Kapitel 6: Verlass mich bitte nie

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Pov. Andy: Seit dem ich durch die Haustür von Kate ging, wurde mir die Kälte in meinem Leben erst wirklich bewusst. Und es lag sicherlich nicht daran, dass der Herbst anbrach und es mittlerweile Nachts war. Die kühle Nachtluft war nicht einmal annähernd vergleichbar mit der Kälte in mir drinnen. Ich habe vollkommen die Zeit vergessen. Ich habe mich wohl gefühlt. Geborgen. So viele Gefühle, die ich seit langer Zeit nicht einmal annähernd Zuhause gefühlt habe.
Ich drehte mich nochmal auf der Veranda von ihr um und sah die Tür an. Stand sie noch dahinter? Soll ich klopfen? Wobei sie kam ja nicht einmal mit um mich zu verabschieden, sie saß bestimmt noch auf der Couch. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie etwas Schlimmes durchmachen musste.
Mit mulmigen Gefühl im Magen, entschied ich mich doch hinüber zu gehen, zu meinem Haus. Jeder Schritt näher, breitete das Kältegefühl mehr in mir aus. Am liebsten würde ich in mein Auto steigen und einfach wegfahren. Aber dann denke ich an Jacob, der darunter am meisten leiden würde. So hatte ich jedesmal den Anreiz wieder nach Hause zu kommen. Doch wie ein Zuhause fühlt es sich nicht mehr an. Ich kramte in meiner Manteltasche nach meinen Schlüsseln. Mist.. ich habe sie drüben wohl liegen lassen.. doch ich brauchte nicht extra hinüber zu gehen, denn da wurde die Eingangstür schon aufgerissen. Laurie stand mit verschränkten Armen vor der Brust direkt vor mir.
„Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.", erklärte ich kühl und ging an ihr vorbei hinein.
„Ach ist das so? Du bist immer noch mein Ehemann! Wenn ich dich anrufe, gehst du ran und drückst mich nicht wie eben weg. Dein Auto stand die ganze Zeit schon hier, aber du warst nicht da und dann sehe ich dich plötzlich aus dem Haus der neuen Nachbarin herauskommen!", ihre Stimme hatte wieder diesen lauteren erhobenen Tonfall. Als könne sie über mich und mein Leben in jeder Hinsicht bestimmen.
„Das ist Jacobs neue Lehrerin, beruhig dich.", wollte ich abwimmeln, doch sie hielt mich fest.
„Das ist mir ehrlich gesagt egal, wer sie ist. Was hast du bei ihr drüben verloren?! Und warum riechst du so nach Alkohol?", genervt von der bereits unterstellenden Tonlage, löste ich mich und schritt in die Küche voran, um mir aus dem Kühlschrank ein gekühltes Wasser herauszuholen und einen großen Schluck zu trinken. Die Atmosphäre drüben hat mir deutlich mehr gefallen. „Andrew Stephen Barber. Ich rede mit dir."
„Wirklich? Der volle Namen? Als ob das dich eher zu einer Antwort bringt. Ich habe sie nach Hause gefahren, weil ihre Babysitterin, wegen ihrer Tochter anrief. Als Dank lud sie mich halt noch kurz für ein Glas Wein an. Wir haben etwas über die Schule geredet und wie Jacob sich in ihrem Unterricht so macht. Zufrieden?", natürlich war das Ganze nicht die komplette Wahrheit. Ob es wirklich eine Dankesgeste war, konnte ich nicht mehr beurteilen. Es war so, als wäre sie genauso einsam, wie ich, obwohl wir jemanden um uns herum haben. Als hätte sie gerade einfach noch ein wenig Gesellschaft bei sich haben wollen und ich war dieser genauso wenig abgeneigt. Es war auch deutlich mehr als nur ein Glas Wein, sonst hätte sie wohl kaum den Geruch bemerkt und ich wäre bei Kate so gesprächig geworden, wie sie mir gegenüber. Apropos gesprächig.. Der Punkt mit dem Gesprächsthema war komplett gelogen. Aber die Wahrheit konnte ich ihr ja wohl kaum sagen? Ich kann es ihr ja nicht einmal selbst ins Gesicht sagen, wie ich mich fühle. Wie leer und kühl es in mir ist, ihretwegen. Wie sehr es mich mach Wärme sehnt, Wärme, die ich wo anders komischerweise wieder spüren konnte.
„Ehrlich gesagt nein. Es ist spät. Und du hast als verheirateter Mann nichts bei einer fremden Frau mit einem Glas Wein zu suchen. Vor allem nicht, wenn es Jacobs neue Lehrerin ist! Stell dir mal vor da sprechen sich dämliche Gerüchte herum! Als würden die Leute nicht schon genug über uns reden! Nein du musst natürlich einen drauf setzen!", wütend hörte ich ihre Stimme beben und auch mir platzte der Kragen. Mit voller Wucht knallte ich die Glaswasserflasche zu Boden: „Es reicht, Laurie!"
Sie zuckte zusammen. So aus der Haut fuhr ich nur, wenn ich wirklich sehr wütend bin oder betrunken. Ich mochte diese Seite nicht an mir. Überhaupt nicht. Dennoch bin ich zum Teil beides gerade: „Ich habe deine ständigen Anweisungen satt, wie ich mich zu benehmen habe oder was ich zu tun oder zu lassen habe. Und seit deinem Unfall... nein.. seit deinem Versuch dich und unseren Sohn umzubringen, machst du es nur schlimmer!", schrie ich schon fast. Wiedermal fiel mir ein Sprichwort ein. Viele kleine Tropfen, bringen irgendwann das Fass zum überlaufen. Und bei mir ist es übergelaufen. Ich hielt es nicht mehr aus. Beweis dafür ist das Scherbenmeer in der Pfütze vor mir. Und Lustigerweise erinnert mich dieses Bild vor meinen Füßen an mich. Ich bin dieses zerbrochene Scherbenmeer, dass versucht in einer Art Normalität zu schwimmen und nicht unter zu gehen. Um zur Gesellschaft zur gehören, um zu verhindern, dass andere über einen sprechen. Dabei ist es vollkommen egal was wir tun oder sagen. Heute war doch wieder der beste Beweis. Jacob wurde freigesprochen, als unschuldig bekannt gegeben.. dennoch reißen sich alle den Mund über uns weiter auf. Dennoch werden wir ausgegrenzt aus der Gesellschaft. Es ist vollkommen egal. Wenn Jacob nicht wäre.. wäre ich hier schon längst von verschwunden.
Ich schaute endlich wieder auf. Laurie starrte mich fassungslos an: „Du brauchst heute gar nicht erst zu mir ins Schlafzimmer zu kommen.", ihre Stimme war dennoch immer noch, kalt und bestimmend. Dann machte sie auf den Absatz kehrt und ging Richtung Treppenaufgang.
„Hatte ich sowieso nicht vor.", gab ich trocken zurück. Sie hielt kurz an, wollte vielleicht etwas gegen erwidern, doch ging dann dennoch hoch und sprach kein Wort mehr zu mir.
Als sie weg war, atmete ich erleichtert aus. Sobald sie nicht mehr in der Nähe war, entspannte ich mich sofort wieder. Was versuche ich hier? Das würde ich mich immer wieder auf Neue fragen. Diese Ehe aufrecht zu erhalten, ist vermutlich das Dümmste, was ich wohl versuche. Warum will sie es überhaupt? Alles was ich mache oder sage stört sie, also warum will sie zu einer Eheberatung, um diese Ehe zu retten. Ich habe sogar manchmal das Gefühl ich muss bloß atmen und existieren und es ist falsch.
Erneut sah ich vor mir herunter, das Scherbenmeer vor mir. Ich seufzte auf, ehe ich mich dazu ringen konnte Kehrschaufel und Kehrbessen zu nehmen, um die Scherben aufzusammeln.
„Dad?", ich schaute sofort auf. Jacob stand am Ende der Treppe und sah durch den offenen Durchgang geradewegs in die Küche. „Was ist passiert?", seine Frage war so vorsichtig gestellt, als hätte er Angst sie zu stellen. Wieso musste es so weit kommen, dass mein Sohn Angst davor hat mir gegenüber zu reden oder eine Frage zu stellen..
„Das war eigentlich keine Absicht..", versuchte ich es irgendwie zu erklären. Ich wollte ihn nicht belügen. Er ist ein schlauer Junge, früher oder später, würde er es sowieso wissen oder merken. Also sagte ich direkt die Wahrheit. Ich hatte nicht geplant die Flasche auf den Boden zu schmettern, aber die Wut und der Frust war in dem Moment einfach stärker, als jegliche vernünftige Handlung.
„Warte ich helfe dir..", bevor ich dagegen protestieren konnte, weil mein Sohn nun wirklich nicht die Auswirkungen für meinen Kontrollverlust aufräumen sollte, kniete er schon gegenüber vor mir mit einen Lappen und tupfte vorsichtig das Wasser zwischen den Scherben auf.
„Du musst das nicht tun, Jacob.. ich habe es schließlich verursacht...", doch er schüttelte den Kopf.
Er sah mich mit einen leichten Lächeln an: „Ich möchte es aber tun, Dad. Ich will dir helfen so gut wie ich kann.. denn du hilfst schließlich auch immer mir."
„Ich bin dein Vater, natürlich helfe ich dir. Immer. Egal was sein sollte. Ich werde immer versuchen dir zu helfen und dich zu schützen. Es ist meine Aufgabe für dich da zu sein, nicht andersherum.", ich kehrte auch die letzten Scherben und Splitter in die Kehrschaufel hinein.
„Dad..?", da war wieder diese leise vorsichtige Frage.
„Ja, mein Junge?", die Scherben klirrten, als ich sie in den Mülleimer unter der Spüle schüttete.
„Kannst du mir etwas versprechen..?", ich wurde stutzig und sah auf: „Kannst du mir versprechen, dass egal was auch passiert.. wir füreinander da sein werden. Du und ich.."
Verwundert sah ich ihn an: „Wie kommst du denn darauf? Natürlich. Das muss ich nicht versprechen. Das ist für mich selbstverständlich. Jacob du bist bei mir immer an erster Stelle, egal was kommt." Er schwieg. „Jacob.. wie kommst du darauf?", fragte ich erneut nach. Wenn es eines gibt, für das ich immer Zeit habe, dann ist es das Wohlbefinden meines Kindes. Ich müsste schon längst schlafen. Allein wegen der Arbeit Morgen Früh, doch nicht, wenn mein Sohn mich so verängstigt ansieht: „Jacob..?"
„Es ist nur..", fing er an und versuchte die richtigen Worte zu finden, so wirkte es jedenfalls auf mich: „Ich habe dich und Mum schreien hören.. gerade.. also ich stand am Geländer als ihr den Streit hattet.. und jedesmal wenn ihr streitet.. hab ich Sorge.. dass ihr euch trennt.. und du gehst.. und lässt mich hier zurück.. ich weiß, was Mum von mir denkt.. und ich weiß, dass egal wie sehr ich es versuche.. es nie wieder zu ändern ist. Dafür ist vermutlich Zuviel passiert.. ich weiß, dass sie mich hasst und vermutlich wünscht, ich hätte den Unfall nicht überlebt..."
„Jacob..", unterbrach ich ihn. Er hatte Tränen in den Augen und es schmerzte. Es schmerzte ihn so reden zu hören. Diese Gefühle, die er hatte. Die Sorge bei seiner eigenen Mutter bleiben zu müssen.. kein Kind sollte sich je so fühlen müssen.
„Vielleicht hat sie ja recht, vielleicht hätte ich besser sterben sollen. Mein Ruf ist doch überall im Arsch. In deren Augen war ich es immer noch. Also warum überhaupt noch versuchen.. ich hätte damals einfach.."
„Nicht..", unterbreche ich ihn schnell und spürte wie meine eigenen Augen brennen. Ich bin den Tränen nahe und mein Sohn weinte nun. Ich ging große Schritte auf ihn zu und drückte ihn ganz dicht an mich heran: „Sag bitte nicht sowas...", flehte ich ihn an. Ich ertrage diese Worte und Gedanken nicht von ihn. Nichts wünschte ich mir mehr, als ihn von diesem Leid zu befreien, aber seine Therapeutin meinte bereits bei der letzten Sitzung, dass ich mit solchen Fragen irgendwann rechnen muss. Das er sich die Frage stellt, warum er überlebt hat. Das er lieber das Gegenteil wollen würde, bei all den Druck dem er allein in der Schule ausgesetzt ist. Ich schlucke schwer: „Du bist immer an erster Stelle und ich kann nicht ohne dich. Du bist mein Sohn. Ich könnte nicht ertragen, dich je zu verlieren.. Eltern sollten ihre Kinder nie überleben.. also bitte tu mir sowas niemals an, Jacob. Ich liebe dich, mein Junge."
„Ich liebe dich auch, Dad.", ich spürte wie seine Tränen mein Hemd an der Schulter durchnässten. Beruhigend strich ich über seinen Rücken und hielt ihn bloß. „Wirst du sie verlassen...?", diese Frage stelle ich mir selbst auch immer wieder, Jacob.
Ich zuckte bloß mit den Schultern: „Ich weiß es nicht.. ehrlich nicht, Jacob. Aber was ich weiß, dass ich dich nie allein lassen werde oder dass ich dich zu etwas zwingen werde, was du nicht willst.", er nickt bloß stumm. Ich spürte seinen Körper beben. Er weinte noch. Also hielt ich ihn weiterhin. Mein Junge.. es fühlt sich so an, als wäre er wieder so klein und schutzlos.. mir zerbrach es bei diesen Anblick das Herz. Also verharrte ich in dieser Positiven noch eine ganze Weile. Solange bis er sich beruhigte und mit seinen Ärmel vom Schlafpullover sich die Tränen weg wisch. „Wie gehts dir jetzt, Jacob?"
„Ein wenig besser nachdem ich alles rauslassen konnte.", da war es zum Glück wieder ein leichtes, aber vorsichtiges Lächeln. Für mich war es ein kleiner Erfolg.
„Das ist gut.", auch ich lächelte: „Und jetzt ab ins Bett. Es ist schon sehr spät."
„Ich habe doch morgen keine Schule. Es ist Samstag.", ich hob bei seinem Kommentar meine Augenbrauen amüsiert an. Er lachte leicht: „Schon gut, schon gut.", er wandte sich der Treppe zu und erklomm die ersten Stufen, als er sich mir erneut zuwandte: „Es wäre übrigens voll okay, wenn du dich in jemanden Neuen verlieben würdest." Ein wenig perplex sah ich ihn an. „Gute Nacht, Dad.", mit einen breiten Grinsen, schritt er auch die letzten Stufen hinauf, zurück in sein Zimmer. Ich will gar nicht wissen, wie er darauf kommt, ich könnte oder hätte mich verliebt. So ein Quatsch. Kopfschüttelnd und belustigt, legte ich mir Decke und Kissen auf der Couch zurecht. Ich war geschafft. Absolut fertig vom Tag. Kaum lag ich, schlief ich. Komischerweise träumte ich seit Monaten mal wieder gut. Und ich war froh ihr Gesicht dabei zu sehen. Kate.

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Video-Edit zum Kapitel:

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Loyalty (Andy Barber FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt