In der Nacht darauf schneite es. Ein dicke weiße Schneeschicht legte sich wie eine flauschige Decke über die Straßen von St Petersburg. Der Frost zog sich kalt über die Fensterrahmen und bedeckte das Fensterglas mit weißen Sternen.
Sterne. Sterne galten schon seit langer Zeit als die leuchtenden Wegweißer am dunklen Nachthimmel, doch Pietro hatten sie nie den Weg gewiesen. Nicht den, den er gesucht hatte.
Die spitze Klinge des Messers hinterließ viele Furchen auf dem hölzernen Schneidebrett, als er eine Süßkartoffel in kleine Stücke teilte und sie darauf in den dampfenden Topf warf.
Die Hitze des Herds hüllte den ganzen Raum ein und verwandelte die Luft in einen stickigen Vorhang. Eilig wandte Pietro sich vom eben jenem Herd ab und ging mit großen Schritten auf das naheliegende Fenster zu. Mit einem Ruck schob er es nach oben und die kalte eisige Nachtluft strömte herein, um die erdrückende Wärme zu vertreiben.
Pietro mochte die Kälte. Wenn der Eiswind ihm um die geröteten Wangen strich und die Schneeflocken, die in dieser Nacht vom Himmel fielen, sich in seinen Wimpern verfingen. Warmer Atem verflüchtigte sich in der Luft und wurde zu weißem Rauch. Wie Nebel zog er davon.
Die Ellbogen auf die Fensterbank und den Kopf auf die Hände gestützt, sah er den kleinen Wölkchen auf ihrem Weg in die Dunkelheit hinterher. Manchmal fühlte er sich wie ein Vogel im Winter, rastlos und doch beständig. Einige fürchteten die Kälte und flohen im Herbst in den Süden, aber andere wiederum blieben im Winter, denn mit Schnee und Frost kamen sie gut aus.
Ein klingeln unterbrach die Winterstille unerwartet und Pietro zuckte leicht zusammen, bevor er sich aus dem Fensterrahmen zurückzog und in Richtung des Telefons schritt.
Mit der rechten Hand ergriff er den dunkelroten Hörer und hob ihn ab, während er sich mit der Linken auf dem kleinen Beistelltisch abstützte.
„Ja?", fragte er in die Stille hinein, als er sich den Hörer ans Ohr drückte.
„Noch wach, oder hab ich dich geweckt?" Wandas klare Stimme hatte ihm gefehlt. Sie hatten schon lange nicht mehr telefoniert und redeten nur selten, da seine Schwester viel unterwegs und nicht oft zu erreichen war. Nach Sokovia hatte sich etwas verändert.
„Ich bin noch wach, koche etwas Suppe...", antwortete er langsam auf ihre Frage.
„Eine etwas ungewöhnliche Zeit um Suppe zu kochen, findest du nicht?"
Pietro lachte leise, dabei ging er mit dem Hörer in der Hand die paar Schritte zum Herd und rührte in dem kochenden Topf.
„Kann schon sein. Ich war noch etwas hungrig und-", Pietro konnte den Satz nicht beenden, da räusperte sich Wanda am anderen Ende der Leitung.
„Ich bin in St Petersburg", sagte sie und verstummte dann.
Unsicher was er darauf antworten sollte, drehte er das Kabel des Telefons zwischen seinem Daumen und Zeigefinger hin und her.
„Pietro, bist du noch dran?", fragte Wanda und durchbrach die kurze Stille zwischen ihnen.
Pietro nickte abwesend, bevor er merkte das sie ihn ja gar nicht sehen konnte und er ihr mit einem „Ja" antwortete.
Mit dem Hörer in der einen und dem Kochlöffel in der anderen Hand drehte er sich zum Fenster. Die kalte Nachtluft hatte dem Raum sämtliche Wärme entzogen. Er ließ den Löffel wieder in den Topf sinken und wandte sich dem Telefon zu.
„Sehen wir uns morgen? Wir könnten im Park spazieren gehen?", fragte seine Schwester.
„Das würde ich gerne. Gute Nacht, Wanda. Ich leg jetzt auf", sagte er zu ihr, dann legte er den Hörer auf und machte sich daran das Fenster zu schließen.
Die nächtliche Novemberkälte hatte sich in der zuvor so warmen Küche ausgebreitet. Kleine Schneeflocken wurden vom Wind gegen die beschlagene Fensterscheibe geweht. Ein leichter Schneesturm braute sich gerade über der Stadt zusammen, der selbe schien auch zwischen Pietros wirren Gedanken zu toben.
Die Vergangenheit gibt viele Einblicke in ein früheres Leben, über die Art und das Wesen einer Person, wie sie mal war und wer sie gewesen ist. All das liegt weit zurück. Dinge passieren und Menschen verändern sich. Doch der Rote Raum nahm ihnen das Wichtigste: die Fähigkeit sich daran zu erinnern, sich zu erinnern wer sie mal waren. Frühere Leben verblassen und Erinnerungen schwinden.
Dem Fenster den Rücken zuwendend, nahm er den heißen Topf voll warmer Suppe vom Herd und füllte den Inhalt in eine Schüssel auf dem Tisch. Jene volle Schüssel zurücklassend, als er das Licht ausschaltete und in die Richtung seines Schlafzimmers verschwand.
Doch auch als er den Kopf auf dem weichen Kissen bettete und die Wolldecke bis unter die Nasenspitze zog, konnte er einfach keine Ruhe finden. Die Unruhe breitete sich in ihm aus wie ein Tropfen schwarze Tinte, die versehentlich auf ein weißes Blatt Papier gefallen war. Er hörte den Wind. Das Rauschen vermischte sich mit dem Rascheln der Decke als er sich wieder und wieder drehte. Er summte das Lied, sein Lied, das er schon zu lange sang um die einsamen Abende vorüberziehen zu lassen.
Er dachte an ihr Haselnussbraunes Haar, das sich damals seicht im Sommerwind wog und das glockenklare lachen eines glücklichen Mädchens, das ihm einen Kuss schenkte und dann davonlief, nur um sich darauf zwischen Blumen und Gräsern wieder zu ihm umzudrehen. Damals. In einem Moment in dem sie glücklich waren. Es erfüllte ihn mit Schuld, als er nicht gemerkt hatte, dass sie nicht entkommen konnte.
Und unter all den warmen Wolldecken, unter denen er vergeblich nach Schlaf suchte, wurde im schlagartig furchtbar kalt.
„Niemand entkommt dem Roten Raum", hatte Natasha Romanoff zu ihm gesagt. Ihre Stimme hallte jetzt in seinen Gedanken wider. Niemand.
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STRANGE MEMORIES, pietro maximoff
Fanfiction✧・゚: PIETRO MAXIMOFF war kein Held, da Helden für gewöhnlich nicht vergessen wurden. (Denn für einige scheint er nie existiert zu haben.) Der Wolf und das Lamm. Nach dem Fall von Sokovia versucht Pietro Maximoff den Weg in ein normales neues Leben...