28 - Abschied

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[Louis]

Die letzte Woche seit dem Tag der Operation war an mir vorbei gerauscht, als hätte ich sie durch einen Filter wahrgenommen.
Ich war bei Harry in der Wohnung geblieben, während meine Mutter ebenfalls bei uns geblieben war und gemeinsam hatten wir im Krankenhaus die Formalitäten geregelt, außerdem hatte ich ihr bei den Vorbereitungen für Dad's Beerdigung geholfen.
Ich war wie auf Autopilot. Ich versuchte, einfach nur zu funktionieren, damit Dad einen Abschied bekam, der mir für ihn würdig genug erschien.

Als der Wecker am heutigen Samstag sehr früh klingelte, schlug ich die Augen auf und konnte nur an eines denken: Heute würde die Beerdigung stattfinden.

Ich sah zu meiner rechten Seite Harry liegen, der noch tief schlief und den Wecker nicht gehört hatte. Ich schaltete den Alarm aus, stand auf und schlich leise aus dem Zimmer.
Harry hatte mich diese Woche in jeglicher Hinsicht unterstützt, er verdiente es, ein wenig ausschlafen zu können. Etwas, dass ich gar nicht mehr kannte, die vergangene Woche hatte ich kaum bis gar nicht geschlafen.
Ich machte mir Vorwürfe.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, denn es fühlte sich für mich so an, als hätte ich meinen Dad im Stich gelassen.

Als ich die Küche betrat, stand Mom schon darin und setzte Tee an, als sie mich bemerkte, sah sie zu mir und lächelte.
„Guten Morgen, mein Schatz."
Ich nickte ihr zu und schnappte mir eine Tasse aus dem Schrank, in welche sie mir sogleich Tee einschenkte. Müde setzte ich mich an den kleinen Küchentisch.
„Heute noch einmal stark sein, dann ist es geschafft." sagte sie zu mir und strich mir über den Rücken, dann setzte sie sich mir gegenüber.
Ich nickte leicht.
„Schläft Harry noch?"
Wieder nickte ich nur.

„Louis" begann sie und wirkte auf einmal sehr ernst. Fragend sah ich sie an.
„Denk nicht, ich merke nicht, wie du dich von ihm entfernst. Er merkt es auch."

Ich senkte den Blick, starrte in meinen Tee.
„Ich hab ihn nicht verdient."
Meine Mutter seufzte leise und schüttelte den Kopf. „Wie kommst du nur auf so etwas?" fragte sie mich.
„Ich bin nach London gekommen, weil ich mich um Dad kümmern wollte. Dann lerne ich Harry kennen, diesen perfekten Menschen, der einfach so da steht und wie mein persönlicher Engel erscheint. Und dann geht alles bergab. Es ist, als will irgendwer da oben einfach nicht, dass ich glücklich bin, Mom. Als wäre es mir nicht gestattet, weil jedes Mal wenn ich glücklich bin, passiert irgendetwas ganz Furchtbares."

Sie schüttelte sofort den Kopf und setzte sich etwas aufrechter an, sah mich dann ernst an.
„Ich habe dir bereits am Telefon gesagt, du sollst dir das nicht kaputt machen. Was deinem Vater passiert ist, für nichts davon bist du verantwortlich!"

Außer für die Operation natürlich, dachte ich düster und wischte mir über die Augen.
„Harry wird merken, dass ich nicht der Richtige für ihn bin. Vermutlich wird er mich verlassen, weil ich immer so traurig bin."
„So ein Quatsch!" sagte sie nun und wirkte aufgebracht. „Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, Louis. Aber der Mann liebt dich. Er tut alles für dich was er kann und seit Tagen sehe ich ihn hier unsicher herum laufen, weil er vermutlich nicht versteht, wieso du dich so zurückziehst! Das ist nicht richtig, Louis."

Sie hatte recht, das wusste ich. Ich hatte mich Harry gegenüber sehr verschlossen, doch ehrlicherweise hatte ich das jedem Menschen gegenüber. Ich wollte niemanden verletzen, niemandem eine Last sein.
Harry hatte das nicht verdient.

Ein Räuspern unterbrach die Stille und Harry betrat die Küche. Er lächelte leicht in unsere Richtung.
„Guten Morgen." sprach er mit rauer Stimme.
Alles in mir schrie danach, zu ihm zu gehen und ihn zu umarmen, doch irgendetwas hielt mich davon ab.
Meine Mutter begrüßte ihn herzlich und stand dann auf, nicht ohne mir einen mahnenden Blick zuzuwerfen.
„Ich gehe mich jetzt anziehen. In einer Stunde müssen wir los." sprach sie und verschwand in Richtung Bad.

Sunshine •|• LS Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt