich noch ein wenig ab. Ob das merkwürdig ist, ihr beim Telefonat zuzuhören? Ihrer Stimme und Gesprächsthemen nach zu urteilen, scheint sie wohl offensichtlich mit ihrer Tochter zu telefonieren.
Erst als sie auflegte, nahm ich den Platz neben ihr ein.
Sie lächelte kurz, als sie mich erblickte: „Das war die Babysitterin.. Gracy kann wohl nicht einschlafen.."
„Oh.. naja. Neue Stadt, neues Zuhause, Mama dann nicht Zuhause, kann durchaus für die Kleine schwer sein.", sofort merkte ich ihre Besorgnis an. „Hey, ich glaube keiner da drin ist dir sauer, wenn du früher Heim fahren solltest, als geplant. Es geht schließlich um deine kleine Tochter. Da wird jeder Verständnis für haben."
„Ja, da hast du schon recht... weswegen bist du hier draußen?", hakte sie nach, als würde sie sofort wissen, dass meine Nähe zu ihr nicht grundlos war.
„Ich.. ich wollte mich bedanken. Für eben.", und das meinte ich auch wirklich so.
Sie schüttelte bloß lächelnd den Kopf: „Nicht dafür. Es ist meine Pflicht meine Schüler zu schützen und dazu gehört auch Jacobs Wohlergehen."
Es ist wirklich lange her, dass sich jemand, neben mir, so sehr um Jacobs Wohlergehen kümmerte. Es erwärmte mir irgendwie mein Herz. Aber es ist, wie sie sagte, auch ihr Job. So wie es mein Job nun ist, Familien vor Gericht zu unterstützen, egal was dort je Thema ist.
„Tja. Dann verabschiede ich mich mal und rufe mir ein Taxi.", verwirrt hob ich bei ihrer Aussage die Augenbraue. „Naja.. ich wusste, dass ich ein paar Gläser Sekt wohl trinken werde, daher kam ich mit dem Bus her. Aber so spät fährt kein Bus mehr."
„Aber so spät solltest du auch nicht alleine mit einem Taxi fahren.", sofort war mein Schutzinstinkt geweckt.
Sie lachte leicht auf: „Süß, wie du dich sorgst, aber ich bin eine erwachsene Frau und anders komme ich nicht nach Hause."
Sie wollte gerade hineingehen, da stoppte ich sie erneut: „Ich kann dich fahren. Ich hab nichts getrunken."
„Oh.. aber willst du denn nicht noch ein wenig da bleiben?", hakte sie verwundert nach.
Auch wenn das Ganze deutlich angenehm war, wieder mit anderen Eltern zu reden, so wollte ich diesen Abend nur auch beiwohnen, weil sie da gewesen wäre.
„Kein Problem für mich, ich hatte genug Redebedarf.", bestätigte ich meinen Vorschlag erneut.
Sie schaute kurz zu Boden, doch ich sah ihr Lächeln, was auch mich zu Lächeln brachte: „Also gut. Ich verabschiede mich nur noch kurz."
Ich ging schon mal vor zum Auto und keine fünf Minuten später, stieg sie im Beifahrersitz ein.
Die Heimfahrt verlief so locker und entspannt. Ich hatte das Gefühl stundenlang mit ihr reden zu wollen oder ihr bloß zuhören zu wollen, doch leider ging diese Fahrt nicht so lange und ich parkte in meiner Einfahrt ein.
Es wurde kurz still, als wir beide bemerkten, dass diese angenehme Unterhaltung nun ein Ende findet fürs Erste.
„Danke, fürs nach Hause fahren, Andy. Schätze ich schulde dir was.", scherzte sie nun.
Ich grinste bloß: „Nach deiner Hilfe heute Abend, sind wir quit."
„Gute Nacht, Andy.", sie stieg aus und wollt gerade die Autotür hinter sich schließen, während ich immer noch etwas niedergeschlagen, aufgrund ihres Gehens, hinter dem Lenkrad saß.
Doch plötzlich ging die Beifahrertür doch wieder auf und sie beugte sich hinunter: „Hast du noch Lust.. etwas rüber zu kommen?"

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Video-Edit zu diesem Kapitel: https://vm.tiktok.com/ZGJvTJmKh/

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Loyalty (Andy Barber FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt