Sie weinen.
Um mich, um sich selbst, ich weiß es nicht, aber die dicken Tränen, die über ihre Wangen perlen verwirren mich.
Ich bin hier. Es geht uns gut. Wir sind zusammen.
Meine Eltern stehen vor mir. Ihre vertrauten Gesichter brennen sich tief in mein Gedächtnis ein. Fröstelnd schlinge ich die Arme um meinen Körper um der Kälte zu widerstehen.
"Mum?", meine Stimme ist stark, geprägt von Glück. Ich strahle bis über beide Ohren, als ich die zwei entdecke.
"Dad?"
Mein Herz hüpft auf und ab. Ein Glücksschauer rieselt über den Rücken und alles, alles was ich verloren habe setzt sich langsam wieder zusammen. Meine echten, leiblichen und ziemlich lebendigen Eltern stehen vor mir und ich möchte nichts mehr, als sie zu umarmen.Gehe einige Schritte auf sie zu. Sehne mich so nach elterlicher Fürsorge dass es weh tut, aber jetzt, jetzt ist alles wieder gut, alles wird sich ändern.
"Bleib stehen", höre ich auf einmal meinen Vater sagen. Verwundert gehorche ich. Mein Atem geht schnell vor Vorfreude. Sie leben. Es ist so unwirklich, dass ich es beinahe nicht glaube.
"Was ist?", frage ich.
"Du bist ein Monster."Meine Lunge versagt den Dienst. Meine Beine fühlen sich an, als wollen sie zusammenbrechen, hier und jetzt und jeder einzelne Buchstabe hagelt auf mich ein wie Messerspitzen.
"Was?", flüstere ich. Dort, wo eben noch Glückseligkeit und Freude gelegen haben, macht sich eine Unruhe breit, die mir bis unter die Haut fährt.
"Eine Missgeburt", mischt sich nun auch meine Mutter ein.
Mein Magen stülpt sich unangenehm um, ich könnte mich übergeben."Ich bin eure Tochter!"
"Eine Leserin. Du bist anders. Du gefährdest uns alle. Und deshalb, meine Liebe, müssen wir dich töten."
In ihren Blicken ist nichts mehr schönes. Nur noch kalter Hass, der gebündelt auf mich gerichtet ist. Ich kann nichts sagen. Der Sauerstoff gelangt nicht mehr zur Lunge."Ich bin anders", wiederhole ich ihre Worte leise. Wieder und wieder.
"Du begreifst nicht. Anders zu sein ist eine Gefahr für das System."Und dann richten sie ein Waffe auf mich, ich zerbreche vor ihren Augen in tausende von schmerzvollen Stücken, die Decke fällt auf uns herunter, ich schreie bis Schwärze um mich herum nebelt und...
Gehetzt richte ich mich auf. Kalter Schweiß durchnässt mein Shirt. Mein rasendes Herz, meine nassen Wangen, ich kann das nicht mehr, verliere den Hang zur Realität, werde verrückt. Langsam streiche ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Bleibe einen Moment sitzen, um endlich zu begreifen wo ich bin und was ich hier mache.
"Alles gut", flüstere ich in die Dunkelheit. Nur ein Traum. Nur ein beschissener Traum.Ich kann jetzt aufstehen, mich fertig machen und zum Training laufen.
Niemand kann mir mein Leben nehmen, ich bin sicher hier unten.Langsam schwinge ich meine Beine aus dem Bett und bemerke erst jetzt, dass ich zittere. Wie die letzten Nächte auch.
Der Schmerz sticht auf meinen Körper ein. Blindwütig, nackt, kalt so brutal als wolle er meinen Körper zerfetzten. Mein Herz schwillt an, auf die fünffache Größe, bis es dick und schwer in der Brust liegt und jeder einzelne Schlag wehtut.
Sie sind weg.
Die lieben Gutenachtgeschichten meiner Kindheit- weg.
Das Lachen von ihnen, als sie mich auf der morschen Schaukel in unserem kleinen Garten anschuckten- weg.Das "Ich habe dich lieb" Gesicht vor dem zu Bett gehen- alles verschwunden.
Mein Kopf zerberstet mit einem lauten Schrei. Ich verkrampfe mich, kann dem Druck nicht standhalten und jede einzelne Faser von mir möchte losweinen, alles herauslassen was sich anstaut. Die Schwärze meines Verlustes grinst mich an und alles an mir verbrennt, zerfließt, als würden Flammen meine Haut einschmelzen.
Es fühlt sich an wie der Tod, den ich erwarte, der aber nicht kommt sondern mich lachend hinhält. Niemand wird mich morgens wecken, mir ein Brötchen reichen und mich anlächeln.Ich erinnere mich so verdammt gut an die gemeinsamen Momente, die wir verbrachten und habe so schreckliche Angst, ihre Stimmen zu vergessen, alles, was wir zusammen erlebt haben.
Die selbstgebackenen Brötchen waren innen immer noch nicht ganz durch und außen verbrannt.
Mein Vater war immer schrecklich stolz auf seine Kochkünste und keiner wollte seine Gebäcke bemängeln.Niemals. Wieder.
Wie soll ich mit der Gewissheit leben, all das zerstört zu haben?
***
Meine Gedanken am Morgen sind immer die selben.
Mittlerweile schaffe ich es, sie im Alltag zu verbannen oder es wenigstens zu versuchen. Verschwinden werden sie nicht. Nicht, bis ich tot bin.Ich seufze auf, als der Drang der Menschenmassen mich mitzieht. Alle in grau-schwarz gekleidet, alle hungrig auf dem Weg zum Frühstück.
Von den etwa eintausend Lesern in diesem Gebäude kenne ich nur eine handvoll so gut, dass ich sie beim Namen nennen könnte.
Wenn man von all den Förmlichkeiten absieht, verbindet uns alle etwas:
Der Hass auf das System.
Der Wunsch, Zane Woodbury endlich zu stürzen.
Und die Angst, dass er uns alle umbringt, bevor wir es tun.Eine Gemeinschaft, zusammengepfercht in das einzige Versteck, dass geblieben ist, alleingelassen von unseren Liebsten und doch schwebt der Funke Hoffnung immer noch über unseren Köpfen und leuchtet den Weg, den wir nicht sehen können.
***
Ein lautes Geräusch ertönt. Ich zucke unwirklich zusammen, blicke mich um. Versuche die aufsteigende Panik zu unterdrücken, die sich in mir breitmacht, wie immer wenn irgendetwas nur im Entferntesten nach Bombenanschlägen klingt.
Auch die Menge um mich herum wird unruhig. In vereinzelten Augen sehe ich die selbe Furcht, die auch mich erfüllt. Hastiges Gemurmel verteilt sich über den ganzen Raum, den ganzen Gang, bis ich von überall aufgeregte Stimmen höre.
Unser Leben war nie geschützt, ist es nicht und wird es auch niemals sein. Anschläge, damit rechnen wir jeden Tag. Leben immer mit der Angst im Nacken, dass das System uns auf die Schliche kommt und einen nach dem anderen genussvoll tötet.
Jeden einzelnen.Ein ungutes Gefühl wabert durch die Luft. Beinahe kann ich es aus der Luft greifen und wie eine Seifenblase zerplatzen lassen, aber meine Arme sind an meinen Körper geklebt und die Füße an den Boden gefesselt. Ich kann mich nicht rühren, nicht eine einzige Bewegung vollstrecken.
Nur mein Herz, es rast und rast und rast tief in meiner Brust, dass man meinen könnte, es wolle zerbrechen. Und dann sehe ich die Menschen, die herein stürmen.
Die Hände blutig.
Die Augen leer.
So unendlich viel Furcht liegt in ihnen. Ich weiß nicht was geschehen ist, aber die Mütter verbergen den Anblick vor den Augen ihrer Kinder.Es tut weh, so etwas zu sehen.
Niemand hält mir die Augen zu.Deshalb schaue ich hin.
***
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𝐇𝐞𝐚𝐫𝐭𝐥𝐞𝐬𝐬
Teen FictionDass die Welt auch eine boshafte, dunkle Seite besitzt, hat die achtzehnjährige Pearl schon am eigenen Leibe erfahren. Sie ist eine Gedankenleserin, eine Bedrohung für das System und muss eliminiert werden. Zusammengepfercht auf dunklem Raum, verste...