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Sie trat fort von ihm und sah ihn an in beleidigtem Zorn. Ein unzufriedenes Knurren rollte durch ihre Kehle.

„Das ist richtig", brummte sie mit gerümpfter Nase. Schon spürte sie wieder die Ketten der Verpflichtung um ihre Glieder winden. Der Moment spielerischer Freiheit war vorbei. Die wilde Jagd unbegrenzten Selbst, hatte ein Ende gefunden. Sie erinnerte sich an ihr eigenes Trugbild. An den Palast, der ihr Gefägnis war, seit ihre eingesetzten Augen geöffnet worden waren. Man hatte sie erschaffen mit dem wilden Herzen eines Löwen, den nach weiten strecken gierenden Schwingen eines Adlers und dem von Neugierde besessenen Kopf eines Menschen. Doch dann war sie verdammt worden zu einer Existenz in Illusion und Einsamkeit.

Für den Helden war es Erleichterung und Freude. Er zog den Helm von seinem verschwitzten Kopf und strich sich mit der freien zuvor vom Schwert befreiten Hand über sein Gesicht.

Für das Monster war es eine Erinnerung an eine lästige Pflicht.

Sie streckte die Arme aus, riss sie wieder herab und ließ den Zauber zerbrechen, der den Tempel aus Marmor um sie herum errichtet hatte. Säulen stürzten nieder. Statuen verzogen sich und schmolzen in den Boden. Wände rutschten kratzend näher und Pergamentrollen, Papyrusstapel wie Papier, schoben sich flatternd an ihren Platz. Die Kerzen kletterten in die Höhe, reihten sich über den zurück gekehrten Regalen in wilder Ordnung und vibrierten in ihrem warmen, heimischen Licht. Noch immer herrschte Gold in der Luft. Doch es roch nicht mehr nach Stein und Metall. Diesmal roch es nach Tinte, nach Fasern und nach Holz.

Fassungslos drehte der Held sich um die eigene Achse. Seinen Helm klemmte er unter seinen Arm. Als die Wächterin sich auf ihn zu bewegte, wich er dennoch vor ihr zurück. Fast stolperte er dabei über einen Tisch, der sich selbst herbei geschoben hatte und entschlossen seinen Platz suchte.

„Also holen wir uns das Wissen, nach dem du verlangst", murrte sie und winkte ihm ungeduldig ihr zu folgen. Er tat es, auch wenn er behutsam und vorsichtig blieb. Neben ihnen schoben sich beschlagene Steintafeln in die Höhe und in einem weiteren Regal, klappten Tonplatten übereinander.

„Die Götter meinten Ihr würdet wissen, was ich bräuchte. Aber wie..." Seine Frage holte zu ihr auf und sie zuckte mit den Schultern.

„Ich bin die Wächterin. Sie ist die, die es weiß." Damit gestikulierte sie wild um sich herum auf Regale, auf Podeste und auf Türen die quer oder zu hoch in der Wand hingen.

Ein altes, zerschlissenes Pergament flatterte auf sie zu und die Sphinx nahm es behutsam aus der Luft. Gefolgt von dem Menschen, trat sie an einen Tisch heran, um es daraus auszubreiten. Ihre Finger strichen sanft und vorsichtig über die raue, eingerissene Oberfläche. Liebevoll, als tätschelte sie die Hand einer kränkelnden Freundin.

„Was steht da? Ich kenne die Schrift nicht?", mischte sich der Held ein, der sich von hinten über ihre Schulter lehnte. Rasch wich er wieder zurück, als sie herumwirbelte.

„Du musst es nicht wissen. Ich gebe dir das Wissen daraus, nicht die Schriftrolle selbst."

Eine Hand auf dem Papier, nutzte sie die andere, um ihn wieder herbeizuwinken. Er zögerte, atmete dann jedoch durch und ließ zu, dass sie ihre wieder weichen, zierlichen Finger, an seine Stirn legte.

Was er verlangt hatte, strömte in seinen Verstand, verwob sich in seine Gedanken und verankerte sich auf ewig in seinem Kopf.

„Jetzt hast du, wofür du gekommen bist", brummte die Wächterin unzufrieden. Sie vermisste bereits dieses Leben, das bald wieder aus ihren Hallen gehen würde und dem womöglich erst sehr lange Zeit später, wieder einmal ein neues folgen könnte.

Der Held trat zurück, wollte sich zum Gehen drehen, doch sein Griff an die Seite ließ ihn innehalten.

„Moment, mein Schwert. Es wurde mir von den Göttern geben. Ich muss..."

„Geh, Held! Geh jetzt. Oder ich könnte auf den Gedanken kommen, dass du dich an mehr als einem Wissen vergreifen willst. Und dann, wird mich nichts davon abhalten, dich von deinem Kopf zu befreien."

Ihre Warnung nahm er ernst. Ohne Abschied, ohne Dank, ging er, wie er gekommen war. Schicksale erfüllen, die Heimat retten, den Göttern dienen. Ein naiver Narr, ein niedlicher Held. Er hatte keine Ahnung, wie einfach sie es ihm gemacht hatte.

Natürlich hatte sie dem, der meinte in seinen Träumen die Hilfe der Götter erhalten zu haben, ein Rätsel um einen Traum gegeben. Um eine unechte, eine falsche Illusion. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen ließ. Eine Enttäuschung, die sich unter dem Mantel machtvollen Glanzes verbarg.

Sie, die Wächterin, hatte gelernt, dass nicht auf die Götter zu hoffen war, wenn man seine Freiheit erhalten wollte. Man musste selbst daran arbeiten, sich selbst darum bemühen. Ganz genau so, wie sie es tat.

Während der Held zurück durch den Tunnel der verborgenen Höhle lief, schritt die Sphinx hin zu einem Stapel grob übereinander gestapelter Papyrusrollen. Sie glitten von selbst auseinander, sobald sie daneben in die Hocke ging. Zum Vorschein kam das Schwert. Schon als er die Eingangshalle betraten hatte, hatte sie es spüren können. Die Macht des göttlichen Zaubers, die hineingewoben worden war. Magie, die ihre Wirkung nicht entfalten konnte, während sie zwischen den Wänden der Bibliothek lag. Jedenfalls nicht auf jene Art, auf die sie sich sonst zeigte.

Der Held musste schrecklich verwirrt gewesen sein, als sein göttliches Schwert, mit einem Mal gegen dieses neue Monster alle Macht verlor. Nun gehörte es ihr. Und sie wusste bereits besser, was sie damit anstellen konnte.

Ihre Unzufriedenheit verschwand und wich einem verschlagenen Lächeln.

„Geh, tapferer Held! Geh und erzähle von deinen Abenteuern."

Sie benötigte nur noch ein paar mehr von Helden unwissentlich zu ihr gebrachte Artefakte, dann hätte sie genug Macht zusammen, um ihren eigenen Zauber zu weben. Die Götter hatten sie gezwungen ihr nach so viel mehr verlangendes Leben an einen Ort in abgeschiedener Einsamkeit zu binden. Doch an einen, der angefüllt war mit dem großen, von Winden stets herbei getragenen Wissen aus allen Winkeln der Welt. Wissen, das sie zu nutzen beabsichtigte. Bald wäre sie so weit. Dann würde sie ihre Ketten sprengen, würde die Bibliothek in ein einziges Buch schrumpfen und damit endlich diesen Ort verlassen, um mehr zu sehen. Um Alles zu sehen! Sie würde frei sein und ihre Schwingen unter demselben Himmel ausbreiten, unter dem auch der Held nun wieder gehen würde.

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ANCIENT - Das Flüstern alter ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt