26 - Einer für alle, alle für einen

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[Harry] 

12.30 Uhr 

Direkt nach Schichtende checkte ich mein Handy, doch Louis hatte sich nicht bei mir gemeldet und ich war einerseits beunruhigt, andererseits jedoch auch gleichzeitig beruhigt. Er hätte mich vermutlich nur angerufen, wenn irgendetwas passiert wäre. 
Ich lief zu meinem Auto und als ich den Wagen startete, um den Weg zum Krankenhaus zu beginnen, rief Kelly an.
Sie hatte wie immer ein tolles Timing und schmunzelnd drückte ich auf den grünen Hörer auf dem Display.
"Ausgenüchtert?" fragte ich sie grinsend.
"Ja" antwortete sie lachend. "Ich wollte fragen, wie es euch geht? Lou war schon wieder nicht in der Uni, macht ihr Schweinereien anstatt fleißig zu sein?" 
Sie kicherte und mir fiel in diesem Moment ein, dass Louis ihr offensichtlich nichts davon gesagt hatte, dass heute die Operation anstand. Oder sie hatte es vergessen, was ich ihr nicht zutraute. 

"Ähm, nein. Sein Dad wird heute operiert." 
"Was? Oh je, das wusste ich nicht!" 
Ich hätte mir denken können, dass Louis das nicht an die große Glocke gehängt hatte. Er wollte offensichtlich niemanden belasten. Insgeheim hätte ich mir gewünscht, dass Kelly es gewusst hätte, dann wäre noch jemand für ihn da gewesen in der Zeit, in der ich arbeiten war. 
"Ja, ich bin gerade auf dem Weg zu ihm ins Krankenhaus. Sie operieren auch noch, es ging um acht Uhr los." 
"Verstehe. Soll ich auch hin kommen?" fragte sie mich vorsichtig. 
"Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich denke Louis ist heute ganz schön überfordert. Ich werde mich um ihn kümmern und ich hoffe, dass alles gut geht und wir danach vielleicht feiern können." 
Kelly auf der anderen Leitung blieb einen Moment still, bevor sie weitersprach. 
"Was, wenn es schief geht?" fragte sie die unausweichliche Frage, die Louis und ich voreinander nicht gewagt hatten, auszusprechen. 
"Ich weiß es nicht, was dann ist. Es wird ihn zerstören." gab ich zu. 
Kelly seufzte leise und sie schien genauso ratlos zu sein wie ich, denn wir schwiegen wieder für einige Momente. 
"Lass uns davon ausgehen, dass dieser arrogante Chirurg seine Überheblichkeit mit Recht so zur Schau trägt und die OP erfolgreich verläuft." 
"Du magst den Kerl also nicht?"
Ich schnaubte leise. "Er ist ein Arschloch. Er ist so überzeugt von sich und hat Louis im Prinzip fast schon versprochen, dass sein Dad wieder gesund wird. Das war in dem Sinne gut, dass Lou positiv gestimmt war, doch wenn etwas schief geht, ahne ich Böses, Kelly." 
"Jetzt mache ich mir auch Sorgen." beichtete sie mir leise. 

Ich nahm mir vor, mich jetzt nicht unnötig verrückt zu machen. Louis hätte mich angerufen und das sagte ich auch Kelly, die mir beipflichtete. Es war alles gut. 
Wir verabschiedeten uns nach wenigen weiteren Sätzen wieder voneinander, nachdem ich ihr versprechen musste, dass ich ihr eine Nachricht schreiben würde, sobald ich wusste was vor sich ging. 
Je näher ich dem Krankenhaus kam, desto mulmiger wurde mir zumute und als ich parkte und in das Gebäude lief, war das Gefühl auf dem Höhepunkt. Louis hatte mir genau erklärt, wo ich hinmusste und so versuchte ich mich zu erinnern und fand mich schließlich vor dem Warteraum vor, den er mir genannt hatte. 
Nervös drückte ich die Türklinke nach unten und betrat den Raum. 

Das Erste was ich wahrnahm, war die Geräuschkulisse. Lautes, verzweifeltes Weinen. 
Das Zweite waren die beiden Menschen, die ich als Dr. Shepherd und eine Krankenschwester identifizierte, die versuchten eine Person auf dem Boden zu beruhigen. Als ich realisierte, dass es Louis war, der dort auf dem Boden kauerte, riss ich die Augen auf. 

Mein Herz rutschte mir in die Hose und ich spürte am ganzen Körper, was offensichtlich passiert sein musste. 
"Lou!" rief ich und rannte auf die Menschengruppe zu, Dr. Shepherd sah zu mir und als er mich erkannte, stellte er sich wieder auf. Er sah völlig geschafft aus, doch ich achtete nicht auf ihn, fiel vor Louis auf die Knie und versuchte ihn auf mich aufmerksam zu machen.
Mein Herz brach bei dem Anblick, der sich mir bot.
Er schien zu hyperventilieren, denn er atmete schwer und schnell, das Gesicht schmerzverzerrt und voller Tränen. Seine Augen waren rot und geschwollen von dem ganzen Weinen. Immer wieder sagte er leise "Nein, bitte nicht" und mir kamen automatisch ebenso die Tränen. 
Ich zog ihn in meine Arme, doch er wehrte sich im ersten Moment. 
"Lou, ich bin's. Ich bin da, Baby." sagte ich sofort sanft und er riss die Augen auf und sah mir in die Augen. Ich konnte seinen ganzen Schmerz sehen und verzog gequält das Gesicht. Es tat mir unglaublich weh, ihn so zu sehen. Genau hiervor hatte ich so unglaublich große Angst gehabt. 

Sunshine •|• LS Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt