Kapitel 5

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~Kapitel 5~

    Nach einem ausgiebigen Abendessen hatten Feyre und Rhys sich mit Nyx in ihr Haus am Fluss zurückgezogen, während die anderen sich, sehr zu Nestas Missfallen, dazu entschieden hatten, im Haus der Winde zu nächtigen. Bloß Amren war noch in ihr Apartment in Velaris geflüchtet. Es kursierte die leise Vermutung, dass Varion dort auf sie wartete.
    Und so lag Azriel nun im Bett, seine Schatten waren mit den verworrenen Gefühlen die rund um Anna, Mor und Elain kreisten, wiedergekehrt und schienen ihn erneut zu verhöhnen. Als wäre sein Leben ohne sie nicht schon anstrengend genug. Er besann sich einen Moment lang darauf, was sie schon alles für ihn getan hatten und wie nützlich die Schatten sich bereits gemacht hatten. Es wurde Zeit, sie wieder mehr als seine Stärke anzusehen, nicht als seine Schwäche. Der Schattensänger begann, sich in ihnen fallen zu lassen und das Geflüster verstummte. Es blieb die Dunkelheit um ihn herum.
    Endlich konnte er aufatmen.
    Nun musste der Krieger sich nur noch mit seinen eigentlichen Problemen auseinandersetzen. Koschei schien kein Ziel zu haben. Zumindest keines, was die High Faes sich zusammen reimen konnten. Wollte man den Legenden Glauben schenken, mochte er die Aufmerksamkeit mindestens genau so sehr wie die Weberin, seine jüngere Schwester. Nur der Knochenschnitzer, der Zwillingsbruder der Weberin, war anderer Meinung. Er war der Schwächste der drei und hatte sogar Angst vor seinen Geschwistern.
    Für die Bevölkerung Prythians waren sie alle schon immer Gottheiten gewesen. Weil sie so mächtig waren, aus einer anderen Welt kamen, wo das eben Standard war. Und nun hatte diese übermächtige Gottheit sich mit Vallahan verbündet. Es war kaum zu glauben, dass die Königin und der König, die sich weigerten Mors Friedensvertrag zu unterschreiben weil ja noch ein Krieg kommen konnte und sie ihr Land expandieren wollten, sich nun mit ihm verbündeten. Nur um mehr Land zu gewinnen. Wenigstens kannte man Vallahans Ziel.
    Doch immer wieder stellte sich Azriel die Frage, was Vallahan Koschei bieten konnte, das ihn dazu bewegte eine Allianz mit ihnen zu formen. Und woher Koschei von Cretea wusste.
    Nicht zum ersten Mal schweiften seine Gedanken auch zu Anna ab. Beinahe schämte er sich dafür. Es drohte ein erneuter Krieg zu eskalieren, Verstecke aufzudecken und alles was er kannte zu zerstören. Und trotzdem war er wie versteinert wenn er an ihre Augen, ihr Lächeln dachte. Schockiert wenn er sich daran erinnerte, dass sie noch nie etwas von der Welt gehört hatte, in der sie sich momentan befand. Es war zum Haare raufen.
    Sie mussten mehr über sie herausfinden. Konnte Anna sich an ihr Leben vor Prythian erinnern? Hatte sie doch irgendwelche Kräfte – irgendetwas, was sie dazu veranlasste, nicht als Fae aus dem Kessel zu steigen? Das waren nur einige der Fragen, die Azriel am nächsten Tag beantwortet haben wollte. Allerdings nicht wie er es in den meisten Fällen gewohnt war, durch seine Spionage Fähigkeiten. Nein. Feingefühl war angesagt. Anna löste bereits jetzt so starke Gefühle in ihm aus, dass es ihn graulte, bei ihr das Gleiche auszulösen. Es war ein ganzes Gefühlschaos. Und doch konnte er nicht von ihr weg bleiben.
    Früher am Abend hatte er das dominierende, warme, willkommene Gefühl mit dem verglichen, was er gegenüber Mor empfand, bevor sie ihn Jahre lang von sich gestoßen hatte. Oder mit dem, was er für Elain empfand als er sie bei der letzten Sonnenwendfeier fast geküsst hatte. Ohne Lucien, der die ganze Situation so verheerend machte, versteht sich.
    Dennoch war es mit Anna intensiver. Strahlender. Und er kam nicht umhin sich dafür schuldig zu fühlen. Mor konnte er nach all den Jahren nicht loslassen. Schon so lang sehnte er sich nach einer tieferen Bindung zu ihr, dass er gar nicht mehr ohne diese Sehnsucht konnte. Mit Elain hatte er diese tiefere Bindung, hatte ihr seinen Dolch gegeben und sie hatten sich fast geküsst, aber da war immer noch Lucien, ihr Seelengefährte. Und von nun an auch Anna.
    Es fühlte sich bedrückend an, so unglaublich bedrückend. Als würde die Bettdecke ihn unter sich begraben wie Meterweise Erde einen Leichnam begruben.
    Der einzige Unterschied war, dass er sich nicht tot fühlte. Ganz im Gegenteil, nur selten wurde er von so vielen Wahrnehmungen gleichzeitig erfasst. Aber manchmal, manchmal wünschte Azriel sich in seiner Einsamkeit, mit der unendlichen Scharr von Problemen, dass er sich tot fühlen konnte.
    Er stellte sich das so friedlich vor, im Tod verließen einen alle Probleme. Man konnte einfach so dahin schwinden, keine Erwartungen, keine unerfüllbaren Bedürfnisse, keine unmöglichen Wünsche. Nur Frieden, während man ins Nicht verschwand, die Seele sich auflösen würde. Er glaubte nicht an Himmel und Hölle.
    Azriel konnte nicht. Konnte es seinen Brüdern nicht antun, sich das Leben zu nehmen und sein Stolz ließ es schon gar nicht zu, dass er irgendwo anders als in einer Schlacht starb. Das Unendliche Leben verweigerte ihm die Illusion, irgendwann einfach sein Leben durchgelebt zu haben. Er musste also weiter machen. Es war eine ungewöhnliche Form von Folter. Eine, die die große Mutter selbst einem auferlegte.
    Stück für Stück fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Das Mädchen aus dem KesselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt