𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟒

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Schweiß rinnt mir in Strömen den Rücken hinunter, mein Atem geht schnell, stoßweise. 
Die Fingerknöchel sind an der oberen Hälfte jetzt schon leicht angeschwollen und unser Training hat erst vor fünf Minuten begonnen.

Erbarmungslos lässt Leander seinen Blick über die verschiedenen Leser und Leserinnen gleiten, alle barfuß auf harten Matten, alle hochkonzentriert in einen Nahkampf vertieft. 
Pro Woche müssen wir mindestens drei Tage trainieren.
Wir, die jungen Leser, sind die Zukunft. 
Es braucht neue Suchende, neue Spione dort draußen.
Irgendwann werde auch ich den Bunker verlassen und dann muss ich mich auf den Schrecken und die grausame Brutalität dort draußen vorbereiten.

Trotz der Wichtigkeit dieser Stunden kann ich nicht anders, als laut aufzuseufzen, wenn ich daran denke. 

"Pearl!"
Die scharfe Stimme meines stellvertretenden Trainers hallt zu mir hinüber. Ich unterdrücke ein genervtes Aufstöhnen und vermisse mit einem Mal die alten Lehrstunden. Aber unser Kampflehrer ist verschwunden. Hat die Basis verlassen und ist niemals mehr zurückgekehrt.

Ich schaue auf und zupfe an meinen Kragen. Versuche gleichzeitig, nicht rot anzulaufen, als Leander fragend eine Augenbraue hebt.
Im Hinblick auf meine Leistungen kann er es sich sparen, mich zu trainieren.  

"Du strengst dich nicht ein bisschen an", stellt er fest. 
Peinlich berührt verschränke ich die Hände vor meiner Brust, um die Unsicherheit zu überspielen oder aber auch das schreckliche Gefühl des Versagens aus meinem Kopf zu spülen.

"Ich versuche es doch", gebe ich zurück und lasse meine Worte so sicher klingen, wie nur möglich.

Leander schüttelt enttäuscht den Kopf. Dreht sich dann zur Gruppe um.

"Hört mal her!"

Überrascht drehen sich die Leute um. Fragen liegen auf ihren Lippen, aber ich sehe ebenfalls das belustigte Glitzern in den Augen derer, die mich ohne Grund nicht ausstehen könne.
Das kleine Mädchen hat bestimmt wieder etwas angestellt...es ist nicht der geringste Neid in ihnen, nur bloße Verachtung. 
Die Menge braucht etwas, worüber sie sich das Maul zerreißen kann, wenn es bei ihnen gerade nicht gut läuft und oft trifft es die Schwachen von uns. 

Erinnerungen an heute Morgen steigen in meinem Magen hoch und kurz drehe ich mich weg. Atme die Übelkeit hinweg, die droht, sich mir in den Nacken zu setzten. Erst, als ich wieder aufmerksam bin, spricht Leander weiter:

"Ihr seid eine unterschiedlich begabte Gruppe. Manche können gut kämpfen und manchen fehlt es an Biss. Das hier ist Training, aber wie-", er bricht ab, stellt sich auf eine der freigewordenen Matten, "-wie verhaltet ihr euch im Kampf? Wenn jeder Schlag der Letzte sein könnte, wenn ihr um euer Leben kämpfen müsst."

Nun hat er die Blicke aller auf sich. Er läuft auf und ab, immer wieder. In seinen Augen funkelt es. 

"Mitten im Kampf kommt es nicht darauf an, wie viele Muskeln ihr habt, oder wie stark ihr seid. Es kommt darauf an-", meint Leander und tippt sich an den Kopf.

"Intelligenz."

"Na da haben einige hier aber wenige Chancen", flüstert ein Mädchen aus einer der vorderen Reihen ihrer Freundin zu und kichert. Vereinzelte Lacher sind zu hören. 

Ein schmerzhafter Stachel dringt in meine Haut ein und beinahe möchte ich mich umdrehen und weglaufen. Obwohl ich weiß, dass all das, was sie sagen nicht so gemeint ist, dass sie einfach einen Scherz gemacht haben und ich das eigentlich lustig finden sollte-

Ich beziehe alles auf mich.

"Pearl", spricht Leander mich an und ich zucke überrascht zusammen.
"Komm bitte zu mir."

𝐇𝐞𝐚𝐫𝐭𝐥𝐞𝐬𝐬Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt